vorrisse

Nein, die Redaktion leidet nicht an Realitätsverlust. Wir haben weder übersehen, dass offiziell keine Wahlen bevorstehen, noch wähnen wir uns mitten in den Donnerstagsdemos, in denen die Anti-Schwarzblau-Stickers Johanna Kandls so unübersehbar die Szenen prägten. Nach langen Jahren der Schwarz-Weiß-Malerei hat das Antlitz der Kulturrisse wieder Farbe gewonnen, weil die schwarzblaue Regierung sich gerade anschickt, die virtuelle Länge einer vollen Legislaturperiode hinter sich zu bringen.
Konzepte und Wirklichkeiten von Stadt verändern sich zusehends dramatischer und nicht unbedingt in einer Weise, die eindeutige Analysen und Prognosen zulässt. Gerade aufgrund dieser Schwierigkeit dürften sich über das kleine Feld der Urbanismustheorie hinaus auch die Diskurse im Kunstfeld und die Praxen des politischen Aktivismus vermehrt um die Veränderungen des städtischen Raums drehen; und damit auch um die in Bewegung geratenen Vorstellungen von Öffentlichkeit.
In den Charts der Googlesuchen und Medienbeobachtungen sind mit dem zunehmenden Machtgewinn der ÖVP zwei Schlagworte ganz nach oben gerückt: Österreich und Gott.
Unser Staatssekretär hat uns alle durch sein vorbildliches Beispiel dazu angehalten, mit Kunst gegen Gewalt anzutreten. Diesem letzten großen Aufruf des obersten Kunstpolitikers der schwarzblauen Periode haben wir uns nun angeschlossen. Bei uns heißt das Thema allerdings etwas indifferent "Kunst und Gewalt", und das hat wohl mit den Bedingungen und Wechselwirkungen von Kunst und Gewalt zu tun, die sich uns offenbar weniger eindeutig erschließen als dem Staatssekretär.
In seiner Ansprache zur Eröffnung der IG Kultur-Konferenz sektor3/kultur vor zwei Jahren verwies der Soziologe Pierre Bourdieu auf die besondere Bedeutung der Gewerkschaften bei der Formierung einer Gegenmacht gegen die fortschreitende neoliberale Globalisierung und bezeichnete Österreich als "Vorreiter des sozialen Europas".
Auf Land ohne Opposition, die erste Kulturrisse-Ausgabe dieses Jahrs, folgt nun der Schwerpunkt Opposition ohne Land im letzten Heft dieses Jahres.
Land ohne Opposition, das Thema der letzten Kulturrisse-Ausgabe, und die unter diesem Schwerpunkt veröffentlichten Texte von Chantal Mouffe, Isolde Charim, Oliver Marchart u.a. waren offenbar so angriffig, dass unser Angebot, die Kulturrisse für Antworten und Kommentare zu öffnen, erfreulich rege und nicht ohne Emotion aufgenommen wurde.
Land ohne Opposition soll kein fundamental-destruktives Bashing der parlamentarischen Opposition darstellen, sondern den bescheidenen Versuch, die partielle Bewußtlosigkeit zu durchbrechen, die die Oppositionsparteien seit Etablierung der schwarzblauen Regierung befallen zu haben scheint.