Nationalratswahl 2024: Kultur in den Wahlprogrammen
Welche Vorstellungen die Parteien von Kunst- und Kulturpolitik haben, lässt sich in den Wahlprogrammen deutlich ablesen. Dabei manifestieren sich große Unterschiede in den politischen Lagern in der Ausrichtung ihrer Kulturpolitik. Eine Analyse der Kernpunkte der Parteien zu Kunst und Kultur für die Nationalratswahl 2024.
Disclaimer: Die folgende Analyse basiert ausschließlich auf den Wahlprogrammen der im Nationalrat vertretenen Parteien. Die Wahlprogramme der anderen bundesweit antretenden Parteien findet ihr hier: Die Bierpartei (BIER), Keine von denen (KEINE), Kommunistische Partei Österreichs - KPÖ Plus (KPÖ) und Liste Madeleine Petrovic (LMP).
Ergänzend dazu haben wir die Parteien nach ihren kulturpolitischen Positionen befragt. Hier findet ihr die Antworten der Parteien zur Zukunft der Kunst- und Kulturförderung, Fair Pay und sozialer Lage von in Kunst und Kultur Tätigen, sowie Zielen und Prioritäten für die nächsten 5 Jahre.
Karl Nehammer - Die Volkspartei (ÖVP):
Dem bereits im Jänner vorgelegten „Österreichplan von Bundeskanzler Nehammer“ folgen 270 Seiten Wahlprogramm, in denen Kultur durchwegs einen großen Stellenwert einnimmt. Kultur wird dabei fast ausschließlich als identitätsstiftender Abwehrbegriff sowie Wirtschafts- und Vermarktungsfaktor (Stichwort: Tourismus und internationales Ansehen) verortet.
Die Forderung nach einer „österreichischen Leitkultur“ zählt abermals zum Repertoire, wenn auch in etwas abgeschwächter Form (der „Österreichplan“ forderte etwa noch eine rechtliche Verankerung der „österreichischen Leitkultur“ als „nationales Kulturgut“, um Symbole und Verhaltensweise, die dieser entgegenstehen, rechtlich differenziert behandeln zu können sic(!)). Diese Leitkultur umfasse, so ist dem Wahlprogramm zu entnehmen, nebst den verfassungsmäßig verankerten Grundrechten, etwa unsere „Leistungskultur in Bildung und Beruf“, „unsere Fest- und Feiertagskultur rund um Bräuche und Traditionen“ – Weihnachten und Nikolofeiern bedürfen in Kindergärten und Schulen der rechtlich Absicherung – „unser kulturelles Erbe“, „unseren Bezug zu Musik, Kreativität und Kunst“, „unsere Kultur des freiwilligen, ehrenamtlichen Engagements, des Vereinslebens (…)“ und selbstverständlich die österreichische Sprache. Letztere müsse beide Geschlechter nennen, alles darüber hinaus sei als „übertriebenes ‚Gendern‘ abzulehnen“. Überhaupt führe die „Gender-Ideologie“ zu einer Schwächung von Familien und ihrer unverzichtbaren Leistungen für unsere Gesellschaft, so Bundeskanzler Nehammer warnend im Vorwort. Bemerkenswert ist, dass all die genannten Maßnahmen (zwingende Akzeptanz der Leitkultur für Zuwander*innen, Absicherung der Fest- und Feiertage sowie Ablehnung von überbordendem Gendern) unter den Top 5 Prioritäten des Kapitels „Gesellschaft und Lebensmodell“ geführt werden. Die inhaltlichen Überscheidungen mit den Forderungen der FPÖ sind offensichtlich.
Das Kulturkapitel selbst ist durchwegs umfangreich und schlägt den Bogen von Hochkultur über Kulturerbe zu Volkskultur bis zu kultureller Bildung, Kreativwirtschaft und Digitalisierung. Ihre Fundierung finden sämtliche Ansätze im Bestreben, „die“ österreichische Identität, Wirtschaftswachstum sowie die internationale Reputation „als Kulturnation“ zu stärken. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen sozialer Absicherung von Künstler*innen wird zwar erwähnt, jedoch ohne Konkretisierung. Die Kulturförderung oder Kulturbudgets finden keine Erwähnung. Stattdessen werden als konkrete Vorhaben etwa die Schaffung einer „Akademie der Kultur nach Vorbild der französischen Académie des Beaux-Arts“ (ohne jegliche Erläuterung zu deren Ziel oder Zusammenspiel mit den bestehenden Kunstakademien), eine „Österreichische Kulturoffensive“ im Tourismusbereich sowie die Stärkung der Auslandskultur als Aushängeschild genannt. Hervorzuheben ist, dass kultureller Bildung sowie Kunst und Kultur in den Regionen ein eigener Absatz gewidmet ist. Es brauche Rahmenbedingungen für „kulturelle Aktivitäten im Vereins- und Gemeindewesen“, „künstlerische Räume in den Gemeinden“ sowie die Unterstützung „regionaler Künstlerinnen und Künstler“. Wie dies mit einem Kulturverständnis, das um Identitätsstiftung, Wirtschaftswachstum und internationaler Reputation kreist, zusammengeht, bleibt offen.
Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ):
Lange lies es auf sich warten, das Wahlprogramm der SPÖ. Unter den bereits im April von Andreas Babler präsentierten „24 Ideen für Österreich“ wurde zwar gefragt, wie eine moderne Kulturpolitik aussehen muss, eine Antwort darauf oder ein Kulturbezug fand sich jedoch in keiner der 24 Ideen. Diese Lücke will nun das nun vorliegende SPÖ-Wahlprogramm schließen. Es verortet Kunst und Kultur als Teil des Alltags, eng verschränkt mit Bildungspolitik will die künstlerische Freiheit sowie ein vielfältiges Kunstschaffen und verlässliche Rahmenbedingungen dafür fördern.
Konkret gefordert wird dafür ein eigenes Kulturministerium, Kultur als Staatsziel in der Verfassung sowie eine feministische, inklusive Kulturpolitik, die sich in einer gleichberechtigten Vergabe von Förderungen und Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch entsprechende Kinderbetreuungsangebote ausdrücken soll.
Ebenfalls explizit wird u.a. Fair Pay und die Verbesserung der sozialen Absicherung durch eine Reihe konkret angeführter Maßnahmen versprochen, jedoch wie so oft ausschließlich auf Künstler*innen bezogen. Ob Kulturarbeiter*innen hier mitgemeint sind bleibt offen. „Fair Pay“ soll jedenfalls zur Förderbedingung werden. Dieses klare Bekenntnis ist definitiv zu begrüßen; Bedenklich ist jedoch, dass die Finanzierung von Fair Pay und die dafür notwendige Erhöhung des Kulturbudgets (oder zumindest dessen Valorisierung) nicht angesprochen werden.
Wenig überraschend findet sich auch der Slogan „Kultur mit allen – Kultur von allen“ wieder. Konkret soll Partizipation zur zentrale Aufgabe geförderter Kulturinstitutionen werden, kulturelle Bildung und Kulturvermittlung gestärkt sowie Gratiseintritte und Kulturgutscheine ausgebaut werden. Entsprechend prominent findet sich kulturelle Bildung dann auch im Bildungskapitel selbst, in dem unter anderem ein mehrjähriger nationaler Aktionsplan für kulturelle Bildung, eine tägliche Kreativeinheit an Schulen sowie die Möglichkeit für jedes Kind, ein Musikinstrument kennenzulernen, genannt werden. All dies sind durchwegs wichtige, wenn auch nicht gerade neue, Vorschläge, die sich in keinem anderen Wahlprogramm im Bildungskapitel finden. Kritisch interpretiert vermittelt es jedoch den Eindruck, dass hier der Fokus vor allem auf einer Demokratisierung des Zugangs zu Kultur gelegt wird, die v.a. durch Bildung, Vermittlungsarbeit und Gratisangebote forciert werden soll. Weniger Augenmerk wird hingegen auf die Frage geleg, von welcher und wessen Kultur gesprochen wird (insbesondere als Staatsziel in der Verfassung) und wer definiert diese - oder anders ausgedrückt, wie der Kulturbegriff selbst demokratisiert wird.
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ):
In 92 Seiten FPÖ-Wahlprogramm ohne Inhaltsverzeichnis legen die FPÖ ihre Vision von einer „Festung Österreich, Festung der Freiheit“ vor. Der Tenor ist durchgehend alarmistisch, Österreich sei in einem „Zersetzungs- und Auflösungsprozess“, der gestoppt werden müsse damit die Republik wieder die volle „Verfügungsgewalt über Regierung, Raum und Volk“ erlangt. Bedrohungsszenarien und Opferkonstruktionen wechseln einander ab, als Schuldige werden stets dieselben festgemacht: Migranten und Migrantinnen, insbesondere Muslime, oder das linke Gesinnungsdiktat („Gender- und Woke-Wahnsinn“, „Gesinnungsjournalismus“, „Gesinnungsjustiz“, etc.). Die Forderungen bedienen das gesamte Spektrum rechter Ideologie, inklusive rassistischen Argumentationen und der Infragestellung von Grund- und Menschenrechte, bis zur bekannten Forderung nach „Remigration“ die sich durch das gesamte Programm zieht. Selbst für das Problem der Bodenversiegelung wird die „illegale Zuwanderung“ verantwortlich gemacht und gefordert, dass der Trend der „Überfüllung“ Österreichs „umgekehrt werden soll“.
Entsprechend wird Kultur ausschließlich als restriktiver, identitätsstiftender Abwehrbegriff eingesetzt, der sich in der deutschen Sprache und „christlich-abendländischem“ Brauchtum erschöpft. Auch hier ziehen sich die erwähnten Bedrohungs-/Opferszenarien durch: Die „heimische Kultur“ und „traditionelles Brauchtum“ müssten gegenüber „anderen Kulturen“ geschützt werden, etwa durch Bewahrung der deutschen Sprache (inkl. Verfassungsbestimmung zu es gibt nur zwei Geschlechter auch in der Sprache), Kreuzen im Klassenzimmer, Nikoloausfeiern und Martiniumzügen im Kindergarten sowie Umverteilung und Erhöhung der Fördermittel für die Volkskultur, insbesondere Musikverbände, Chöre und Musikkapellen.
Aber auch für die zeitgenössische Kunst und Kultur gibt es klare Ansagen: Die Förderpolitik und Ausgaben für Kulturschaffende müssten „kritisch unter die Lupe“ genommen werden. Es gehe darum „Kultur weiterzugeben statt zu canceln“. Sie fordern "kein Geld für sogn. Staatskünstler“, die wenig mehr können als „die richtige Gesinnung“ zu haben und keine Finanzierung mit Zwangsabgaben von „woke Events“ wie „Song Contest“ oder „Wiener Festwochen“ während „Künstler, die sich während der Corona-Krise maßnahmenkritisch gezeigt haben, von der Kulturschickeria wie Aussätzige behandelt werden“. Was diese Ansagen bedeuten, wenn sie umgesetzt werden, ist klar. Ein Kahlschlag für zeitgenössisches Kunst- und Kulturleben, dass sich auch kritisch mit gesellschaftlichen Entwicklungen befassen will und nicht ins Konzept rechter Ideologie passt.
Die Grünen - Die Grüne Alternative (GRÜNE)
Unter dem Titel „400 Ideen für ein gutes Morgen“ präsentiert das Wahlprogramm der Grünen 10 Ideen für Kultur. Erstmals aus der Position der Regierungsverantwortung kommend, skizzieren die Grünen keine neue Vision der Kulturpolitik, sondern beschreiben die geplante Fortführung des eingeschlagenen Weges und dies durchwegs mit präzisen Vorhaben.
Vorangestellt ist das Bekenntnis, dass Kunst ein gesellschaftlicher Seismograph sein kann. Und weiter: „Faire Bezahlung und soziale Absicherung sind die Basis dafür. Denn von Kulturarbeit muss man leben können und prekäre Arbeitsverhältnisse müssen der Vergangenheit angehören.“ Wie dies gelingen soll, bleibt jedoch weitgehend offen. Erwähnt werden die Fortführung von Fair Pay (ohne Konkretisierung) sowie die Erhöhung des Künstlersozialversicherungs-Fonds – ein Vorhaben, dass bereits im aktuellen Regierungsübereinkommen auf der Agenda stand und bislang auf Umsetzung wartet. Das Vorhaben aus 2019, Lücken in der sozialen Absicherung nach umfassender Diskussion mit den Interessenvertretungen zu schließen, findet sich jedenfalls nicht mehr im Wahlprogramm; ebenso wenig die Forderung nach einer neuen Verteilungsgerechtigkeit zwischen großen Kulturtankern und kleinen Kunst- und Kulturinitiativen.
Dennoch werden Akzente einer zukünftigen Förderpolitik skizziert, die gesellschaftliche Herausforderungen aufgreifen: Etwa Investitionsprogramme und eine neue Kompetenz-Beratungsstelle zur Ökologisierung des Kulturbetriebs, ein Investitionsfonds für Digitalisierung v.a. für kleine und mittlere Kulturbetriebe, Ausschreibungen zur Stärkung der künstlerischen und kulturellen Teilhabe unterrepräsentierter Gruppen und partizipativer Kulturprojekte. Ebenso – jedoch in anderen Kapiteln des Wahlprogramms zu finden – sollen Förderungen zukünftig stärker an Kinderschutzkonzepte und Barrierefreiheit geknüpft werden.
Bei dieser durchwegs Kultur quer durch verschiedene Politikbereich zumindest andenkenden Haltung ist umso bedauerlicher, dass in den Kapiteln Bildung und Raumordnung/Leerstandspolitik Kultur keinen Eingang findet.
NEOS - Die Reformkraft für dein neues Österreich (NEOS):
Die NEOS präsentieren ihre „Reformen für ein neues Österreich“ als vergleichsweise bündiges Manifest zur Nationalratswahl. Kultur findet sich hier im Kapitel „Cleveres Österreich“ gemeinsam mit Bildung und Forschung verortet. Kultur wird dabei als Standortfaktor betont, den es zu verbessern gilt, um u.a. die internationale Sichtbarkeit „unserer hochwertigen Kunst“ zu stärken.
Gleichzeitig wird eine stärkere Orientierung der Kulturpolitik an einer offenen, demokratischen Gesellschaft eingefordert, die sich nicht in „elitäre Zirkel zurückzieht“. Letzteres spiegelt sich in den geforderten Reformen durch Betonung von Kulturarbeit außerhalb der kulturellen Zentren, etwa durch Stärkung des Potenzials freier Kulturarbeit für die Kulturversorgung sowie Visionen für den Kulturstandort Österreich im Rahmen einer Kunst- und Kulturstrategie. Bemerkenswert ebenso, dass die soziale und versicherungsrechtliche Absicherung von freischaffenden Kunstschaffenden („Erwerbsrealitäten anerkennen“) als eine von sechs Reformvorhaben gesetzt wird.
Weniger überraschend hingegen fordern die NEOS einen Bürokratieabbau durch digitale Förderantragsstellung und transparente Förderungen durch zentral einsehbare Veröffentlichung aller öffentlichen Förderungen von Bund, Ländern und Gemeinden im Kunst- und Kulturbericht. Inwiefern die „digitale Förderantragstellung“ über die bereits umgesetzte digitale Antragstellung hinausgehen soll, bleibt jedoch eben offen, wie die Frage, welche Änderungen die NEOS konkret bzgl. Veröffentlichungen von Förderungen anstreben, die seitens des Bundes bereits jetzt im Kunst- und Kulturbericht veröffentlich werden.
Die noch 2019 geforderte Anpassung der Kulturförderung an die Inflationsrate sowie die Schaffung eines neuen, zentralen Vergabewesen durch eine „Bundeskulturstiftung“ finden im aktuellen Wahlprogramm keinen Eingang mehr. Ebenso wenig findet Kultur im restlichen Wahlprogramm irgendwo Eingang, welches jedoch vergleichsweise tatsächlich sehr kompakt gehalten ist.
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Warum wählen?
Die Länge unserer Betrachtungen ist abhängig vom Anteil der Kultur in den jeweiligen Programmen, der Substanz der Forderungen, vor allem aber auch von der Relevanz für unseren Bereich. Und natürlich von dem Umstand, ob überhaupt ein Programm bzw. kulturpolitische Vorhaben existieren. Wir empfehlen daher auch die Antworten der Parteien, die sie auf unsere Fragen zu ihren kulturpolitischen Positionen gegeben haben, zu lesen.
Wir geben ja keine Wahlempfehlungen ab. Aber wir empfehlen doch sehr dringend zur Wahl zu gehen; auch wenn mensch mit keiner der Optionen so ganz glücklich sein sollte. Denn es ist ein Privileg, überhaupt wählen zu dürfen.
Und dann stell dir vor, es ist Demokratie und keine*r geht hin...