„Aktion Denkmal“ Ein Ort der Erinnerung in Oberwart
Als am 5. April 1945 Oberwart von den sowjetischen SoldatInnen befreit wurde, erinnerte nichts mehr an die Roma und Romnija, die hier über Jahrhunderte gelebt hatten. Dieses Bild ähnelte sich vielerorts in den burgenländischen Gemeinden, die einstigen MitbürgerInnen waren von der Bildfläche verschwunden. Eine Entwicklung, die Jahre zuvor begann, eigentlich Jahrhunderte zuvor. Schon kurz nachdem die Romvölker im europäischen Raum angekommen waren, wurden sie Opfer von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. Dabei variierten die Stufen der Diskriminierung je nach Ort und Zeit. Ihren furchtbaren Höhepunkt erreichte die Verfolgung der Roma/Romnija und Sinti/Sintize jedoch im 20. Jahrhundert, im Massenmord der NS-Diktatur.
Jahrhunderte alte rassistische Klischees prägten das Bild der Mehrheitsbevölkerung von Romvölkern in Europa und mündeten in politischen rassistischen Maßnahmen gegen die Romvölker. Bereits in der Zwischenkriegszeit gab es konkrete Überlegungen, Roma und Romnija aus dem Burgenland zu vertreiben. Nach der Machtübernahme der NationalsozialistInnen, durch eine Kette von Entwicklungen ausgelöst, beschlossen maßgebliche NS-Politiker, die Angehörigen der europäischen Romvölker zu eliminieren. Hunderttausende Menschen wurden in dieser Zeit von den NazischergInnen ermordet.
Nur wenige überlebten, meist stark traumatisiert. Im Burgenland waren es nur rund 10% der Romabevölkerung, manche Siedlungen waren zur Gänze ausgelöscht. Diejenigen, die das Schrecken überlebt hatten, machten sich meist zu Fuß auf den Weg von den Konzentrationslagern in ihre früheren Heimatgemeinden, doch fast überall erwartete sie das gleiche Bild. Ihre Siedlungen und ihre Häuser waren zerstört, nichts erinnerte mehr an den Ort, an dem sie einst gelebt hatten. Die Siedlungen waren auf Befehl der NS-Administration zerstört worden. In den meisten Fällen wurden sie davor noch von der Mehrheitsbevölkerung geplündert. Die zurückgekehrten Roma und Romnija waren nun obdachlos und suchten nach neuen Bleiben. Vereinzelnd entstanden neue, von Armut geprägte Siedlungen im Burgenland, wie schon vor dem Holocaust lagen sie meist abseits der Orte.
Der österreichische Opfermythos – ein einzigartiges Phänomen im Umgang mit der belasteten Vergangenheit – ermöglichte dem Staat ein Ignorieren des Unrechts, das den Roma/Romnija und Sinti/Sintize angetan wurde. Katastrophale Verhältnisse bei den Entschädigungszahlungen, sofern sie überhaupt vorgenommen wurden, sowie der nach wie vor vorhandene Antiziganismus und die damit verbundene anhaltende Diskriminierung und Ausgrenzung führten zur weiteren lang andauernden Segregation der Roma und Romnija in der 2. Republik. Dieses traurige Bild prägte die österreichische Nachkriegsgesellschaft und vor allem das Leben der Roma und Romnija des Burgenlandes. Mitte der 1980er-Jahre reichte es einigen jungen Menschen aus den Mehrheitsbevölkerungen, sie suchten den Kontakt zu den „verstoßenen“ Roma und Romnija. Ein erstes Projekt, das daraus resultierte, sollte ein temporäres Denkmal für die ermordeten Roma und Romnija in Oberwart werden, der Titel dafür war „Aktion Zigeunerdenkmal“ (zur damaligen Zeit gab es noch keine Diskussion über das Wort „Zigeuner“). Der 20. Juni 1980, der Tag an dem das Denkmal aufgestellt werden sollte, rückte immer näher, und gemeinsam installierte die Gruppe das Denkmal. Eine Tafel, mit Stacheldraht umwickelt, darauf zu lesen in der Form eines Kreuzes „Tot, Tot, Verschleppt, Ermordet, Tot, Tot, Tot“. Das Aufstellen dieser temporären Einrichtung brachte zahlreiche Probleme mit sich und stieß fast ausschließlich auf Widerstand. Nachdem es trotzdem endlich geglückt war, folgte prompt eine vielsagende Reaktion. In der Nacht wurde das Denkmal mit Farbe übergossen, der Text verschwand hinter einer dicken weißen Schicht Farbe. Daraufhin erstatteten die InitiatorInnen Anzeige bei der Polizei. Die Ausforschung des/der Täter/ Täterinnen blieb erfolglos, obwohl sie wirklich nicht allzu schwer gewesen sein sollte, hatten doch die TäterInnen im Wirtshaus mit ihren „Heldentaten“ geprahlt. Die Aktion war vorbei, doch der Wunsch nach einem Mahnund Erinnerungsmal blieb. Nicht nur der Wunsch blieb, sondern auch die Bemühungen, und als man nun auch Bestrebung des Unabhängigen Antifaschistischen Personenkomitee und der politischen Opferverbände für ein Denkmal wahrnahm, konnte ein solches endlich errichtet werden. Im Jahr 1989 konnte ein Denkmal für die „Oberwarter Opfer des Nationalsozialismus“ eingeweiht werden, die Innschrift erinnerte an die Oberwarter „Zigeuner“ und „besonders“ an die politisch verfolgten Opfer. Der Text war dennoch für das damalige Burgenland revolutionär, da es ein Denkmal für „Zigeuner“ sonst nur in Lackenbach beim Anhaltelager gab. Heute ist er allerdings nicht mehr angemessen. Deshalb initiierte die Volkshochschule der Burgenländischen Roma im Jahr 2013 eine Überarbeitung, nun erinnert die Tafel ohne jegliche Hierarchie an alle NS-Opfer Oberwarts. Das Wort „Zigeuner“ wurde gestrichen und durch „Roma und Romnija“ ersetzt. Vielleicht ein weiterer Schritt im Kampf gegen Antiziganismus und ein mutiges Zeichen, das hoffentlich auch bald in Lackenbach nachgeahmt wird.
Der Kampf für ein Denkmal in Oberwart dauerte lange, da rassistische Vorurteile tief in den Köpfen weiter Teile der Bevölkerung verankert sind. Dass es schlussendlich funktionierte, kann auf das unermüdliche Engagement einiger AktivistInnen zurückgeführt werden. Dennoch ist Oberwart nur eine Gemeinde von vielen, deren Romabevölkerung unermessliches Leid zugefügt wurde. Viele andere Gemeinden lehnen es bis heute ab, ein Denkmal oder wenigstens eine Gedenktafel zu errichten. Bis eines Tages in allen burgenländischen Gemeinden an die Opfer des NS-Terrors erinnert wird, ist es noch ein sehr langer Weg.