Yvonne Gimpel (IG Kultur): „Von den Drohgebärden von rechts nicht einschüchtern lassen“
Ein Gespräch mit Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, über den Stillstand in der Kulturpolitik, überhandnehmende ökonomische Tendenzen und wie der Kulturbereich wieder politisch relevant werden könnte.
Kwasi: Was waren die wichtigsten kulturpolitischen Maßnahmen im ersten Jahr der schwarzblauen Regierung?
Gimpel: Wenn man auf das letzte Jahr aus kulturpolitischer Perspektive zurückblickt, vor allem mit Fokus auf Zeitkultur, dann ist es ein verlorenes Jahr, ein Jahr der vergebenen Chancen. De facto ist nicht viel passiert. Es gab große Ankündigungen im Regierungsprogramm, die andeuten, dass ein tiefgreifender Umbau angestrebt wird; Stichwort: Kulturförderung als Sprungbrett in die wirtschaftliche Unabhängigkeit, als wären alle Kulturschaffenden Ein-Personen-Unternehmen, die nur einer Anschubfinanzierung bedürfen und dann trägt sich das schon selbst. Das hat mit der Realität im Kultursektor natürlich wenig zu tun. Allerdings ist es bislang bei den Ankündigungen geblieben.
Was konkrete Maßnahmen betrifft, hat sich schlicht kaum etwas getan. Kurzum: In diesem Jahr wurde ein Pflichtprogramm absolviert, ein Soll, das ohnehin schon terminisiert war, etwa durch die EU-Ratspräsidentschaft oder die Notwendigkeit, ein Budget zu beschließen.
Dabei gibt es durchwegs großen Handlungsbedarf. Die Palette reicht von der Verbesserung der sozialen Lage und der Arbeitsbedingungen, über Steuerfragen bis zum Dauerthema Kulturförderung. Zu all diesen Themen gibt es bislang keinen Dialog oder Austausch. Wir wissen nicht, ob hinter verschlossenen Türen daran gearbeitet und etwas vorbereitet wird oder ob man es auf später irgendwann geschoben hat. Offensichtlich ist aber, dass Kulturpolitik und Dialog mit der Praxis dazu keine Priorität darstellen.
Kwasi: Inwiefern unterscheidet sich das denn von den vorherigen Bundesregierungen?
Gimpel: Es ist sicherlich nicht so, dass diese Themen und Probleme, wie sinkende Budgets, fehlende Absicherung, prekäre Arbeitsbedingungen, steigender Druck zur Vermarktlichung, Kultur immer mehr als Konsumgut für zahlungskräftige Klientel, etcetera etcetera, etwas Neues wären. Diese Entwicklungen schreiben sich seit Jahren und Jahrzehnten fort und werden immer gravierender. Hier wurde immer wieder verabsäumt, eine Trendwende einzuleiten. Momentan erkennt man aber nicht einmal mehr den Willen dazu, eine Trendwende einleiten zu wollen, im Gegenteil. Im Vergleich mit der Vorgängerregierung unter Kulturminister Thomas Drozda muss man feststellen, dass damals Fragen wie für wen machen wir eigentlich Kultur zugänglich oder Inflationsanpassung bzw. Valorisierung der Kulturförderung zumindest immer wieder Thema waren. Und es gab ein Austauschformat mit den Open Spaces, die veranstaltet wurden. Auch wenn jetzt überall im Regierungsprogramm etwas von Kulturdialog steht, hat ein Jahr nach Regierungsantritt ein Austausch immer noch nicht stattgefunden. Nicht einmal ein Antrittsgespräch, in dem man sich mal über die verschiedenen Interessen und Problemlagen austauschen kann, gab es bislang.
Kwasi: Zumindest wurde noch nicht gekürzt. Aber zeigt es nicht die niedrigen Ansprüche in der Kulturpolitik, es als Erfolg zu feiern, dass das Budget gleichgeblieben sei?
Gimpel: Da muss man fragen: Wer feiert das als Erfolg? Da klopft man sich selbst dafür auf die Schulter, dass man den miserablen Stand der Dinge auch weiterhin fortführt. Auch wenn auf minimale Erhöhungen in absoluten Zahlen im Budget 2018 verwiesen wird, geht es um einmalige Erhöhungen, die zweckgewidmet sind, etwa für das Gedenkjahr oder die Ratspräsidentschaft. Davon sieht die freie Szene nichts.
Kwasi: Was für Maßnahmen gab es aus anderen politischen Bereichen, die für die freie Szene relevant sind?
Gimpel: Es ist eher so, dass schwer zu sagen ist, welcher Bereich sich nicht auch auf den Kultursektor niederschlägt. Entwicklung etwa im Bereich Zivilgesellschaft, Frauenpolitik, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind auch für den Kultursektor höchst relevant. Hier sehen wir klar, dass Solidarmechanismen systematisch in Frage gestellt und immer mehr abgebaut werden. Begonnen mit dem Stopp der Aktion 20.000, die doch etlichen Kulturvereinen ermöglicht hat, zumindest temporär ihr Team zu verstärken, über die Kürzungen beim AMS, wo arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auch dem Kulturbereich zugutekommen, bis zur Mindestsicherungskürzung und dem angekündigten Arbeitslosengeld Neu. Das wird die Lebensbedingungen weiter verschärfen, denn vor allem für die im Kulturbereich typischerweise ohnehin prekär Beschäftigten wird der Zugang zu Arbeitslosengeld und sozialen Sicherungssystemen damit noch schwieriger als bisher. Von den drastischen Kürzungen in der Frauenförderung ganz zu Schweigen.
Aus kulturpolitischer Perspektive besonders interessant ist zu fragen, wie es der Zivilgesellschaft allgemein geht. Hier nehmen wir wahr, dass die Spielräume immer enger werden. Beteiligung findet nicht mehr statt, solidarisches Engagement wird erschwert, Grundrechte werden eingeschränkt. Es gibt Angriffe gegen die Meinungs- und Pressefreiheit und auch gegen die Freiheit der Kunst, mit ordentlichen Verbalattacken vor allem von der FPÖ gegen kritische Kunst. Das ist jetzt kein neues Phänomen – neu ist aber, dass es jetzt von einer Regierungspartei kommt. Das hat ein ganz anderes Drohpotential an alle, die nicht so stark in der Öffentlichkeit etabliert sind und gegen solche Einschüchterungsversuche mobilisieren können: wenn ihr euch äußert, müsst ihr auch mit Konsequenzen rechnen!
Kwasi: Welche Zukunftsperspektiven siehst du für den Sektor? Welcher Kurs hat sich da im ersten Jahr angedeutet und was kann man von den nächsten Jahren von Schwarzblau erwarten?
Gimpel: Man wird schauen müssen, was von den vielen Ankündigungen auch tatsächlich umgesetzt wird. Wird man eine Kunst- und Kulturstrategie entwerfen oder wird es bei punktuellen Maßnahmen bleiben? Wenn sie ihre Vorhaben umsetzen, geht es allerdings in eine klare Richtung: der ökonomische Leistungs- und Verwertungsdrucks wird weiter erhöht, ebenso wie der Legitimations- und Evaluierungsdruck, inklusive des damit verbundenen steigenden bürokratischen Aufwands für einen minimalen Anteil an Mitteln. Kulturminister Blümel wiederholt ständig, dass er möchte, dass das Geld bei den Kunstschaffenden ankommt und nicht in den Strukturen versickert. Da muss man fragen: Von welchen Strukturen spricht er? Bei wem will und kann er einsparen? Sind damit Strukturen der Kultureinrichtungen und Kulturvereine gemeint? Also all die, die versuchen eine Basisstruktur für kontinuierliche Kulturarbeit aufrecht zu halten, die Räume anbieten, Festivals organisieren, Theater programmieren, etcetera? Also ganz flapsig ausgedrückt, all jene die Kunstschaffende und Publikum erst zusammenbringen und hier arbeiten. Wenn diese Strukturen weiter unterminiert werden, wird das erst recht zu einer immer prekäreren Situation für Kulturschaffende führen, bei der mittelfristig eine Entprofessionalisierung und ein sehr reduziertes Angebot zu befürchten wäre.
Kwasi: Bei Schwarzblau in Oberösterreich haben wir schon ein massives Ausdünnen des Kulturbereichs beobachten können, im Bund haben wir die Kürzungen bei Frauenvereinen bereits erlebt. Könnte man da nicht erwarten, dass auch im Bund bei der freien Szene bald entsprechend gestrichen wird?
Gimpel: Kürzungen im Bereich der Freien sind zu befürchten, verbunden mit starker Fokussierung in Richtung einzelner Calls, die dann eine Leuchtkraft nach außen haben sollen, also einen Fokus auf Repräsentativität. Es wird wohl eine Politik, die eine Anschubfinanzierung leisten möchte, aber dann soll Kunst und Kultur alleine am Markt überleben können. Von Ermöglichen, von Breitenförderung, Aufbauarbeit oder Teilhabe an Kultur, da ist nichts zu hören.
Kwasi: Sieht man das politische Potential von Kunst und Kultur nicht mehr?
Gimpel: Es ist interessant, dass zentrale kulturpolitische Fragen nicht mehr im Rahmen von Kulturpolitik verhandelt werden. Denn über Kultur wird nach wie vor sehr viel diskutiert, nur läuft das fast ausschließlich unter Sicherheits- und Migrationsdiskursen. Fragen, wie wir leben wollen und wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen, werden dort viel stärker verhandelt, obwohl Kunst und Kultur diese Räume anbieten würde, in denen etwas ausgehandelt, probiert, erprobt werden kann oder Innovation stattfinden kann.
Kwasi: Könnte aus dem Kunst- und Kulturbereich nicht auch ein Impuls kommen, sich wieder politisch relevanter zu machen? Sich zum Beispiel stärker auf genau diese Themen draufzusetzen?
Gimpel: Ich würde Arbeit und Soziales stärker aufgreifen. Es gibt eine gewisse Scheu, über die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen zu reden. Ich würde das aber viel massiver forcieren und entmystifizieren. Die meisten im Kulturbereich kennen aus persönlicher Erfahrung zentrale gesellschaftliche Fragen wie mangelnde soziale Absicherung, Angst vor Altersarmut, Gender Pay Gap, der immer weiter auseinandergeht, etc. Das heißt, wenn man damit stärker arbeitet, was die eigene Erfahrungen, aber auch jene von einem immer größer werdenden Segment der Bevölkerung widerspiegelt, dann kann man auch kulturelle Dinge wieder näher an die Menschen bringen.
Eine zweite Ebene ist jene, dass man sich durchwegs politisch einmischen sollte und sich nicht von den Drohgebärden von rechts einschüchtern lassen sollte. Im Gegenteil, wir müssen umso wachsamer und vehementer auftreten. Man sollte sich nicht fürchten und denken, wenn man sich zu kritisch äußert, könnte man im nächsten Jahr die Förderung verlieren. Das ist langfristig betrachtet sicher ein Eigentor. Wenn wir untergehen sollten, dann schon mit wehenden Fahnen!
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Yvonne Gimpel ist seit März 2018 Geschäftsführerin der IG Kultur. Davor war sie unter anderem bei der Österreichischen UNESCO-Kommission, European Coalition for Cultural Diversity, Arts Rights Justice Network und der Kultursektion des BMUKK.
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Portraitfoto: Alexander Haiden
Coverfoto: Elisabetta Foco on Unsplash