VorRisse
Während die Sampling-Praxen von HipHop & Co. längst von den Musikindustrien umarmt werden und in der bildenden Kunst mittlerweile eine Strömung namens Appropriation Art kanonisiert wurde, macht sich an den Universitäten hierzulande wie anderswo eine besondere Art von „Räuber und Gendarm“-Spiel breit: Unter Einsatz von Software-Intelligenz wird zur Jagd auf Plagiate und PlagiatorInnen geblasen.
Während die Sampling-Praxen von HipHop & Co. längst von den Musikindustrien umarmt werden und in der bildenden Kunst mittlerweile eine Strömung namens Appropriation Art kanonisiert wurde, macht sich an den Universitäten hierzulande wie anderswo eine besondere Art von „Räuber und Gendarm“-Spiel breit: Unter Einsatz von Software-Intelligenz wird zur Jagd auf Plagiate und PlagiatorInnen geblasen, und der „Plagiatsjäger“, demnächst vielleicht zum neuen akademischen Berufsstand erhoben, stellt jene unerbittliche Synthese aus Rechtschaffenheit und Verwegenheit zur Schau, die notwendig ist, um im gefahrvollen Dickicht der Diskurse Ordnung zu schaffen. Die Rollen sind in dieser Fragezurichtung so klar verteilt, wie es „Räuber und Gendarm“- oder „Jäger und Wilderer“-Spiele nun mal verlangen – mit ungelehrigen Studierenden als sich an intellektuellen Besitzständen vergreifenden Delinquenten.
Der Ausblendungen gibt es bei all dem, wie die Texte des aktuellen Kulturrisse-Schwerpunkts zeigen, nicht wenige. Sie reichen von Studien- und Betreuungsbedingungen an den Universitäten, die die Ausbildung eines reflektierten Umgangs mit Referenzliteratur nicht gerade begünstigen, bis hin zu diversen Ökonomisierungseffekten und dem daraus resultierenden Druck auf Studierende – Aspekte, denen v.a. Lisa Mayrs Text gewidmet ist. (Nicht von ungefähr wurde die Debatte über Plagiarismus in Sachen hochschulpolitischer Berichterstattung in Österreich von der Auseinandersetzung um die Nicht-Abschaffung der Studiengebühren verdrängt.)
Julia Hertlein plädiert zudem für eine – das Niveau kritischer Theoriebildungen der letzten Jahrzehnte nicht unterschreitende – Rahmenerweiterung der gegenwärtigen Diskussionen und verweist u.a. mit Bourdieu auf die Rolle des „wissenschaftlichen Unbewussten“, das für jegliche wissenschaftliche Arbeit vorbedingend und doch keiner Zitation zugänglich ist. Zugleich kann kaum übersehen werden, dass die Etablierung von rechtlichen Instrumentarien zum Schutz „geistigen Eigentums“ im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht zuletzt den Sinn hatte, Kunst und Wissenschaft an den Eigentumsprivilegien des aufstrebenden Bürgertums teilhaben zu lassen. Die Skandalisierung des Plagiats verdankt sich daher keineswegs einer neutralen Einsicht in die an natürliche Rechte geknüpfte Beziehung zwischen „AutorInnen“ und ihren „Werken“; sie ist vielmehr verquickt mit der Frage gesellschaftlicher Hierarchien.
Mimetische Produktivität lässt sich daher umgekehrt aber auch, wie Konrad Becker argumentiert, als Unterwanderung solcher Hierarchien verstehen, wie sie in diversen Aktivismen und Kunstpraxen seit langem erprobt wird. Den strategisch-taktischen Ausformungen dieser Unterwanderung in der bildenden Kunst und darüber hinaus geht schließlich auch Cornelia Sollfranks Text nach – und zwar nicht ohne zugleich ihre längerfristigen Effekte einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Um aber den Kulturrissen das von Sollfrank der Appropriation Art attestierte „Schicksal“ – Einverleibung in die von ihr doch eigentlich kritisierte Institution Kunst bei gleichzeitiger Neutralisierung ihrer vormals subversiven Potenziale – zu ersparen, setzen wir unseren „Selbsttransformationskurs“ fort und starten mit neuer Coverfarbe, geringfügig veränderter Heftstruktur und erweitertem Redaktionskollektiv ins neue Jahr.