Transfeindlichkeit – eine ehrliche Auseinandersetzung mit Diversität im kulturellen Feld
Von Akzeptanz der gesellschaftlichen Diversität und damit verbundenen unterschiedlichen Lebensentwürfen ist zwar oft die Rede, aber wenn es darum geht, andere so zu akzeptieren, wie sie sind, bzw. ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, fällt uns das oft schwerer. Kulturinstitutionen sind ständig dazu aufgefordert neue Zielgruppen zu erreichen und Programme zu entwickeln, die bislang unterrepräsentierte Themen ansprechen. Ein wichtiges Thema in diesem Kontext ist auch die gesellschaftliche Diversität, die einer ehrlichen und intensiven Auseinandersetzung bedarf und jenseits eines Marketinginstruments gesehen werden muss.
© studio BRETT FORM KOPF
Diversifizierung mit einer einhergehenden Schaffung von Chancengleichheit und Gleichbehandlung muss gesamtgesellschaftlich, aber speziell auch im Kulturbetrieb stets auf mehreren Ebenen stattfinden, um eine nachhaltige Tragfähigkeit zu erreichen. Nicht nur die Programmierung von Kulturinitiativen sollte Diversität widerspiegeln, sondern auch die dahinter liegenden Strukturen und Prozesse bedürfen eines stetigen dahingehenden Reflexionsprozesses.
Diese Prozesse zu mehr Gleichberechtigung stoßen immer wieder auf Abwehr, Unverständnis oder gar Gewalt gegen die Emanzipation „marginalisierter“ Gruppen und sind ein Schauplatz für intensive affektive politische Auseinandersetzungen. Diese Gegenbewegungen und Kampagnen sind kein Zufall und sie bedrohen sowohl existenziell als auch körperlich die betroffenen Personen. In Zeiten von politischen Zuspitzungen, wie im aktuellen Superwahljahr 2024, werden zunehmend diverse Feindbilder basierend auf Sexualität, Gender und/oder Herkunft konstruiert und laut im öffentlichen Diskurs ausgesprochen. Aus diesem Grund ist es wichtig, aufmerksam zu sein, um die Stimmen der Betroffenen nicht zu überhören.
Eine solche Stimme hat uns alle Anfang diesen Jahres in Form eines offenen Briefes erreicht. Sie spricht in Bezug auf den Bereich Kultur ein brennendes Problem unserer Gesellschaft an: Transfeindlichkeit. Ohne auf konkrete Schilderungen des Briefes eingehen zu wollen, finden wir es wichtig, diese individuellen Stimmen ernst zu nehmen und einen Auseinandersetzungsprozess anzustoßen, da sie Ausdruck einer gesellschaftlichen Dimension sind, die als „Kulturkampf“ ausgetragen wird. Die Konsequenzen bleiben meist bei den Betroffenen, obwohl ein kollektiver Umgang damit notwendig wäre.
Vor diesem Hintergrund hat die IG Kultur Steiermark in Kooperation mit dem Forum Stadtpark am 8. Juni 2024 einen Workshop zum Thema Transfeindlichkeit organisiert, der sich an die Grazer Club-Szene gerichtet hat und von Samuel Schröttenhamer vom t~kränzchen geleitet wurde. Das t~kränzchen ist eine peer2peer Support-Gruppe für Personen am transmasculinen Spektrum und bietet neben Communityarbeit auch Workshops für Angehörige und Interessierte an.
Ausgehend von der Club-Szene wollen wir damit einen Raum eröffnen, um einen gemeinsamen Umgang mit Transfeindlichkeit und anderen Diskriminierungsformen zu finden, um damit auf längere Sicht einen kontinuierlichen Auseinandersetzungsprozess im gesamten Kulturbereich zu starten, der eine diskriminierungsfreie kulturelle Teilhabe aller ermöglicht.
Der Workshop hat in einem interaktiven Format mit vielen Möglichkeiten des Austausches und der gemeinsamen Erarbeitung von Inhalten eine wichtige Grundlage in Form einer gemeinsamen Verstehensumgebung geschaffen, auf der wir weiter aufbauen wollen. Eine Auseinandersetzung mit Transfeindlichkeit im Kultur- und Veranstaltungskontext ist nur dann möglich, wenn ein geteiltes, zentrales Basiswissen vorhanden ist, auf dem Reflexionsprozesse aufbauen können. Aus diesem Grund möchten wir ein wenig von diesem im Workshop erarbeiteten Basiswissen mit euch teilen und einige grundlegende Begriffe erklären.
Transidentität
Transidentität oder trans ist eine Bezeichnung für Personen, die sich nicht oder nicht mehr mit dem ihnen bei der Geburt zugeordneten Geschlecht identifizieren. Es ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen, trans bedeutet jenseits, im Unterschied zu cis, was diesseits bedeutet. Trans kann als Überbegriff (umbrella term) für trans1 Frauen, trans Männer, transmasc Personen, transfemme Personen, nonbinary Personen, inter Personen und agender Personen verwendet werden und ist eine Selbstbezeichnung.
Transfeindlichkeit
Transfeindlichkeit bezeichnet eine soziale Abneigung oder Feindseligkeit gegenüber Menschen, die in ihrer Geschlechtsidentität oder in ihrem geschlechtlichen Auftreten von der „Norm“ abweichen oder nicht eindeutig in das binäre System "Mann und Frau" einzuordnen sind.
Transfeindlichkeit kann auf persönlicher, auf überpersönlicher und auf struktureller Ebene stattfinden. Sie ist also mehrdimensional und sie hat ihren Ursprung im Patriarchat. Dieses funktioniert essentiell dadurch, dass in einer heteropatriarchalen Gesellschaft Weiblichkeit/Femininität abgewertet wird. Da wir alle im Patriarchat aufgewachsen und durch dieses geprägt sind, ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein und die eigenen internalisierten Diskriminierungsmuster zu dekonstruieren.
Transfeindlichkeit beschreibt die Tatsache, dass Menschen, die ihr Geschlecht außerhalb der anerkannten Kategorien weiblich/männlich definieren oder nicht die gesellschaftlichen Erwartungen an ihr zugeschriebenes Geschlecht erfüllen, tagtäglich mit Vorurteilen, Anfeindungen, Ausgrenzung und Gewalt konfrontiert sind. Besonders betroffen sind dabei transfemme Personen, also Personen, die sich auf einem femininen Spektrum in Genderidentität und -ausdruck verorten. Das Trans Murder Monitoring versucht international die tödliche Gewalt an trans Personen zu erfassen. Innerhalb des letzten Erhebungsjahres (Oktober 2022 – September 2023) wurden nur in jenen Staaten, aus denen überhaupt Informationen vorliegen, 321 Tötungsdelikte registriert, wobei 94 % der Betroffenen trans Frauen und transfemme Personen waren und ein Großteil der getöteten Personen weitere Merkmale intersektionaler Diskriminierung aufwies. Dies führt uns zu den beiden nächsten zentralen Begrifflichkeiten.
Diskriminierungen & Privilegien
Der Begriff „Achsen der Diskriminierung“ kommt aus der Intersektionalitätsforschung und versucht, anhand eines Achsenmodells die Mehrdimensionalität von Diskriminierung und Privilegierung aufzuzeigen. Zum einen kann eine Person beispielsweise migrantisch und trans sein. So erfährt sie mehrdimensionale Diskriminierung, die z.T. auch ineinandergreift. Zum anderen können auch Diskriminierung und Privilegierung nebeneinander existieren – z.B. wenn eine Person schwul ist (=Diskriminierungskategorie), weiß und autochthon österreichisch (=Privilegierung). Wichtig hierbei ist, dass sich Diskriminierungserfahrungen und Privilegien nicht gegenseitig aufheben, sondern nebeneinander existieren können. Nur durch die Reflexion der eigenen Privilegien ist es möglich, diese als Instrument zum Empowerment für andere nutzen. Die je persönlichen Diskriminierungserfahrungen stellen die Wahrheit der Person dar, die sie erlebt, und sind weder in Frage zu stellen, noch zu problematisieren.
Transfeindlichkeit ≠ Transphobie
Eine Phobie beschreibt eine individualisierte Angststörung, die mit einem Leidensdruck einhergeht und einer (therapeutischen) Behandlung bedarf. Wenn nun eine feindliche Haltung gegen trans Personen als Phobie bezeichnet wird, werden erstens Menschen, die tatsächlich an einer Phobie leiden, in ihrem Erleben bagatellisiert, und zweitens wird die strukturelle Gewalt, die trans Personen erleben, nicht als Gewalt gekennzeichnet.
Sensible Sprache
Als Faustregel in der zwischenmenschlichen Kommunikation gilt: Stelle keine Fragen, die du einer cis Person auch nicht stellen würdest und verwende niemals den Deadname einer trans Person (Name vor ihrer Transition) bzw. frage auch nicht danach. Achte darauf Personen nicht mit dem falschen Pronomen anzusprechen und sage immer auch deine eigenen Pronomen dazu, wenn du eine Person nach ihren Pronomen fragst. Das trägt dazu bei, das Teilen von Pronomen zu normalisieren. Wenn du deine Pronomen teilst und nach denen von anderen Personen fragst, mache das bei allen Personen, nicht nur bei denen, die du als trans/nonbinary liest.
Einige Beispiele für Do’s and Don’t’s in der Kommunikation:
-
DON´T: „Als du noch ein Mann/eine Frau warst…“
DON´T: „Bevor du dich umoperieren hast lassen…“
DO: „Vor deiner Transition…“ -
DON´T: „eine normale/richtige Frau“ bzw. „ein normaler/richtiger Mann“
DO: „cis Mann“ bzw. „cis Frau“
Auch bei der Konzipierung und Umsetzung von Veranstaltungen solltet ihr grundsätzlich in allen Bereichen auf eine sensible, also geschlechterneutrale und inklusive Sprache (z.B. Besuchende, Vortragende) achten. Denkt genau darüber nach, an wen sich eure Veranstaltung richtet und wie ihr dies kommuniziert, damit es bei der Veranstaltung selbst nicht zu gezwungenen „Outing-Situationen“ kommt. Wenn ihr beispielsweise eine Veranstaltung organisiert, die gezielt als Schutzraum für weiblich gelesene Personen gedacht ist, ist der aktuell häufig verwendete Begriff FINTA problematisch. FINTA steht für Frauen, intersexuelle, nicht-binäre und trans Personen, also auch für trans Männer und transmasc Personen, die sich dann mitunter am Eingang in einer ungewollten Situation wiederfinden, in der sie sich erklären müssen. Exklusive oder Schutzräume für weiblich gelesene Menschen sind wichtig und vollkommen unterstützenswert. Sie müssen in unserer Gesellschaft Raum haben – mit der passenden Bezeichnung.
Das Schaffen von Safe(r) Spaces
Ein Safe(r) Space ist ein reeller, virtueller oder sozialer Raum, in dem versucht wird, gewaltvolle und diskriminierende Muster, die in der Gesamtgesellschaft vorliegen, durch gemeinsam erarbeitete Regeln und Strukturen weitestgehend zu vermeiden. Ein Safe Space bleibt immer nur ein Versuch, sich diesem Zustand so gut als möglich zu nähern, und muss von Ergebnisoffenheit, Lernbereitschaft und gegenseitiger Wertschätzung geprägt sein. Ein Safe(r) Space gelingt dann, wenn alle Teilnehmenden ihre internalisierten diskriminierenden Muster (Transfeindlichkeit, Homofeindllichkeit, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus etc.) reflektieren und VORHER so gut als möglich dekonstruieren. Damit wird vermieden, dass Angehörige von marginalisierten Gruppen zu unfreiwilligen „Lernobjekten“ werden. Ein Safe(r) Space beginnt zunächst immer bei einem selbst! Speziell im Kontext von Kulturveranstaltungen sollten Veranstaltende aber aktiv an Konzepten arbeiten, die einen Safe(r) Space für alle Beteiligten schaffen. Dies kann beispielsweise in Form eines Awareness-Konzepts und der Einbindung eines Awareness-Teams auf Veranstaltungen umgesetzt werden.
Programm & Strukturen
Wenn ihr ein inklusives Kulturangebot schaffen wollt, lässt sich dies nicht allein in Form eines diversen Bookings bzw. Programmes realisieren. Gendergerechtes Veranstalten bzw. gendergerechte Kulturarbeit fängt bei den eigenen Strukturen und einer laufenden Reflexion dieser an, geht über die Planung bis hin zur Umsetzung und Nachbereitung von Veranstaltungen. Dabei gibt es eine Vielzahl von Fragen, die ihr euch selbst stellen könnt. Beispielsweise:
- Wie divers ist unser Verein/Kollektiv bzw. unsere Organisation? Wie sehen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen aus? Wie die Arbeitsverteilung und Verantwortlichkeiten?
- Gibt es in den Räumlichkeiten, in denen wir veranstalten Unisex-Toiletten und -Umkleidemöglichkeiten?
- Sind alle Personen, die an der Umsetzung der Veranstaltung beteiligt sind, sensibilisiert für den Umgang mit Diskriminierung?
- Wurde eine klare Policy in Bezug auf Antidiskriminierung nach außen und alle Besuchenden kommuniziert? Gibt es Konsens über den Begriff Diskriminierung? Was wird als Diskriminierung wahr- und ernstgenommen?
- Wird eine offene Fehlerkultur gelebt? Gibt es nach Veranstaltungen Reflexionsgespräche? Gab es Vorfälle von Diskriminierung? Was kann besser gemacht werden?
Transfeindlichkeit übernimmt eine nützliche Funktion im Patriarchat, und wird dementsprechend auch in den (Macht-)stukturen von Kollektiven und Vereinen reproduziert. Um dem entgegenzuwirken ist es wichtig, transfeindliche Muster als solche zu erkennen und zu benennen, und so weit als möglich die eigenen Privilegien zu nutzen, um Betroffene von Transfeindlichkeit zu unterstützen. Das kann bedeuten:
- den Opfern unbedingt glauben
- solidarisch zeigen, indem den Betroffenen Raum gegeben wird
- transfeindliches Verhalten als solches benennen
- sich verbünden ;)
Diskriminierungspraxen sind Teil unserer Gesellschaft und somit auch Teil von uns. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen möchten: Wir können uns vorherrschenden diskriminierenden Strukturen beugen oder uns aktiv dagegenstellen und solidarisieren und auf diese Weise gegenseitig stärken.
Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf,
was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat. (Jean-Paul Sartre, Saint Genet)
1 In gesprochener und geschriebener Sprache wird „trans“ als Adjektiv verwendet (also trans Frau, nicht Transfrau).