„Close ecounters of the third kind – We are not alone!“
Auf dem Programm der Wiener Festwochen (WFW) fand sich dieses Jahr auch das Projekt Bed&Breakfast (B&B) des österreichischen Künstlers Alexandar Nikolić . Ins Zentrum seiner Intervention stellte Nikolić das politisch höchst aktuelle Verhältnis der mehrheitsösterreichischen Gesellschaft einerseits zu den ImmigrantInnen, insbesondere zur großen Gruppe der ImmigrantInnen aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens, andererseits.
Auf dem Programm der Wiener Festwochen (WFW) fand sich dieses Jahr auch das Projekt Bed&Breakfast (B&B) des österreichischen Künstlers Alexandar Nikolić . Ins Zentrum seiner Intervention stellte Nikolić das politisch höchst aktuelle Verhältnis der mehrheitsösterreichischen Gesellschaft einerseits zu den ImmigrantInnen, insbesondere zur großen Gruppe der ImmigrantInnen aus der Region des ehemaligen Jugoslawiens, andererseits. Den FestivalbesucherInnen bot Nikolić eine Art „Halbpension“ an – Aufenthalt mit Abendessen, Übernachtung und Frühstuck und zwar in einem migrantischen „Jugo-Gastarbeiter“-Haushalt. Das Finale des Projekts stellte die ein paar Tage später organisierte „Identitätstombola“ dar, die in der authentischen Umgebung des serbischen Kulturvereins „Karađorđe“ in Wien stattfand. Der Hauptgewinn dieser Tombola war die österreichische Staatsbürgerschaft. Alle anderen Preise waren eher weniger trostbringend: Armbanduhren, T-Shirts,1 Buttons, Wasserkocher usw.
Das Gewicht und die Aktualität des Themas
Das Gewicht und die Aktualität des Themas, das Nikolić in seinem Projekt thematisierte, braucht keine umfangreiche Fußnote. In der politischen Arena gewinnt die Frage nach dem Verhältnis zur Immigration und zu den ImmigrantInnen immer mehr an Bedeutung, insbesondere in der Zeit rund um die Wahlen und in jenen Gebieten, wo ImmigrantInnen eine kritische Maße der Bevölkerung und somit einen potenziellen „Wahlstoff“ bilden. Wie auch immer die Manifestationen dieser Diagnose erscheinen mögen, kann man den definitiven Umriss eines wichtigen Prozesses durchaus erkennen. Das ist der Prozess einer Emanzipation der ImmigrantInnen und ihres Auftretens auf der politisch-gesellschaftlichen Bühne. Ein Ereignis, das die Singularität des Auftritts der amateurhaften Folklore-Vereine oder die Präsentation der Produkte des traditionellen Handwerks auf einer „Multikulti“-Messe übersteigt.
Alexander Nikolić's B&B passiert gerade in jenem historischen Augenblick, als die am meisten entwickelten und reichsten Gesellschaften im Westen (sog. „Aufnahmegesellschaften“) immer mehr für Probleme und Praxen der gesellschaftlichen (ökonomischen, politischen und Bildungs-)Ausgrenzung und Diskriminierung von ImmigrantInnen sensibilisiert werden. Bis vor kurzem existierten diese Gruppen im gesellschaftlichen Raum nur als bloße Körper, eine nützliche Biomasse, die ein ausgezeichneter Brennstoff zum Antreiben der zunehmend wachsenden Wirtschaft war. Diese Intervention ist außerdem auch ein Ergebnis der künstlerischen Praxis, der Überzeugungen und der Art und Weise der künstlerischen Produktion, wie sie für Nikolić kennzeichnend sind.2 Die sozial engagierten Projekte und die Arbeit mit gefährdeten, ausgeschlossenen Gruppen machen die Grundprinzipien der Poetik Nikolić's aus. Die Eingliederung der B&B-Aktion ins Programm eines so zentral positionierten Ereignisses wie den WFW ist ein klares Zeichen, dass die Immigrationsfrage einen prominenten Status erworben hat. Es ist auch ein klarer Beweis der Bereitwilligkeit der Institutionen, diese Frage von der Peripherie ins Zentrum des gesellschaftlichen Blickfelds zu rücken, und zwar im Fall einer Mainstream Veranstaltung wie den WFW, die sonst keine besondere Neigung demonstrieren, mit den Erwartungen ihres Publikums zu spielen.
Ein Exponat mit Stimme
Einer der Romancharaktere aus „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“ der Emigrantin Dubravka Ugreˇšić sagt Folgendes: „Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass wir lebende Museumsexponate sind.“ Die erste Ausgabe dieses Buches erschien auf Holländisch in den Niederlanden, also in der Emigration. Das kollektive „Wir“ bezog sich auf die Gemeinschaft der JugoslawInnen, auf Menschen, die nach dem Zusammenbruch des Landes den einzigen materiellen Beweis dafür bilden, dass es das Land Jugoslawien gab. Die B&B-Performance versetzte auf ähnliche Art und Weise die GastgeberInnen in die Situation eines Exponats, eines Kunstwerks, das sich im Rahmen der dafür üblichen Transaktion für den Eintrittspreis dem Blick der BesucherInnen stellt. Außerdem ist dieses „Exponat“ ein bewusstes, interaktives, im Werden begriffenes, nicht abgeschlossenes, offenes – ein Exponat mit Stimme. Das „Kunstwerk“, das dazu fähig ist, sich selbst zu interpretieren und seine Präsentation zu korrigieren.
Laut offiziellen Schätzungen zählt die ex-Yu-Gemeinde in Wien um die 180.000 Individuen. Obwohl sie gemeinsam mit anderen MigrantInnen rund 20,7% der EinwohnerInnen Wiens ausmachen, grenzt ihre politische Repräsentation an Innexistenz. Und obwohl schon seit langem festgestellt wurde, dass der Eindringling „unter uns“ weilt, hat es diese Gemeinschaft nicht geschafft, einen überzeugenden politischen Auftritt zu formieren. Abgesehen von kulturfolkloristischen Eigenarten schafften es die JugoimigrantInnen nicht, mit einer gemeinsamen Politik und einem universellen Wert auf sich aufmerksam zu machen und die Grenzen des kulturgastronomischen Partikularismus zu durchbrechen. Das Projekt B&B hegte zwar keine solchen Ambitionen, es bot jedoch die Möglichkeit des Zusammentreffens von zwei getrennten Parallelwelten und die unmittelbare Erfahrung des „Anderen“ unter fairen Umständen. Es ist die Möglichkeit des Erfahrens dieses „Anderen“ ohne die Krücken der Vorurteile und ohne Generalisierungen, wenn man im Dialog die menschlichen Eigenschaften entdeckt, die allen gleich gehören – das Recht auf ein würdevolles, erfolgreiches und erfülltes Leben.
1 Konzipiert in Zusammenarbeit mit Modedesignerin Zorana Janjic, B&B
Uroš Miloradović ist Literaturwissenschafter. Lebt in Wien.