Von Baustelle zu Baustelle

Ich lebe seit fünf Jahren in Österreich und begann erst vor circa zwei Jahren, am hiesigen Kulturbereich aktiv teilzunehmen – und zwar durch meine Arbeit bei maiz, dem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, als Koordinatorin des Online-Magazins MigraZine, das sich besonders auf Kultur konzentriert, mit dem Ziel einer Demokratisierung von Informationen für MigrantInnen.

Ich lebe seit fünf Jahren in Österreich und begann erst vor circa zwei Jahren, am hiesigen Kulturbereich aktiv teilzunehmen – und zwar durch meine Arbeit bei maiz, dem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, als Koordinatorin des Online-Magazins MigraZine, das sich besonders auf Kultur konzentriert, mit dem Ziel einer Demokratisierung von Informationen für MigrantInnen. Darüber hinaus sind wir von MigraZine BeobachterInnen des kulturellen Lebens in Linz – zu diesem Zeitpunkt besonders der Planungen für die Europäische Kulturhauptstadt 2009.

Beobachterin von Linz 09

Ich bin Einwohnerin von Linz, lebe im Zentrum der Stadt und bin oft zu Fuß unterwegs. Kürzlich spaziere ich am Hessenplatz und sehe eine Baustelle – ein Hotel wird gebaut. Klarerweise braucht Linz ein Hotel – es gibt ja nicht genügend Platz für die vielen TouristInnen. Ich folge der Straße Richtung Donau und stoße auf die Baustelle einer neuen Parkgarage. Auch die braucht man dringend, denn es gibt schließlich viel zu wenig Platz für die vielen Autos. Ich erinnere mich, es wurde schon eine andere Parkgarage gebaut, in der Nähe des Gerichts. Ich gehe weiter und sehe, dass das Nordico Museum verschönert wird – auch das ist sicher sehr notwendig, man muss ja einladend sein für die BesucherInnen. In der Nähe des neuen Doms treffe ich auf eine weitere Baustelle und bin mir nicht sicher: Wird es eine Parkgarage oder ein Hotel? Ich habe gelesen, dass neun Gebäude im Kulturbereich renoviert oder erweitert werden, darunter das OK, das Schlossmuseum, das Ars Electronica Center und natürlich das neue Musiktheater. Ganz Linz ist eine Baustelle. Nach 2009 werden wir eine sehr schöne Stadt haben – mit vielen neuen Hotels, vielen neuen Parkgaragen und vielen, noch schöneren neuen Kulturgebäuden.

Wie lässt sich der Zugang von MigrantInnen zur Kultur demokratisieren?

Neben den Baustellen auf den Straßen gibt es jedoch andere Baustellen zu beobachten – und mit diesen will sich MigraZine näher beschäftigen. Auch mit der Abwesenheit bestimmter Baustellen möchte sich MigraZine beschäftigen. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass keine Informationen hinsichtlich eines Konzepts für Kulturvermittlung innerhalb von Linz 09 zu bekommen sind.

Wir von maiz hatten die Möglichkeit, die documenta 12, also die diesjährige Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Kassel, zu besuchen, und auch Carmen Mörsch, die für die Begleitforschung der Kunstvermittlung verantwortlich war, sowie Ayse Gülec, die Sprecherin des lokalen Ausstellungsbeirats in Kassel, kennen zu lernen. Die documenta 12 hat heuer erstmals einen Beirat (bestehend aus 40 „ExpertInnen“ aus der lokalen Bevölkerung) ins Leben gerufen und die Kunstvermittlung über das klassische Angebot von Führungen hinaus erweitert. Beide Organisationsformen, Kunstvermittlung und Beirat, arbeiteten eng zusammen und bildeten eine Schnittstelle zwischen den lokalen Kontexten und der Großausstellung. Sie luden zudem unterschiedlichste Interessen- und Bevölkerungsgruppen, die eine Auseinandersetzung mit der documenta 12 von selbst nicht suchen würden, zur Zusammenarbeit in Projekten ein.

Am 19. Oktober kamen Ayse Gülec und Carmen Mörsch – auf Einladung von maiz, der KUPF (Kulturplattform Oberösterreich) und MigraZine – zu einer Diskussionsveranstaltung nach Linz, um die Aktivitäten der documenta 12 in Sachen Kunstvermittlung und Partizipation vorzustellen – und im Hinblick auf Linz 09 zur Diskussion zu stellen: Welche Möglichkeiten der aktiven Mitgestaltung werden welchen Öffentlichkeiten angeboten? Wer wird angesprochen, wer wird ausgeblendet? Gibt es Konzepte zur Einbindung bestimmter Gruppen, wie der heterogenen Gruppe der MigrantInnen und AsylwerberInnen, als aktiv Beteiligte im Rahmen von Linz 09? Welche Partizipationsansätze werden umgesetzt, damit daraus nachhaltige Partizipation entsteht?

Wer kam? KulturarbeiterInnen, KünstlerInnen aus Oberösterreich und Wien, die VeranstalterInnen, MigrantInnen aus dem Umfeld von maiz und MigraZine, die VertreterInnen der KUPF, eine Mitarbeiterin aus der Kommunikationsabteilung, eine Projektentwicklerin und der stellvertretende Intendant von Linz 09, der leider noch vor der Diskussion gehen musste. Schade, denn nach der Präsentation von Carmen Mörsch und Ayse Gülec, gab es interessante Nachfragen. Die Diskussion bewegte sich auf die zentrale Frage der Veranstaltung zu: Wie lässt sich die Partizipation der BewohnerInnen von Linz realisieren? Eine Frage, die an diesem Abend nur neue Fragen mit sich brachte.

Die Projektentwicklerin von Linz 09 war sehr mit der Frage beschäftigt, warum die Linzer MigrantInnen so wenig auf die Einladung der KulturhauptstadtorganisatorInnen, sich zu beteiligen, reagieren. Und wie man den MigrantInnen durch Angebote wie Sprechstunden „helfen“ könne, Projekte zu entwickeln und sich einzubringen, auch wenn es dafür schon sehr spät sei. Rubia Salgado von maiz fragte sich hingegen, welche Modelle für eine aktive Beteiligung von Migrantinnen an Linz 09 denkbar wären, jenseits des Projekt-Prinzips und ganz sicher jenseits des Karitativen: „Es geht nicht um Hilfe, es geht um die Entwicklung eines anderen Modells.“

Fragen, strukturelle Fragen, große Fragen, die mich wochenlang beschäftigen ... und keine Antwort. Vielleicht ist ein Event wie Linz 09 doch nicht der adäquate Ort, um solche Fragen zu stellen ... Trotzdem sind wir hier, trotzdem entwickeln wir durch das Online-Magazin MigraZine ein Medium der kritischen Beobachtung aus der Perspektive von MigrantInnen, in dem wir entscheidende Forderungen stellen. Und trotzdem haben wir diese Diskussionsveranstaltung organisiert, bei der es zumindest potenziell die Möglichkeit gab, eine andere Baustelle zu eröffnen.

Anmerkung

Eine Transkription der Diskussion „Kunst-/Kulturvermittlung und Partizipation: Ein Blick auf die documenta 12 im Hinblick auf Linz 09“ ist in MigraZine (migrazine) erschienen.

Cristiane Tasinato lebt in Linz und war als Sozialwissenschafterin in mehrere Projekte von maiz, dem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, involviert. Seit 2006 ist sie als Koordinatorin des Projekts MigraZine, einem Online-Magazin von und für Migratinnen, tätig: migrazine