„Resistance is fertile :: resistance is futile“. Oder: Vom Arbeitskampf der VigilantInnen im Grazer Kunstbetrieb.
Angesichts der Ausbaupläne zum 200. Geburtstag des Landesmuseums Joanneum und der diesbezüglich veranschlagten Kosten – 48 Millionen Euro – stellt sich die Frage, ob nicht anstatt eines weiteren kostspieligen Großprojekts die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des Landesmuseums Joanneum sowie die Wahrung der öffentlichen Interessen bezüglich Öffnungszeiten und Sicherheit im Kunstbetrieb mehr Beachtung finden sollten.
Fast möchte man meinen, die Leuchtschrift „resistance is fertile – resistance is futile“ an der Fassade des Grazer Kunsthauses sei eine sarkastische Bemerkung zum Widerstand der VigilantInnen im Inneren der blauen Blubberblase. Denn das Prestigeprojekt von Graz03 präsentiert nicht nur aktuelle Kunst, sondern praktiziert und verbirgt auch aktuelle Ausbeutungsverhältnisse. Unbekannt und unbeachtet verrichteten die Freien DienstnehmerInnen ihre unfreien Dienste als VigilantInnen, um 5,20.- Euro die Stunde, bis im Februar 2006 bekannt wurde, dass eine junge Akademikerin und Vigilantin ihren Auftraggeber klagen würde, da sie Arbeiten verrichten musste, die mit einem „Freien Dienstvertrag“ nichts zu tun hatten. Die Arbeit der VigilantInnen entspricht de facto in keinster Weise einem Freien Dienstvertrag, da bei einem solchen die freie DienstnehmerIn selbstständig eine Arbeitsleistung zu erbringen hat, unabhängig von Zeit, Ort und Bewerkstelligung – Rahmenbedingungen, die der Arbeit von VigilantInnen diametral entgegengesetzt sind, da diese zu einer bestimmten Zeit (Dienstplan), an einem bestimmten Ort (Museum), eine bestimmte Tätigkeit (Aufsicht, Führung) zu erbringen haben.
Noch nicht in aller Munde aber doch schon etwas weiter vorgedrungen waren die Um- und Missstände des VigilantInnen-Lebens im Frühling 2006. Am 1. Mai 2006 etwa besuchte eine Gruppe von AktivistInnen das Kunsthaus, um dieses mit entsprechenden Stickern als „prekäre Zone“ zu deklarieren und selbiges anschließend durch Absperrung des Eingangs für geschlossen zu erklären. Wesentlich für die Organisierung der VigilantInnen war, dass es in Folge der ersten Klage zu einer Prüfung und Beanstandung sämtlicher VigilantInnen-Verträge durch die Gebietskrankenkasse (GKK) kam. Mit der Umwandlung des Joanneums zur GmbH hätten die Verträge 2003 ihre Rechtsgültigkeit verloren. Das Joanneum sollte 580 000.- Euro an die GKK zurückzahlen, welche vom Landeskulturressort beglichen wurden, und verpflichtete sich mit spätestens 01.01.2007 neue Verträge vorzulegen.
Mit Jahreswechsel wurden also rund 130 der ursprünglich 270 VigilantInnen mit Angestelltenverträgen als Landesbedienstete beschäftigt. Laut Geschäftsführung kam es zu keinen Kündigungen, denn es wurden lediglich die Freien Dienstverträge nicht für alle verlängert. In den verschiedenen Zweigstellen wurden die Öffnungszeiten herabgesetzt und gleichzeitig Personal eingespart. Aus finanztechnischen Überlegungen werden die VigilantInnen höchstens zu 50-75% angestellt. Das Joanneum argumentiert mit Mehrkosten aufgrund der neuen Verträge. Die Einsparung der Hälfte des VigilantInnen-Personals verschärft mitunter die Schwierigkeiten der sachgerechten Betreuung der Kunstobjekte in den Ausstellungen. Angesichts der Ausbaupläne[1] zum 200. Geburtstag des Landesmuseums Joanneum und der diesbezüglich veranschlagten Kosten – 48 Millionen Euro – stellt sich die Frage, ob nicht anstatt eines weiteren kostspieligen Großprojekts die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten des Landesmuseums Joanneum sowie die Wahrung der öffentlichen Interessen bezüglich Öffnungszeiten und Sicherheit im Kunstbetrieb mehr Beachtung finden sollten. Gerade das Kunsthaus zeigt als Prestigeprojekt eindringlich die Diskrepanz zwischen dem Schein progressiver Kunst und dem Sein von im Kulturbetrieb Arbeitenden.
Ausbeutung von WissensarbeiterInnen
So sind es im Kunsthaus großteils geringfügig beschäftigte Studierende, die Aufsicht und Führungen bewerkstelligen. Die VigilantInnen sind primäre KommunikatorInnen im Ausstellungsbetrieb und somit Visitenkarte der Kunsthäuser. Neben der Beaufsichtigung der Kunstobjekte sind sie AnsprechpartnerInnen der BesucherInnen und so stellen Freundlichkeit und Informationsbereitschaft zentrale, wenn auch nicht explizite Arbeitsanforderungen dar.
Insbesondere für Führungen sind teilweise Ausstellungskataloge zu studieren, ohne dass die jeweilige VigilantIn weiß, wie oft sie/er für eine Führung eingesetzt wird. Die Wissensaneignung erfolgt in der Freizeit und findet in der pauschalen Abgeltung von 7.- bis 14.- Euro je Führung keinen Niederschlag. Das Kunsthaus wird von einem Vigilanten als Haus mit hoher Fluktuationsrate beschrieben, was nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem schlechten Arbeitsklima (u.a. Sitzverbot, Telefonierverbot, Beschimpfung der VigilantInnen durch Vorgesetzte) stehen dürfte.
Resistance is fertile? – oder von 5,20.- auf 5,90.- Euro die Stunde
Wie kam es, dass sich plötzlich VigilantensprecherInnen zu Wort meldeten und noch dazu etwas wollten? – Vielleicht nicht gleich alles, aber doch mehr als ihnen bis dahin zuerkannt wurde. Auch wenn mittlerweile alles anders ist und die ehemals Freien DienstnehmerInnen nun angestellte Kunst- und KulturvermittlerInnen sind und vom Betriebsrat vertreten werden, soll im Folgenden ein Blick auf die Vorgeschichte geworfen werden: Im Frühling 2006 kam die Aufforderung durch den Kulturlandesrat, je Joanneums-Zweigstelle eine VigilantensprecherIn zu ernennen bzw. zu wählen. Offensichtlich mobilisierte diese Aufforderung die VigilantInnen in unerwarteter Weise. Die gewählten SprecherInnen der verschiedenen Häuser vernetzten sich untereinander sowie mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und im Juni begannen die Lohnverhandlungen.
Im September realisierten die VigilantensprecherInnen – so einer von ihnen –, dass der Kampf um die Verträge für die nächsten Jahre insgesamt die Situation im Museumsbereich beeinflussen und verändern könnte. Mitte Dezember stiftete die Geschäftsführung taktisch Verwirrung, indem sie die VigilantInnen durch die Medien über die Auslagerung der Aufsichtstätigkeit an den Wachdienst Group4 informierte. Eine Privatisierung wäre dem Landesmuseum Joanneum allerdings teurer gekommen als die Anstellung der VigilantInnen. Im Rückblick kann davon ausgegangen werden, dass hier bewusst mit der existenziellen Unsicherheit einer Vielzahl der VigilantInnen gespielt wurde. Jedoch verlagerte sich das Verhandlungsinteresse nun darauf, den Verbleib der VigilantInnen am Joanneum sicherzustellen. Letztendlich einigte man sich auf einen Stundenlohn von 5,90.- Euro, wobei das Land soweit unter Druck geraten sollte, dass es die Differenz von 5,90.- Euro auf 7,60.- Euro (Kollektivvertrag) begleichen würde...
Resistance is futile? – oder wie Widerstand diszipliniert wird
Als die neuen Verträge – ausverhandelt von der Geschäftsführung des Joanneums, dem Betriebsrat, der GPA und den VigilantensprecherInnen – am 29.12.2006 den VigilantInnen zur Unterzeichnung vorgelegt wurden, hatten einige von ihnen (die zum 1.1.2007 für den Dienst vorgesehen waren) gerade einen Tag zum Studium sowie zur Unterzeichnung des Vertrages Zeit. Durch diesen zeitlichen Druck war es unmöglich, den Vertrag von unabhängiger Seite arbeitsrechtlich prüfen zu lassen und die VigilantInnen waren mehr oder minder gezwungen, zu unterzeichnen, wollten sie ihre Arbeit behalten. Der neue Vertrag sollte jedoch jegliche Ansprüche[2] aus früheren Beschäftigungen am Landesmuseum Joanneum aus der Welt schaffen. Drei der ehemaligen Kunsthaus-VigilantInnen haben die Joanneum GmbH diesbezüglich geklagt. Ihnen wird u.a. die Ausstellung eines Dienstzeugnisses verweigert.
Warum die Verhandlungsergebnisse akzeptieren und den Vertrag stillschweigend unterzeichnen? Ist es wahr, dass die VigilantInnen zum Mindestlohn des Kollektivvertrags nicht finanzierbar sind? Oder waren sie einfach nicht weit genug in der Konkretisierung ihrer Forderungen bzw. im Austausch zwischen SprecherInnen und Basis gegangen? Gewissermaßen haben sich die VigilantensprecherInnen über den Tisch ziehen lassen – miteinbezogen in die Lohnverhandlungen wurden die Grenzen und Kampf-Identitäten langsam aufgeweicht. Plötzlich erfährt ein Vigilantensprecher, wie schwierig es ist, mit dem Joanneums-Budget über die Runden zu kommen und fängt an zu verstehen, dass es offensichtlich nicht anders geht... Am Ende wird gemeinsam Front gemacht, gemeinsam mit der Geschäftsführung gegen die Landesregierung, die dann die Differenz von 5,90.- Euro auf 7,60.- Euro begleichen soll. Da die Politik jedoch offenbar keinen Handlungsbedarf sieht, verbleiben die VigilantInnen bei 1,70.- Euro unter dem Kollektivvertrag – ohne die Geschäftsführung.
Natürlich ist eine Anstellung als Landesbedienstete ein Fortschritt gegenüber dem Status Freier DienstnehmerInnen. Aber ebenso klar ist der dafür zu zahlende Preis: Nur die Hälfte der früheren VigilantInnen kommt in den Genuss der Angestelltenrechte – die Solidarität bleibt auf der Strecke; der erzwungene Verzicht auf die Ansprüche bringt den Widerstand zum Schweigen; die miserable Bezahlung der nunmehrig Landesbediensteten und das für die Öffentlichkeit geringere Angebot durch gekürzte Öffnungszeiten sowie die durch die Unterbesetzung resultierenden Sicherheitsmängel bilden ein vielschichtiges Konglomerat demokratiepolitischer Defizite. Bedauerlicherweise setzt die Politik durch die Präferenz von Prestigeprojekten gegenüber der Sicherstellung begehrenswerter Arbeitsbedingungen und öffentlicher Interessen mehr auf den Schein als auf das Sein.
Von einem der nicht wollte...
„Ich bin in einem gültigen unbefristeten Angestellten-Verhältnis (...), Kettenverträge waren und sind illegal“, so ein nunmehr arbeitsloser Kunsthaus-Vigilant, der den Vertrag nicht unterzeichnete. Er vergleicht die Stimmung nach Abschluss der Verhandlungen und Vorlegen der neuen Verträge mit G.W. Bush’s Diktum „Entweder Du bist mit uns oder Du bist gegen uns“. Er wollte diesen Vertrag nicht unterzeichnen, da dieser Vertrag die VigilantInnen mundtot mache – weniger um das ihm zustehende Geld, sondern vielmehr um die ihm nicht zuerkannten Rechte ging es ihm, um das Gefühl respektlos und würdelos behandelt zu werden. Doch wurde ihm nicht nur von GPA-FunktionärInnen, sondern auch von VigilantInnen Unverständnis entgegengebracht: „Wir sind alle einverstanden mit dem neuen Vertrag.“ – „Ich nicht“, antwortete er. Das sollte ihm in Folge den Ruf eines schwierigen Charakters einbringen.
So werden arbeitsrechtliche Fragen zum Charakterproblem eines Individuums verkehrt. Der „Unwillige“ will gern weiterhin als Vigilant im Kunsthaus arbeiten, jedoch nicht mit einem Vertrag, der ihn mundtot macht. Indes wartet er auf die Unterstützung seiner Gewerkschaft, der GPA – die ihm bisher die Berechnung der ihm zustehenden Ansprüche nicht aushändigen wollte. Im Schatten des Scheins einer progressiven Kulturpolitik, werden die Spuren politischer Prioritätensetzung weitgehend mit dem Argument des Sachzwangs schrumpfender finanzieller Ressourcen verwischt. Neben dem Arrangement einiger mit dem Establishment, wird dazu animiert, jene, die nicht mitgehen, als QuerulantInnen abzustempeln und die Hoffnung kollektiver Widerständigkeit und solidarischer Möglichkeiten zu untergraben.
1 Der „Museumsquadrant“ soll bis 2011 zwischen Neutorgasse, Landhaus, Raubergasse und Kalchberggasse fertiggestellt sein – die Umbauarbeiten beginnen im Herbst 2007.
Laila Huber ist Kulturanthropologin, Aktivistin und Kulturarbeiterin, lebt in Graz.