Die Sache mit Helga
Manchmal kommt auch die Helga vorbei und trinkt ein paar G’spritzte. „Zum Runterkommen“, wie sie gerne sagt. Die Helga, müssen Sie wissen, ist nämlich eine Kulturmanagerin. Die hat ihren Schrebergarten hauptsächlich zum „Runterkommen“.
Jetzt, wo uns die Natur mit so vielen warmen Tagen beschenkt, ist eine der Hochzeiten für den Kleingärtner respektive die Kleingärtnerin. Die Rosen stehen in schönster Blüte. Manche Beete können schon abgeerntet und mit Gründünger versehen werden. Ölrettich, Inkarnatklee und Weißer Steinklee eignen sich sehr gut dazu. Ich gehe auf meine alten Tage immer mehr zur Gründüngung über. Natürlich könnte man um diese Jahreszeit noch Gurken, Kohlrabi, Kopfsalat oder Mangold aussähen, aber ich gönne dem Boden lieber seine Ruhe. Nicht so sehr, weil es der Boden nicht aushalten täte, nein, vielmehr weil ich es nicht mehr so aushalte. Oder besser gesagt, nicht mehr aushalten will. Viel lieber sitze ich an diesen schönen Tagen in meinem Kleingarten, schau’ in die Luft oder lade eineN der NachbarInnen zu einem Sommer-G’spritzten und Apfelkompott ein. Mein lauschiges Plätzchen unter dem Fliederbusch ist beliebt in unserer Kleingartensiedlung.
Manchmal kommt auch die Helga vorbei und trinkt ein paar G’spritzte. „Zum Runterkommen“, wie sie gerne sagt. Die Helga, müssen Sie wissen, ist nämlich eine Kulturmanagerin. Die hat ihren Schrebergarten hauptsächlich zum „Runterkommen“. Wovon sie runter und wohin sie da dauernd „raufkommt“, kann ich beim besten Willen nicht sagen, denn die Helga ist eigentlich eh eine von der gemütlichen Sorte. Manchmal sitzt sie tagelang mit ihrem Laptop im Garten und schreibt Konzepte oder Subventionsanträge und so Sachen. Sieht nicht sonderlich anstrengend aus, wenn ich sie so zwischen Gartentischerl und Hängematte herumgehen seh’. Ein bisserl lesen, ein bisserl schreiben und dazwischen ein kleines Nickerchen.
Aber nicht, dass Sie jetzt denken, die Helga sei faul. Da wären Sie ganz auf dem Holzweg. Die Helga nämlich, die kann was! Wenn es ein Projekt erfordert, macht sie auch schnell einmal eine kleinere Elektroinstallation, baut Festzelte auf oder spielt eine Nacht lang die Kellnerin. Einen Tag ist sie Projektleiterin und am anderen Hilfskraft bei einem anderen Projekt. Heute kleines Schwarzes zum Cocktailempfang, morgen Latzhose und Gummistiefel beim Ausmessen einer Festivalwiese, einmal mit Bierfahrern verhandeln und ein andermal eine Podiumsdiskussion zu divergierenden Kunstkonzeptionen moderieren. Eine bunte Erwerbsbiografie, wenn man es nett formulieren will – akademisches TagelöhnerInnentum, wenn man es ein bisserl bissiger sagen möchte.
Oft wird es ihr nämlich schon zu bunt, mit wie vielen Tätigkeiten sie sich ihr Auskommen verdienen muss. Dann kommt sie zu mir, trinkt einen G’spritzten, und ich versuche sie ein bisserl aufzuheitern. Am besten geht das – sie werden es kaum glauben – mit meiner Marx-Engels-Gesamtausgabe. Die habe ich nämlich in den frühen 1990er Jahren billig erstanden. 43 Bände! Und da lese ich ihr aus dem Band 3, „Die deutsche Ideologie“, vor. Darin findet sich nämlich eine der seltenen Beschreibungen, wie sich Marx und Engels den Sozialismus vorgestellt haben. Die haben gemeint, dass „jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“.
Dann lacht die Helga und meint, dass sich Marx und Engels das wohl schöner vorgestellt hätten – die zwei alten Deppen. Und ich freu’ mich auch, weil die Helga lacht.