Sparen am Amerlinghaus?
Seit einiger Zeit ist das Amerlinghaus als linkes Projekt in der Krise. Die Subventionen der Gemeinde Wien wurden jahrelang nicht erhöht, und so wiederholt sich Jahr für Jahr ein Ritual: Im Herbst können nicht einmal die Fixkosten aufgebracht und Geld muss ausgeliehen werden, das dann von den Subventionen des nächsten Jahres abgezogen wird.
Seit einiger Zeit ist das Amerlinghaus als linkes Projekt in der Krise. Die Subventionen der Gemeinde Wien wurden jahrelang nicht erhöht, und so wiederholt sich Jahr für Jahr ein Ritual: Im Herbst können nicht einmal die Fixkosten aufgebracht und Geld muss ausgeliehen werden, das dann von den Subventionen des nächsten Jahres abgezogen wird. Trotz vieler Proteste zeigt die Gemeinde Wien kein Einlenken.
Warum wurde das soziale Zentrum Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) 2005 von der Gemeinde Wien gerettet, nachdem das Gebäude von der KPÖ an einen (ehemaligen?) Rechtsextremen verkauft worden war? Warum wurde die Pankahyttn 2007 als Projekt akzeptiert und finanziert, aber nicht das Amerlinghaus? Warum werden die Wagenplätze nicht angenommen, obwohl dabei kaum Kosten anfallen würden? Ist das abhängig von „Zufälligkeiten“ wie dem Kontakt in die Partei und dem Engagement von Einzelpersonen innerhalb der Institutionen? Oder lassen sich nachvollziehbare Entwicklungen feststellen, keine „Gesetzmäßigkeiten“, aber doch Tendenzen?
Das Entstehen von kulturellen, sozialen und politischen Initiativen und Projekten nach 1968 ist die Antwort auf vielfältige Bewegungen. Und es lässt sich feststellen, dass zumindest in der Großstadt gewisse „Nischen“ noch immer erwünscht sind. Sie sind für die wirtschaftlichen Erfolge des Dienstleistungs- und Tourismussektors von Bedeutung, sie schaffen das, was die Wirtschaftswissenschaften „Externalitäten“ nennen, eine bestimmte Atmosphäre, ein bestimmtes soziales Klima, das, was eine Stadt lebenswert macht. Trotzdem tauchen offensichtlich neue Grenzen auf.
Die Stadt verändert sich
Aus der Krise der „fordistischen“ Stadt, für die die Trennung der Orte für Wohnen, Arbeit und Freizeit charakteristisch war, entstanden in vielen europäischen Städten Bewegungen für Kultur- und Kommunikationszentren sowie eine Hausbesetzer_innen-Bewegung (vgl. Suttner 2011, 329ff.). Diesen Bewegungen ging es um die neuerliche Nutzung des öffentlichen Raums und oft auch die neuerliche Verbindung von Arbeit, Wohnen und Leben. Als ein Projekt dieser Art wurde über den Sommer 1975 das Amerlinghaus besetzt. Diese Aktion war Teil einer Kampagne gegen die Kaputtsanierung des Spittelbergviertels mit seinen alten Biedermeierhäusern. Während die breite Arena-Bewegung mit der dreimonatigen Besetzung des Auslandsschlachthofes St. Marx im Sommer 1976 vorerst ohne Ergebnis blieb, wurde das Amerlinghaus im April 1978 eröffnet. Die Gemeinde Wien forderte eine komplizierte Vereinsstruktur, und konfliktreich entwickelte sich die Beziehung zum kommerziell geführten Amerlingbeisl, das nichts mit den kulturellen, politischen und sozialen Initiativen des Amerlinghauses zu tun hat. Die Finanzierung der unentgeltlich von dutzenden Initiativen benutzbaren Räume war immer von Subventionen der Gemeinde Wien abhängig, die schon lange nicht erhöht wurden und so langfristig den Abbau des Personals bedeuteten.
Die Veränderungen des kulturellen Klimas setzten sich in Wien (spätestens) ab Anfang der 1980er durch. Um diese Zeit schwappte eine Welle von Krawallen durch Europa (Züri brennt, Hausbesetzer_innen in Berlin etc.), die am 1. März 1981 auch Wien zu erreichen schienen: Im Ersten Bezirk wurden während einer Demo ein paar Scheiben eingeschlagen und an die hundert Personen verhaftet. Die Gemeinde zog Erkundigungen in Zürich und anderen Städten Europas ein und verwirklichte ein Konzept, das Hausbesetzungen auf keinen Fall zuließ, aber zu prekären Bedingungen Projekte zur Verfügung stellte. Schon 1977 wurde die Arena als Veranstaltungsort im Inlandsschlachthof, kleiner als der 1976 besetzte Auslandsschlachthof, toleriert und ab 1981 subventioniert. Viele wichtige kulturelle und sozial-politische Projekte stammen aus der Zeit Anfang der 1980er: das WUK, das FrauenLesbenMädchenZentrum, die Rosa-Lila-Villa – auch Konzertveranstaltungsorte. Sowohl die Strategie der Drohung mit Unruhen als auch die Tendenz zur Veränderung der Stadt waren auch von „zufällig“ politisch aktiven Personen abhängig: Es waren eine sich in Opposition alternativ gebende ÖVP, besonders aber Teile der Wiener SPÖ, unter ihnen maßgeblich die Jugendstadträtin Gertrude Fröhlich-Sandner, die vielen Projekten zum Durchbruch verhalfen (vgl. Suttner 2011, 246ff).
Inzwischen ist der Unterschied zwischen der früher bekämpften, hoch subventionierten Hochkultur und einer Sub- oder Alternativkultur verwischt. Immer größere Bedeutung erlangten massentaugliche und touristisch nutzbare Events. Die kulturelle Entwicklung erlaubte auch das Entstehen verschiedener „freier“ Szenen (Theater, Tanz etc.), die jeweils um die Krumen des Subventionstopfes kämpfen müssen (und unter der gegenseitigen Konkurrenz leiden). Im Gegensatz dazu werden bei der Vergabe der finanziellen Mittel „zufällig“ immer die gleichen Firmen bevorzugt, die eng mit Politik und Stadtverwaltung verbunden sind.
Grenzen der Alternativen
Wurden die meisten Projekte noch mit der Idee der Selbstorganisation und Selbstverwaltung gegründet, so änderte sich das im Laufe ihrer Etablierung. Die kapitalistischen Sachzwänge dominierten. Das Amerlinghaus war schon immer anders, weil die formale Struktur keine Selbstverwaltung zuließ, das Projekt aber trotzdem offen für alle kulturellen, sozialen und politischen Initiativen war.
Die zweite Hälfte der 1980er zeigte wesentlich mehr Militanz, auch mehr und größere Demonstrationen. Trotzdem wurden keine neuen Projekte mehr zur Verfügung gestellt. Die bestehenden Initiativen konnten sich zwar etablieren, die radikaleren autonomen Projekte wie das Kultur- und Kommunikationszentrum Gassergasse oder das Haus in der Ägidigasse wurden aber geräumt. Die veränderte Strategie der Gemeinde, keine Besetzung – inzwischen aber auch keine Projekte mehr durch Verhandlungen – zuzulassen, erforderte auch auf Seiten der Hausbesetzer_innenbewegung eine strategische Veränderung. So wurde die im Besitz der KPÖ befindliche Wielandschule besetzt und konnte Anfang der 1990er als Ernst-Kirchweger-Haus legalisiert werden, weil die Partei durch den Umbruch im „realen Sozialismus“ verunsichert war und dadurch den Einsatz der Polizei scheute. Im Herbst 2004 verkaufte die KPÖ das EKH an einen (ehemaligen?) Rechtsextremen, ein Jahr später übernahm die Baufirma Porr AG, die der Gemeinde nahe steht, die Struktur und nach langen Verhandlungen konnten halbwegs akzeptable Mietverträge abgeschlossen werden. Vielleicht hat es mit dem internationalen Ruf dieses sozialen Zentrums zu tun, für die Porr bedeutet dieses Gebäude aber auch eine Investition in eine kapitalistische Zukunft, weil durch den Bau des Zentralbahnhofs in den nächsten Jahren Wertsteigerungen zu erwarten sind.
Neue Bewegungen
Während die emanzipatorische Öffentlichkeit auf die Bedrohung des EKH (und ähnlicher Projekte) blickte, entwickelte sich in diesen Jahren eine neue Hausbesetzer_innenbewegung, die bis heute immer wieder auftritt, zuletzt mit der zehntägigen Besetzung des Lobmeyrhofes (und einigen Folgeaktionen). Einzig die Initiative Pankahyttn hatte jedoch Erfolg: Sie konnte nach eineinhalb Jahren Aktivitäten erreichen, dass ihr ein Haus zur Verfügung gestellt wurde. Dort herrscht eine seltsame doppelte Struktur: Die offiziellen Sozialarbeiter_innen müssen „betreuen“, während die Organisator_innen im Haus die „echte“ Arbeit machen. Ihre Fähigkeit zeigten sie in der erfolgreichen Ausstellung Punk in Wien im Herbst und Winter 2010/2011.
Ab 2007 entstanden die Wagenplätze als günstige Wohnmöglichkeit, aber auch als Versuch, alternativ zu leben. Fast an allen Orten, wo sie versuchen, mit ihren Wagen unterzukommen, bekommen sie Schwierigkeiten, auch wenn es auf Gründen der Gemeinde Wien ein leichtes wäre, sie dort zu akzeptieren.
Die Reaktionen der Gemeinde nach 2000 können auch damit zu tun haben, dass sich Wien als Gegenpol zur konservativen Tendenz auf Bundesebene (damals noch „Schwarz-Blau“) profilieren wollte. Ab 2008 dominierten jedoch Sparzwänge, von denen zufällig Firmen mit Naheverhältnis zur Gemeinde nicht betroffen sind. Aber es kann auch den Druck von unten geben. So waren die Menschen aus der Pankahyttn eineinhalb Jahre lästig genug, und im Falle einer Räumung des EKH bestand die Gefahr von Unruhen. Das Amerlinghaus ist leider eine Struktur außerhalb aktueller sozialer Bewegungen, nur ein Ort unter mehreren. Schon in den 1980ern wurde konstatiert, dass das Amerlinghaus seine Bewegung verloren hat (vgl. Reinprecht 1984). Von Anfang an bestand eine „etablierte“ Struktur, die fast nur konsumierend benutzt wurde. Das Amerlinghaus fällt als Projekt nach außen kaum auf, häufig wird es mit dem kommerziellen Amerlingbeisl in einen Topf geworfen.
In den letzten Jahren arbeiten viele unterschiedliche Initiativen allein für sich dahin. Projekte gründen sich unabhängig von institutioneller Unterstützung (z. B. die „Schenke“), Häuser werden besetzt, Initiativen konkurrieren um Subventionen – nicht nur das Amerlinghaus, sondern viele Kunst- und Kulturinitiativen. Überall tauchen die gleichen Fragen auf: autonome Kulturproduktion, die nicht-kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums, leistbarer Wohnraum, mehr Gemeinsamkeit im Zusammenleben und -arbeiten. Das richtet sich gegen die Einsparungen zu Gunsten der „Rettung“ des Kapitalismus; Banken und Konzernen wird Geld im Gegensatz dazu nachgeworfen. In Wien und Österreich wird das noch verschärft durch die Verbindung zwischen Unternehmen und Politik (von der Telekom über die Wiener Bauunternehmen bis hin zu Glücksspielfirmen).
Die Besetzung des leer stehenden Wiener Gemeindebaus Lobmeyrhof im Juli 2011 war ein gelungenes, wenn auch erfolgloses Beispiel, die Politik der Gemeinde und ihr nahestehender Firmen (Wiener Wohnen) sichtbar zu machen: Wohnungsnot durch Luxussanierung statt leistbarem Wohnraum oder der Wunsch nach sozialen Zentren. Noch fehlen in Wien die „Empörten“ (es gibt sie, aber sie sind nur wenige), die ein besseres Leben für alle fordern, und nicht die Rettung des Kapitalismus auf Kosten der Bevölkerungen. Die Projekte und Initiativen sollten ein gemeinsames Auftreten finden, ohne ihre Forderungen zu vereinheitlichen. Das Amerlinghaus muss ein Teil davon werden!
Robert Foltin schreibt über soziale Bewegungen. Sein Buch „Und wir bewegen uns doch“ zu sozialen Bewegungen in Österreich zwischen 1968 und 2000 erschien 2004, dessen Fortsetzung „Und wir bewegen uns noch“ erscheint demnächst beim Wiener Mandelbaum Verlag.
Literatur
Reinprecht, Christof (1984): Das Amerlinghaus: Vom Scheitern und Überleben eines Experiments. In: Ehalt, Hubert Ch. / Knittler-Lux, Ursula / Konrad, Helmut (Hg.) (1984): Geschichtswerkstatt, Stadtteilarbeit, Aktionsforschung. Wien, S. 183-194.
Suttner, Andreas (2011): „Beton brennt“. Hausbesetzer und Selbstverwaltung im Berlin, Wien und Zürich der 80er. Münster.