(Un)organisierte WissenschaftlerInnen
Sowohl bestehende prekäre Arbeitsverhältnisse als auch undemokratische Entscheidungsprozesse bei Kollektivvertrag und UG-Novelle sowie Befürchtungen über die Auswirkungen neuer Regelungen brachten so manche auf die Barrikaden: Die bereits seit 1996 bestehende IG Externe (Interessengemeinschaft externe LektorInnen und freie WissenschaftlerInnen) formulierte Forderungen zur Umsetzung des Kollektivvertrags.
Wie unorganisierbar sind WissenschaftlerInnen eigentlich? Diese Frage steht seit dem ersten Halbjahr 2009 wieder im Raum, in dem durch verschiedene Ereignisse wieder neue Bewegung in die Diskussion um Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft kam: Der „Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten“ wurde abgeschlossen, es wurde bekannt, dass im Sommer im Stillen das Universitätsgesetz (UG 02) novelliert werden sollte, und mit Ende des Jahres drohte vielen ein Ende ihrer Anstellungen. Mit dem UG 02 war nämlich 2004 auch die „Kettenvertragsregelung“ (§ 109 UG 02) in Kraft getreten, die eine Aneinanderreihung von befristeten Vollzeit-Arbeitsverträgen auf maximal sechs Jahre – und damit für viele bis Ende 2009 – beschränkte.
Sowohl bestehende prekäre Arbeitsverhältnisse als auch undemokratische Entscheidungsprozesse bei Kollektivvertrag und UG-Novelle sowie Befürchtungen über die Auswirkungen neuer Regelungen brachten so manche auf die Barrikaden: Die bereits seit 1996 bestehende IG Externe (Interessengemeinschaft externe LektorInnen und freie WissenschaftlerInnen) formulierte Forderungen zur Umsetzung des Kollektivvertrags. Eine Plattform Drittmittel Personal stellte in einem offenen Brief die „Kettenvertragsregelung“ grundlegend in Frage und forderte „erkennbare und nachhaltige Karriereperspektiven“. Die Arbeitsgemeinschaft Zukunft der Wissenschaften forderte „,wirkliche‘ Nachwuchsförderung sowie gute und gesicherte Arbeitsbedingungen“ für WissenschaftlerInnen. Und das Netzwerk emanzipatorische Bildung Wien protestierte gegen weitere „Zugangsbeschränkungen und die Entdemokratisierung der Hochschulen“ durch die UG-Novelle. Letzteres formulierte darüber hinaus sogar „grundsätzliche Kritik an Bildungssystemen in kapitalistischen Verhältnissen und Strukturen“. Seither gibt es von einigen dieser Initiativen Versuche, diese teils anlassbezogenen Organisierungsdynamiken zum Aufbau einer dauerhaften Interessenvertretung für von Prekarisierung betroffene WissenschaftlerInnen zu nutzen.
Den Herausforderungen ...
Diese Versuche sehen sich ähnlich wie in anderen von Prekarisierung betroffenen Kontexten mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Die mögliche Unorganisierbarkeit liegt unter anderem an der Heterogenität der Gruppe und der Interessen, die vertreten werden soll. So sind externe LektorInnen, UniversitätsassistentInnen oder Drittmittelpersonal in sehr verschiedenen vertraglichen Situationen, die von Semesterverträgen für einen einzelnen Lehrauftrag bis hin zu sechsjährigen Vollzeitbeschäftigungen reichen. Innerhalb des Drittmittelbereichs ist die Form der Anstellung abhängig von dem/r ProjektleiterIn und reicht von kurzfristigen freien Dienstverträgen bis zu Vollzeitanstellungen über mehrere Jahre. Zudem haben gesetzliche Regelungen große Auslegungsspielräume, sodass die Situation von Institution zu Institution sehr verschieden sein kann. Etwa kann die „Kettenvertragsregelung“ durch die Vergabe von unbefristeten Verträgen vermieden werden; eine Option, die die Rektorate der meisten Universitäten (so auch der Universität Wien) zum Zweck der Flexibilisierung des Personalstands und aus Angst vor Klagen im Fall der Kündigung aber nicht wahrnehmen. Lehrbeauftragte bis zu vier Semesterstunden sind von dieser sechs-Jahres-Regel zwar nicht (mehr) betroffen, allerdings gilt auch für sie die grundsätzliche Befristung von Arbeitsverträgen, die einem zunehmenden Teil des wissenschaftlichen Personals de facto verunmöglicht, an der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung teilzunehmen.
Nachdem der Betriebsrat eine Amtsperiode von vier Jahren hat, sind de facto auch Drittmittelangestellte, deren Projekt- und Vertragslaufzeiten selten drei Jahre übersteigen, von einer Kandidatur ausgeschlossen. Kurze Verweildauern an der Institution und ein zunehmender Mobilitätsdruck lassen auch die Zeiträume schrumpfen, in denen selbstorganisierte Strukturen der Interessenvertretung aufgebaut werden könnten.
Einer Organisierung von WissenschaftlerInnen wirkt aber auch die (gern tabuisierte) Konkurrenz um Lehraufträge, Drittmittel, Anstellungen oder Anerkennung innerhalb dieser Gruppe entgegen, die sich durch die jüngeren Entwicklungen weiter verschärft. Etwa hat der steigende Anteil an Drittmitteln eine neue Personalkategorie geschaffen, die in naturwissenschaftlichen Instituten bereits bis zu 70% des wissenschaftlichen Personals ausmacht. Sie besteht vor allem aus (den billigeren) DissertantInnen und jungen Postdocs und bringt hoch qualifizierte WissenschaftlerInnen hervor, die oft an einer universitären Laufbahn interessiert sind. Um nicht aus den linearen akademischen Karrieremodellen zu fallen, gilt es für sie daher, sich in möglichst kurzer Zeit vom/n der DissertantIn zum/r Postdoc und letztlich zum/r ProfessorIn hochzuarbeiten und sich individuell dem Wettbewerb um die wenigen Stellen auf höheren Hierarchiestufen zu stellen.
In diesen Kontexten entsteht eine Vereinzelung und eine spezifische Subjektivierungsform, die Ulrich Bröckling sehr treffend als „unternehmerisches Selbst“ bezeichnet hat (Bröckling 2007). Schwierigkeiten im Umgang mit Prekarisierung scheinen darin eher als persönliches Scheitern an den Umständen wahrgenommen zu werden, als zur Entwicklung eines kollektiven Problembewusstseins zu führen.
... zum Trotz
Diesen Herausforderungen zum Trotz und entschlossen, sich von den teils verschiedenen Partikularinteressen nicht entmutigen zu lassen organisierten IG Externe, Plattform Drittmittel Personal, PrekärCafé und Graduiertenzentrum erstmals eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung unter dem Titel „Prekarisierung in den Wissenschaften. Organisieren wir uns!?“, die als Auftakt für weitere Vernetzung dienen sollte. Nach kurzen Inputs von Susanne Pernicka und dem PrekärCafé zu Perspektiven (selbst-)organisierter Interessenvertretung in der Wissenschaft gab es Gelegenheit zu gegenseitigem Austausch über die jeweiligen Problem- und Interessenlagen sowie zur Vorstellung bestehender Initiativen. Die Veranstaltung war sehr gut und heterogen besucht und machte in der anschließenden Diskussion zwar die Verschiedenheit der Interessenlagen und strategischen Ausrichtungen sichtbar, schaffte aber auch ein Bewusstsein für gemeinsame Problemlagen wie geringer Planbarkeit finanzieller Absicherung, Fehlen längerfristiger Anstellungsperspektiven an den Universitäten oder Schwierigkeiten im Zurückweisen unbezahlter Arbeit. In Nachfolgeveranstaltungen soll die Arbeit an Grundlagen einer gemeinsamen Interessenvertretung geleistet und die Diskussion zum Umgang mit eher organisierungshemmenden Faktoren – etwa der Vermeidung von Konkurrenzverhalten im Alltag – geführt werden.
Neue Impulse bekam diese Organisierungsbewegung dann seit den Aktivitäten im Rahmen der Bildungsproteste, die durch die Besetzung der Aula an der Akademie der Bildenden Künste und des Audimax der Universität Wien im Oktober 2009 ausgelöst wurden. Lehrende und Forschende begannen bald, sich mit den Protesten der Studierenden zu solidarisieren und eigene Versammlungen abzuhalten. Bis zu Redaktionsschluss dieses Artikels fanden bereits sechs Versammlungen an verschiedenen Universitäten statt, an denen jeweils bis zu 200 Lehrende und Forschende aus Wien teilnahmen und teils unter dem Label „Squatting Teachers“ Arbeitsgruppen bildeten, um Solidarisierungsaktionen mit den Studierenden zu planen, alternative Lehrveranstaltungen zu organisieren, Öffentlichkeitsarbeit zur eigenen Situation zu machen, Vernetzung zu betreiben oder gemeinsame Forderungen zu erarbeiten. Anders als in den davor bestandenen Organisierungsversuchen werden die eigenen Problemlagen hier im breiteren Kontext der Bildungsdebatten reflektiert, und das Themenspektrum der Diskussion reicht bis hin zum bedingungslosen Grundeinkommen als alternativer Form finanzieller Absicherung für alle. Diese Entwicklungen sind nicht nur durch die neu entstehenden Organisationsstrukturen ein Motor für den Kampf um die Interessen von WissenschaftlerInnen, sondern geben auch der inhaltlichen Debatte neue Impulse, die über die Auseinandersetzung mit Partikularinteressen hinausgehen.
Blinde Flecken
Dennoch haben die bisherigen Organisierungsversuche so manchen blinden Fleck, den es für eine emanzipatorische Perspektive und eine Erweiterung der sozialen Zusammensetzung der Bewegung zu reflektieren gilt (Birkner/Mennel 2006: 21): Zwar versuchen die meisten Initiativen, DIE WissenschaftlerInnen anzusprechen, allerdings konzentrieren sich fast alle Diskussionen, Aktionen und Forderungen auf die universitäre Wissenschaftslandschaft (und hier v. a. auf die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften). Damit wird ausgeblendet, dass Wissenschaft auch in unzähligen außeruniversitären Forschungs- und Bildungseinrichtungen betrieben wird und die große Mehrheit DER WissenschaftlerInnen nur einige Jahre an der Universität verbringt, in außeruniversitären Einrichtungen arbeitet oder parallel in verschiedenen Kontexten. Fokussiert sich die Diskussion zu sehr auf universitäre Arbeitsbedingungen und Laufbahnmodelle, geraten ganze Dimensionen von Prekarisierung und die Reflexion von (Selbst-)Prekarisierung in DEN Wissenschaften aus dem Blick (Lorey 2007: 9). Um diese Perspektivenverengung zu vermeiden, müsste die Auseinandersetzung mit Konflikten und Veränderungsprozessen an und um Universitäten und von Wissensproduktion und -vermittlung im Allgemeinen geführt werden, wie sie etwa seit 2006 das internationale Edu-Factory Collective anregt.
Letztlich wird es für den Erfolg von Organisierungsbemühungen in der Wissenschaft wohl darum gehen, ob es gelingt, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu arbeiten und sowohl lokale Kontexte und Veränderungspotenziale zu reflektieren, als auch breitere Debatten zu gesellschaftlichen Kontexten von Prekarisierung wissenschaftlicher Arbeit zu führen.
Links
Interessengemeinschaft externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen
Netzwerk Emanzipatorische Bildung Wien
Edu-factory
Betriebsrat für das wissenschaftliche Universitätspersonal der Universität Wien
Literatur
Birkner, Martin/Mennel, Birgit (2006): „Mayday! Oder: Die unmögliche Organisierung der möglicherweise Unorganisierbaren – eine Zwischenbilanz mit Ausblick“. In: Kulturrisse 06/04
Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt/M.
Lorey, Isabel (2007): „VirtuosInnen der Freiheit. Zur Implosion von politischer Virtuosität und produktiver Arbeit“. In: Grundrisse 23
Lisa Sigl ist linke Aktivistin bei den Squatting Teachers Info und arbeitet als Wissenschaftsforscherin an der Uni Wien.