VorRisse
Antisemitismen aber sind kein exklusiv österreichisches Phänomen, sie treten in unterschiedlicher Form und verschiedenartigen Zusammenhängen auf. Grund genug, den Schwerpunkt des vorliegendes Heftes der Frage nach den Notwendigkeiten, Potenzialen und Perspektiven eines politischen Anti-Antisemitismus zu widmen, die diesen im rechten wie auch im linken politischen Spektrum gegebenen Kontexten kritisch Rechnung tragen.
Auf und abseits der patriotischen Trimm-dich-Pfade des österreichischen Trubeljahres 2005 ereignet sich allerlei Merkwürdiges: Missliebig kritische Ausstellungsbroschüren werden eingestampft, einigen Nachdenklichkeitsmimen fällt, wenn sie sich am Erinnern stoßen, nach wie vor nichts Besseres ein als die Empfehlung, lieber gleich zu vergessen, und überhaupt ist Österreich eine einzige Erfolgsgeschichte. Derweilen rauft die nicht mehr ganz so frisch gespaltene extreme Rechte über die Herren Kampl und Gudenus unverdrossen um Sympathieanteile bei den alten und neuen Gestrigen, und es stellt sich einmal mehr heraus, dass mit notdürftigen Chiffrierungen arbeitende Leugner der nazistischen Vernichtungsmaschinerie hierzulande noch immer politische Ämter bekleiden können.
Antisemitismen aber sind kein exklusiv österreichisches Phänomen, sie treten in unterschiedlicher Form und verschiedenartigen Zusammenhängen auf. Grund genug, den Schwerpunkt des vorliegendes Heftes der Frage nach den Notwendigkeiten, Potenzialen und Perspektiven eines politischen Anti-Antisemitismus zu widmen, die diesen im rechten wie auch im linken politischen Spektrum gegebenen Kontexten kritisch Rechnung tragen. Dass ein solcher Fokus auf eine an dezidiert politischen Kategorien orientierte Analyse des Antisemitismus nicht verzichten kann, belegt beispielsweise Alexander Ari Joskowicz' Beitrag über das komplexe Zusammenwirken marginaler und hegemonialer Antisemitismen. Die Texte von A.G. Genderkiller und Marty Huber gehen der Bedeutung von Geschlechterkonstruktionen für die strukturelle Reproduktion von Antisemitismen und damit implizit etwa den Perspektiven queerer Interventionsstrategien nach. Magdalena Marsovszky wiederum beschreibt, vor dem Hintergrund kulturpolitischer Konzepte und Auseinandersetzungen, die Reichweite antisemitischer Diskurse im heutigen Ungarn.
Die Reproduktion von Antisemitismen, Rassismen, aber auch der Konstruktion einer vorzugsweise erfolgreichen und unschuldigen "Normalbevölkerung" kennt andererseits ihre spezifischen Repräsentationstechniken - womit wir wieder beim österreichischen Trubeljahr wären und zugleich bei Ljubomir Bratic' Analyse der Ausstellung "Österreich ist frei" auf der Schallaburg, die eine ganze Reihe von Beiträgen zur Praxis und Politik des Ausstellungswesens einleitet. Schließlich ist noch auf den im Kosmopolitiken-Teil angelegten Sub-Schwerpunkt zu den aktuellen Diskussionen über die EU-Verfassung hinzuweisen, die ihre Fortsetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit finden werden.
Nicht verschwiegen werden soll aber auch ein gerüttelt Maß an Bewegung, das die Kulturrisse erfasst hat: Mit bzw. in der Folge der vorliegenden Ausgabe geht die Rolle des koordinierenden Redakteurs von Gerald Raunig an Markus Griesser (mailto: @email) über. Ersterem, der der Redaktion auch weiterhin angehören wird, sei an dieser Stelle ebenso herzlich für seine jahrelange Aufbauarbeit gedankt, wie wir Zweiteren freudig willkommen heißen. Der Rollentausch ist Teil einer umfassenderen Laborphase, in die die Redaktion eingetreten ist und an deren Ausgang ein redaktioneller Relaunch der Kulturrisse ab dem nächsten Heft stehen wird. Im Zuge dessen sei nicht zuletzt eine Veranstaltung zur öffentlichen Blattkritik angekündigt, die am 5. September im Wiener Depot stattfinden wird und zu der wir alle LeserInnen herzlich einladen.