Was wäre wenn...
Was in einer Gesellschaft als Arbeit gilt und als solche benannt und anerkannt wird, ist keine ahistorische Konstante. Im Umstand, dass dem so ist, liegt auch die Möglichkeit und Hoffnung auf Veränderung begründet. Wie die Arbeit in einer Gesellschaft organisiert ist, ist abhängig von den gegebenen Produktionsverhältnissen, Geschlechterverhältnissen und Migrationsregimen.
Arbeitsleben, Arbeitszeit * Lohnarbeit, Erwerbsarbeit, Zeitarbeit, Leiharbeit, Akkordarbeit, Nachtarbeit, Schwerarbeit, Sexarbeit, Kopfarbeit, Handarbeit, Sozialarbeit, Industriearbeit * Arbeitsvertrag, Arbeitsrecht * Arbeitslosigkeit, Arbeitssuchende * Arbeitsplatz, Arbeitsstelle, Arbeitsort * Hausarbeit, Reproduktionsarbeit, Produktionsarbeit, Pflegearbeit, Betreuungsarbeit, Sorgearbeit, Beziehungs- arbeit, Care-Arbeit * Erwerbsarbeitslosigkeit * Frauenarbeit, Männerarbeit, Kinderarbeit *Arbeitserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Arbeitsverbot * Arbeitsmarktzugang * illegalisierte Arbeit * Arbeitsfreude, Arbeitsleid, Arbeitsdruck, Arbeitsstress, Arbeitssucht, Arbeitsunfall * Zwangsarbeit * ArbeitgeberInnen-, Arbeit- nehmerInnen-, Vertretung * Schularbeit, Forschungsarbeit, Seminararbeit, Doktorarbeit * Arbeitszeitverkürzung, Arbeitsverdichtung, Arbeitszeitverlängerung * Arbeitsamt, Arbeitsministerium, Arbeitsgericht, Arbeitsinspektorart, Arbeiterkammer * Arbeitsmigration * Arbeitsdisziplin, Arbeitsregime, Arbeitsorganisation * Arbeitskampf, Arbeitsniederlegung * Streik, Lohnarbeitsstreik, Hausarbeitsstreik, Lächelstreik, Gebärstreik, Generalstreik * Freizeit * .
Was in einer Gesellschaft als Arbeit gilt und als solche benannt und anerkannt wird, ist keine ahistorische Konstante. Im Umstand, dass dem so ist, liegt auch die Möglichkeit und Hoffnung auf Veränderung begründet. Wie die Arbeit in einer Gesellschaft organisiert ist, ist abhängig von den gegebenen Produktionsverhältnissen, Geschlechterverhältnissen und Migrationsregimen. Damit einher gehen spezifische Formen der Ausbeutung, die selbst wiederum geschlechtlich strukturiert sind, und auch die möglichen Widerstands- und Organisierungsformen gestalten sich entlang dieser Strukturelemente sehr unterschiedlich. Historisch betrachtet ist Lohnarbeit eine relativ junge Form der Arbeit. Sie entstand vor rund 200 Jahren als dominante Form der Arbeit gemeinsam mit der Herausbildung des Kapitalismus und der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise. Dasselbe gilt für die Haus- und Reproduktionsarbeit, die als unbezahlte Arbeit in den hauseigenen vier Wänden mehrheitlich von Frauen verrichtet wird. Die Ausgestaltung kapitalistischer Produktionsweisen unterscheidet sich zum einem in Abhängigkeit von verschiedenen Modellen des Wohlfahrtsstaates, von der Ausgestaltung sozialstaatlicher Leistungen, von rechtlichen Zugangsbestimmungen zum Arbeitsmarkt und Grenzregimen, und zum anderen wirkt sich der Strukturwandel von fordistischer zu postfordistischer Produktionsweise auf Arbeitsorganisation und -formen aus.
Die These ist, dass sich durch die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in (zumindest) existenzsichernder Höhe der Bedeutungsgehalt der zu Beginn dieses Artikels angeführten Wörter ändern würde. Das derzeitige Gefüge, wie Arbeit und damit letztlich auch unsere Gesellschaft organisiert sind, würde durch die Einführung ordentlich ins Wanken geraten, würde Spielräume für eine Neugestaltung eröffnen. So viel steht fest. Was alles geschieht, lässt sich allerdings schwer vorhersagen. Im Folgenden soll auf verschiedene Wirkungszusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Sektoren und Arbeitsformen eingegangen werden. Mögliche Auswirkungen eines BGE zu denken, bedeutet auch, die Trennung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, die meist in einer Ausblendung der unbezahlten Arbeit resultiert, zu beenden. Die Umsetzung des BGEs würde die Verteilung von Geld, Arbeit (bezahlte und unbezahlte) und Freizeit und damit be- stehende Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen maßgeblich beeinflussen.
Die vier Sektoren der Wirtschaft
Volkswirtschaftlichen Kategorien folgend lässt sich die Wirtschaft eines Landes in vier Sektoren unterteilen: den öffentliche Sektor, den gewinnorientierten privatwirtschaftlichen Sektor, den Non-Profit-Sektor und den Haushalt. Zusätzlich wird meist noch der informelle Sektor, der u. a. auch Teile der illegalisierten Arbeit umfasst, genannt. Die unbezahlte Arbeit findet überwiegend in den Haushalten, die bezahle Arbeit überwiegend in den beiden zuerst genannten Sektoren statt, der Non-Profit-Sektor speist sich aus beiden Formen der Arbeit. Laut der aktuellen Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria (2009) werden in Österreich jährlich mehr unbezahlte Arbeitsstunden geleistet als bezahlte. Werden unbezahlte und bezahlte Arbeitsleistungen zusammen betrachtet, so entfallen 49% auf die bezahlten Arbeiten und 51% auf die unbezahlten, oder anders formuliert: Jeder bezahlten Arbeitskraft steht (etwas mehr) als eine unbezahlte Arbeitskraft gegenüber. Von den 9,7 Mrd. unbezahlten Arbeitsstunden wird der überwiegende Teil – rund zwei Drittel – von Frauen verrichtet und rund ein Drittel von den Männern. Bei der bezahlten Erwerbsarbeit dreht sich das Verhältnis um. Der Großteil (61%) wird von den Männern verrichtet und 39% von den Frauen. Frauen verdienen – abgesehen von der Lohndiskriminierung – nicht deshalb weniger als Männer, weil sie „zu wenig“ arbeiten, sondern weil sie „zu viel“ unbezahlt arbeiten. Umgerechnet auf monetäre Größen – ein Verfahren, das zu Recht kritisiert werden kann, aber zur Veranschaulichung von Größenordnungen dienen soll – entspricht die unbezahlte Arbeit rund 50% des BIP. Kurz gesagt, ohne diese Arbeiten würde die Wirtschaft von heute auf morgen zusammenbrechen. Nicht alles, was Arbeit ist, bringt Geld, und umgekehrt ist auch nicht jeder Gelderwerb mit Arbeit verbunden, zumindest nicht mit der eigenen Arbeit. So gelten Zinsen, Dividenden sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung als arbeitslose Einkommen. Diese Einkommensarten sind ungleicher verteilt als Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Arbeit. Was bleibt, wenn die bezahlte und unbezahlte Arbeit verrichtet ist, ist die Freizeit. Diese kann dann zum Beispiel für politische oder freiwillige Arbeit verwendet werden. Somit wird deutlich, dass eine scharfe Trennung zwischen Arbeit und Freizeit – selbst dann, wenn ein reguläres nine-to-five-Arbeitsverhältnis vorliegt – nicht leicht zu ziehen ist. Darüber hinaus ist diese Trennung für große Teile der Care-Arbeit, der Wissensproduktion und Kreativwirtschaft, die weitgehend auf immaterieller und affektiver Arbeit beruhen, nicht mehr gegeben bzw. hat diese Trennung für diese Bereiche nie existiert. Bei Projektanbahnung, -entwicklung, -durchführung und -abrechnung im Bereich der selbständigen oder scheinselbständigen Arbeit, unabhängig davon, ob es sich um prekäre Formen der Arbeit handelt oder nicht, sind die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit fließend und ebenso bei der Haus- und Reproduktionsarbeit.
Care-Arbeit und Verteilungswirkungen von Sparmaßnahmen im Sozialbereich
Die Begriffe „Haus-“ und „unbezahlte Reproduktionsarbeit“, erkämpft und etabliert im Zuge der zweiten Frauenbewegung in den 1970er Jahren, bewegen sich entlang der Unterteilung in bezahlte und unbezahlte Arbeit. Care-Arbeit, ein vergleichsweise jüngerer Begriff, umfasst diese beiden Begriffe, setzt allerdings das Tätigkeitsfeld und nicht die Frage der Bezahlung ins Zentrum. So umfasst die Care- bzw. die Sorge- oder auch Versorgungsarbeit alle Arbeiten, die direkt am Menschen (u. a. Altenpflege, Kinderbetreuung) verrichtet werden und erstreckt sich somit über alle Wirtschaftssektoren mit unterschiedlichen AkteurInnen in den Bereichen öffentlicher Sektor, privater Sektor (for profit und non-profit) sowie privater Haushalt. Care-Arbeit kann bezahlt oder unbezahlt sein, kann im Rahmen unbezahlter Hausarbeit, im Rahmen bezahlter privater oder öffentlicher Dienstleistungen oder als illegalisierte oder „teillegale“ Arbeit von MigrantInnen verrichtet werden. Am Beispiel von Sparmaßnahmen im Sozialbereich soll die Verteilungswirkung zwischen den Sektoren und den Geschlechtern dargestellt werden. Als Gedankenexperiment lassen sich darauf auch leicht mögliche Umstrukturierungen, die ein BGE zur Folge hätte, anschließen.
Aufgrund von Sparmaßnahmen stehen weniger öffentliche Spitalsbetten, gesundheitliche Versorgung in einem geringerem Umfang, weniger PensionistInnen- und Pflegeheime zur Verfügung. Die Arbeit verschwindet aber nicht, sie verschiebt sich lediglich in den Bereich der Haus- und Reproduktionsarbeit, d. h. sie wird zur unbezahlten (Frauen-)Arbeit. Somit finden Verschiebungen zwischen öffentlichem Sektor und dem Haushaltssektor statt: Dem Abbau bezahlter Arbeit im öffentlichen Bereich steht ein mehr an Arbeit im unbezahlten Bereich der Haus- und Reproduktionsarbeit gegenüber, zugleich bedeutet das für jene Personen, die diese Arbeit nun verrichten, ein Weniger an Freizeit, oder der informelle Sektor mit seiner Vielfalt an illegalisierten (und deshalb oft billigen) Arbeitsverhältnissen wächst an. Durch Privatisierungen staatlicher Unternehmen werden ehemals staatliche Leistungen direkt in markterbrachte Leistungen umgewandelt, oder es finden sich private AnbieterInnen am Markt, die ehemals staatlich erbrachte Leistungen ersetzen. Diese sind auf Gewinn ausgerichtet (profitorientiert), und oftmals sind die erbrachten Leistungen (bei gleicher Qualität) teurer oder die Qualität verschlechtert sich, und seien es nur die Arbeitsqualität bzw. die Löhne der Beschäftigten. Die Folgen für Privatpersonen, die sich diese Leistungen nicht mehr leisten können, sind dieselben wie zuvor beschrieben.
Das BGE bezieht seine potenzielle Sprengkraft aus zwei Punkten: Erstens gewährt es eine monetäre Anerkennung – bzw. zumindest eine finanzielle Absicherung – für all jene Arbeiten, die bis dato unentgeltlich waren, und zweitens ermöglicht es eine Loslösung vom Zwang zur Lohnarbeit. Ob diese beiden Punkte tatsächlich eintreten, ist untrennbar mit der Höhe des BGEs verbunden. Aufgrund der vielfältigen Zusammenhänge, Vernetzungen und Überschneidungen zwischen den Arbeits- und Lebenszusammenhängen ist es unmöglich, dass eine Maßnahme alleine – selbst wenn sie so umfassend ist wie das BGE – eine Aufhebung bestehender Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse (auch zwischen den Geschlechtern) herbeiführt. Durch das Grundeinkommen würde es allerdings zu Verschiebungen und Veränderungen in all den angesprochenen Bereichen kommen. In diesem Sinne ist es eine wesentlich umfassendere Forderung als beispielsweise die Forderung nach einem Mindestlohn – auch wenn dieser hoch angesetzt wird – oder die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung, auch wenn diese bei vollem Lohnausgleich gefordert wird. Diese beiden Forderungen – die als Ergänzung zum BGE sinnvoll sein können – setzen auf der Dichotomie zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit an, zielen auf Verbesserungen im Bereich der bezahlten Arbeit ab und implizieren das Primat der bezahlten Lohnarbeit als politischem Kampffeld. Anders beim BGE: Hier fangen alle „Räder“ an, sich gleichzeitig zu drehen und zu verändern. Die genauen Auswirkungen sind auch deshalb schwieriger vorherzusagen aber zugleich umso reizvoller. Die Auswirkungen des BGE zu denken, bedeutet, all die angesprochenen Bereiche der Arbeit mitzudenken. Arbeitslose stehen hierbei genauso im Zentrum wie Personen, die in Niedriglohnbranchen beschäftigt sind, wie Personen die überwiegend Hausarbeit verrichten oder Personen ohne Arbeitsgenehmigung.
Literatur Diskussionszusammenhänge:
Arbeitsgruppe Grundeinkommen, die im Rahmen der Studierenden- und Lehrendenproteste 2009 entstanden ist, und eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema organisiert hat; das PrekärCafé, dass sich mit Themen rund um Prekarisierung und somit auch mit dem Grundeinkommen auseinander setzt.
Boudry, Pauline/Kuster, Brigitta/Lorenz, Renate (2000): Reproduktionskonten fälschen. Berlin.
Haidinger, Bettina/ Knittler, Käthe (2008): „Warentausch mit Schieflage, Geschlechterverhältnisse und Arbeitsverhältnisse“. In: Kulturrisse Heft 3/2008. Wien
Haug, Frigga (2009): Die Vier-in-einem-Perspektive. Hamburg
Gubitzer, Luise (2009): „Wirtschaft anders denken“. In: Handbuch Feministische Wirtschaftsalphabetisierung, Hrsg. Autorinnenkollektiv/WIDE. Wien.
Knittler, Käthe (2010): „Prekarisierung, Frauen und working poor & prekäre Statistik“. In: Weiss, Alexandra/ Simetzberger, Verena (Hg.): Frauen im 21. Jahrhundert: Situationen, Herausforderungen, Perspektiven. Gesellschafts- und sozialpolitische Aspekte. Innsbruck.
Olymp, Feministische Arbeitshefte zur Politik: Care-Ökonomie. Neue Landschaften von feministischen Analysen und Debatten, Heft 30/2009.
Statistik Austria (2009): Zeitverwendung 2008/09. Ein Überblick über geschlechtsspezifische Unterschiede, Verfasst von Ghassemi, Sonja/Kronsteiner-Mann, Christa. Wien.
Käthe Knittler ist feministische Ökonomin, lebt und arbeitet in Wien.