Warentausch mit Schieflage
Flexibel zu sein beinhaltet Entgrenzung. Entgrenzung von Zeit, von fixen Lebens- und Zeitabschnitten. Grenzen verschwimmen: Erwerbsarbeit und Freizeit gehen ineinander über, insbesondere dann, wenn es keine räumliche Trennung von Zuhause und Arbeitsplatz gibt.
Flexibel zu sein beinhaltet Entgrenzung. Entgrenzung von Zeit, von fixen Lebens- und Zeitabschnitten. Grenzen verschwimmen: Erwerbsarbeit und Freizeit gehen ineinander über, insbesondere dann, wenn es keine räumliche Trennung von Zuhause und Arbeitsplatz gibt. Versorgungsarbeit setzte immer diese Flexibilität voraus, Frauen hatten seit Anbeginn der Reproduktionsarbeits-Zeit rund um die Uhr abrufbereit für ihre Familienmitglieder zu sein. Grenzen in der Versorgungsarbeit als Teil affektiver Arbeit sind schwierig zu ziehen, auch wenn sie inzwischen zu einer Ware geworden ist: Wo hört deine Arbeitszeit auf, wenn du 24 Stunden pflegen sollst? Welche Arbeiten sollst und darfst du ablehnen? Holz hacken, streicheln, Gäste bedienen, Haare schneiden, deine ArbeitgeberIn herumtragen, mit deiner ArbeitgeberIn im gleichen Bett schlafen, die einen Stock höher liegende Wohnung der Tochter putzen? Wo werden die Grenzen deiner körperlichen Integrität überschritten? Wie können Grenzen in dieser Beziehungs-Arbeit, in dieser Arbeits-Beziehung standhalten und einforderbar sein? Die Produktion von Affekten geht einher mit der Produktion einer Beziehung – zu einem Kunden, einer Patientin, einer Arbeitgeberin. Versorgungsarbeit und Dienstleistungsarbeit erfordern interpersonelle Kompetenz, die Fähigkeit empathisch zu sein, die Bedürfnisse des Gegenübers kennen zu lernen. Die ausgetauschte Ware ist die Beziehung zwischen Kunde und Verkäufer, zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin selbst. Die Subjektivität der ArbeiterIn selbst mit ihren intimsten Eigenheiten wie Sprache, Gefühle, Bedürfnisse wird in Wert gesetzt.
Erwartungen und Zuschreibungen
Mittels gerichteter Erwartungen werden Geschlechterrollen mit und weiter re-produziert. Das gilt für noch nicht Geborene, bezüglich deren Zukunft – in Abhängigkeit von Geschlecht – schon Wünsche und Hoffnungen bestehen, das gilt für Kinder, die heranwachsen, sowie für Erwachsene. Es gilt auch für MigrantInnen, die am legalen oder informellen Arbeitsmarkt nach Beschäftigung suchen. Vermeintliche Kenntnisse über Fähigkeiten und Eigenschaften erfolgen entlang geschlechtlicher Zuschreibungen, oftmals unabhängig davon, welche Ausbildung und Erfahrung von der Person mitgebracht werden. Frauen können putzen, Frauen können pflegen – das wird nicht in Frage gestellt, danach wird nicht gefragt. Anders bei Männern, ihnen wird kein angeborener Sinn für Sauberkeit und Empathie unterstellt. Damit werden sie für die häusliche Putzarbeit und Pflegearbeit von vorneherein disqualifiziert. Unterstellte Kraft und Stärke lässen sie eher als Gärtner, Hauswart, Kolporteur oder am Bau Arbeit finden. Je höher der Anteil an affektiver Arbeit, der verlangt wird, umso wesentlicher wird das unhinterfragte Geschlecht bei der Einstellungsentscheidung.
Haus- und Pflegearbeit als Arbeit
Arbeitsverhältnisse und Geschlechterverhältnisse stehen in Beziehung und oft auch in einem Spannungsverhältnis zueinander. Sie sind keine ahistorischen Gegebenheiten, die als Kontinuum durch die Geschichte wandeln, sie sind veränderlich und eingebettet in die jeweiligen Produktionsverhältnisse. Die Sichtweise, dass Hausarbeit als Arbeit wahrgenommen wird, nicht einfach aus Liebe geschieht und mit Freizeit in eines zu setzen ist, ist im Zuge der zweiten Frauenbewegung erkämpft worden. In einer Vielzahl von Diskussionen, Workshops und Sommeruniversitäten sind die unsichtbare Geschichte von Frauen sowie von Frauen in der Geschichte erforscht, der Wandel von Arbeitsverhältnissen entlang von Geschlechterverhältnissen, die Genese von Hausarbeit, gesellschaftlicher Diskriminierung und die Entstehung der Geschlechter selbst diskutiert worden. Sowohl Lohn- als auch Hausarbeit sind kapitalistische Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse. „Wer behauptet, dass die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb das Hauses zu finden, erfasst nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbandes ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens“, schreibt Maria Rosa Dalla Costa. Lohn- und Hausarbeit sind im Zuge der Herausbildung des Kapitalismus entstanden, mit der Entstehung von Märkten und Geld (in ihrer kapitalistischen Form), der Trennung von Arbeitszeit und Freizeit, von Arbeitsort und Wohnort, mit der Entstehung von Nationalstaaten und seinen Grenzen, von öffentlich und privat und mit der Festschreibung der Geschlechterrollen. Hausarbeit entstand als eine Arbeit, die in den eigenen vier Wänden verrichtet wird, unsichtbar für die Außenwelt und unsichtbar, weil nicht bezahlt. Die Entwertung weiblicher Arbeit (in der Hausarbeit) setzt sich fort als systematische Lohndiskriminierung am Arbeitsmarkt, und das nicht nur bei Pflege- und Versorgungsberufen. Die Arbeitsformen Lohnarbeit sowie Haus- und Pflegearbeit folgen unterschiedlichen Zeitlogiken. Effizienz, Schnelligkeit, und Rationalität sind prägend für die (fordistische) Zeitlogik der Lohnarbeit. Wird aber schnell geliebt und rationell gepflegt, verliert die affektive Arbeit ihre „wertvolle“ Qualität. Wieviel und welche Arbeiten Hausarbeit umfasst, ist wiederum abhängig von ihrer historischen Verortung und darüber hinaus auch immer von der jeweiligen sozialen Schicht, in der oder von der sie verrichtet werden soll. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus waren große Teile der Wiener Bevölkerung Dienstbotinnen oder Dienstboten. Für manche Kreise bestand schon immer die Möglichkeit, diese Form der Arbeit zu delegieren. Die Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus war und ist von Migrationsbewegungen begleitet, einer Migration zwischen Stadt und Land und der Migration über Grenzen hinweg. Je nach Herkunft und Status ergeben sich für MigrantInnen unterschiedliche Einbindungen und Anknüpfungspunkte in die jeweiligen Arbeitsmärkte.
Hierarchien und aufgelöste Grenzen
Die Aufhebung der Trennung von Freizeit und Arbeitszeit hat innerhalb der Linken lange Zeit die Vorstellung von einem Ende des Kapitalismus und dem Beginn einer neuen Zeit ohne Ausbeutung und Entfremdung begleitet. Die gegenwärtige Entgrenzung von Freizeit und Arbeitszeit ist hingegen oft von einem umfassenderen Zugriff der Verwertungslogik auf die (eigene) Existenz begleitet. Die Auflösung der Grenzen geht weiters mit einer Unterminierung von rechtlichen Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen einher. Und nochmals: Abgrenzungen in der Versorgungsarbeit als Teil affektiver Arbeit sind generell schwierig. Um wie viel schwieriger ist es, auf Grenzen zu bestehen, wenn die Position des Arbeitgebers/ der Kundin eine privilegierte ist, wenn in dieser Arbeitsbeziehung sich Hierarchien verstärken, die z.B. aus dem unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Status zwischen ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn resultieren? Bezahlte Haushaltsarbeit findet vorwiegend in der informellen Ökonomie statt und wird vor allem von Migrantinnen erbracht. Die Flexibilität und die durch ihre reduzierten Wahlmöglichkeiten notwendige Anpassungsfähigkeit der illegalisierten Migrantin werden von ArbeitgeberInnen als wichtiger Vorteil für ihre Beschäftigung angesehen. Bridget Anderson bezeichnet die über eine Haushaltsarbeiterin ausgeübte Macht als sehr direkt, persönlich und materiell. Die Arbeit im „Zuhause“ findet in den meisten Fällen informell und ohne Öffentlichkeit statt. „Die Freiheit, zu gehen“ wird zu einem der wenigen Mittel, der uneingeschränkten Macht, der ArbeitgeberIn etwas entgegenzusetzen angesichts der Tatsache, dass Arbeitsrechte von illegalisierten Migrantinnen schwer einklagbar sind und Organisierung sich schwierig gestaltet. Anderson beschreibt weiters, dasss die erhöhte Abhängigkeit von Migrantinnen für ArbeitgeberInnen ein wichtiger Grund ist, MigrantInnen anstelle von Mehrheitsangehörigen zu beschäftigen – eine plötzliche Abgabe des Arbeitsplatzes wird als weniger wahrscheinlich angenommen. Die Arbeitsbeziehung also ist eine hierarchische und die Position des Arbeitgebers wird von den Haushaltsarbeiterinnen als privilegierte verstanden. Die simple Existenz der „Bedienerin“ impliziert Hierarchie: „Es ist vielleicht gesellschaftlich oder historisch ein Moment, wo es diese Gruppen gibt. Leute, die eine Putzkraft brauchen und Leute, die einen Job brauchen. Und es ergänzt sich. Aber für mich ist das Wichtigste, die eigene Position [als Arbeitgeberin] zu hinterfragen, sich einfach ein bisschen distanzierter zu betrachten als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft.“
„Ich bin nicht stolz, dass ich informell gearbeitet habe, und, dieser Beruf ist keine Ehre ... Und weißt du warum? Denn die Leute, bei denen ich gearbeitet habe (und auch die Arbeitgeber von meinen Freunden) – meistens die Familie, behandeln [uns[ von oben herab. Ich meine ... Sometimes they treat us like a shit! (sorry) Ich kenne die Menschen, die ihre Arbeiterinnen sehr oft respektlos behandeln ... weil sie Ausländerinnen sind ... oder weil sie einfach weniger Geld haben und arbeiten müssen … keine Ahnung warum ... Sie sind sehr stolz, dass sie„Dienerinnen“ haben ... oder was?“ Sagen zwei junge Frauen, die in privaten Haushalten putzen und pflegen und im Zuge eines laufenden Forschungsprojektes interviewt wurden. Andererseits wirkten ArbeitgeberInnen, die ihre gesellschaftliche Position reflektieren, sehr bemüht, wenn sie versuchen, den unterprivilegierten Status ihrer Haushaltsarbeiterin schönzureden und aufzuwerten. „Sie [die Arbeitgeberin] ist total korrekt. Und sie sagt nicht, dass ich eine Putzfrau bin. Danke, danke! Mir ist das scheißegal eigentlich. Putzfrau, Haushalt – kein Problem. Ich fühle diese Wörter nicht, das ist nicht meine Sprache. Aber, ich hab schon hundert Mal gedacht, wenn ich ein Mann wäre, dann könnte ich bei einer Baustelle einfach arbeiten und normal verdienen.“ Durch die überwiegende Zuweisung dieser Arbeit an Frauen, ihre gesellschaftliche Geringschätzung und Unterbezahlung, wird die ökonomische sowie soziale Ungleichverteilung entlang geschlechtsspezifischer und ethnisierter Segmentierungen einzementiert.
Innerhalb postfordistischer Arbeitsverhältnisse kommt es zu einer Reihe von Verschiebungen. Mit den Arbeitsverhältnissen ändern sich Geschlechter- und Migrationsverhältnisse und umgekehrt. Affektive Arbeit wird zum Strukturmuster vieler Arbeits- und Produktionsformen und als solche produktiv für den Kapitalismus, die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit hält sich nicht mehr an ihre frühere Norm und die Zeit erhält eine neue Logik.
Literatur:
DALLA COSTA, MARIA ROSA(1973): Die Frau und der Gesellschaftliche Umsturz. In: JAMES, SELMA (Hg.): „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“. Berlin: Merve-Verlag.
ANDERSON, BRIDGET (2006): „A very private business: migration and domestic work. Studie des Centre on Migration, Policy and Society – COMPAS, University of Oxford
Bettina Haidinger und Käthe Knittler sind feministische Ökonominnen, leben und arbeiten in Wien.