Mit politischer Kulturarbeit gegen die „Überbravung“?
Warum wir politische Kulturarbeit machen? Weil das mit der proletarischen Revolution dann ja leider nicht hingehauen hat. Und nachdem die Gewerkschaften auch zum Schmeißen waren, haben wir dann im Bereich der Kulturarbeit noch Freiräume entdeckt und haben unser politisches Engagement deshalb mit in die Kultur genommen.
Ende Oktober 2010 feierte die IG Kultur Österreich (IGKÖ), ihres Zeichens Netzwerk und Interessenvertretung der freien und autonomen Kulturarbeit in Österreich sowie Herausgeberin der Kulturrisse, ihr 20-jähriges Bestehen. Wir nutzten die Gelegenheit, um mit Bernhard Amann, Stefan Haslinger, Elisabeth Mayerhofer, Andi Wahl, Andrea Hummer, Udo Danielczyk und Thomas Randisek einige zentrale Personen in der IGKÖ-Geschichte zu einem EinRisse-Spezial-Interview zu bitten. Befragt wurden sie dabei jeweils zu zweit nach der Motivation für ihr Engagement im Bereich der politischen Kulturarbeit sowie danach, welche Funktionen eine Interessenvertretung wie die IGKÖ gegenwärtig ihres Erachtens überhaupt (noch) spielen kann und soll.
Kulturrisse: Warum macht ihr eigentlich politische Kulturarbeit?
Bernhard Amann: Ja, also politische Kulturarbeit, das ist einfach ein Teil des Lebens. Für mich ist das insofern wichtig, als ich mir denke, dass man gerade über Kultur Sachen transportieren kann – und zwar auch lustvoll, nicht bloß frustriert und depressiv –, die einfach wichtig sind. Das heißt für mich Zivilcourage, Empowerment, Sich-Nichts-Gefallen-Lassen, Widerständig-Sein – und nicht zuschauen, erste Reihe fußfrei, was da irgendwo passiert. Und ja, Österreich bebt bekanntlich vor Stille – da muss ich meinen leider vor kurzem verstorbenen Freund Christoph Schlingensief zitieren –, weshalb es gerade hierzulande wichtig ist, Gegenposition zu beziehen. Und damals – ich komm’ mir ja manchmal fast schon vor wie ein Rentner – war es so, dass die IGKÖ ganz klar in ihren Grundsätzen formuliert hat, gegenhegemoniale Positionen beziehen zu wollen und diese mit voller Kraft in die Zivilgesellschaft hinein zu kicken. Nachdem die Parteien eh zu vergessen sind und de facto ausgedient haben, ist dieser zivilgesellschaftliche Ansatz meines Erachtens zentral.
Stefan Haslinger: Ich bin ja sowohl in meinem Brotberuf als Geschäftsführer der Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) als auch in meiner Funktion als Obmann der IGKÖ ständig mit der Frage konfrontiert, ab wann Kulturarbeit eigentlich politisch wird. Also wo ist sozusagen der Wendepunkt. Weil ich kann ja bspw. sagen, ich habe da ein politisches Projekt und verpacke das in einen künstlerischen bzw. kulturellen Rahmen, um das zu transportieren, weil es so möglicherweise leichter rein geht. Aber mein Ansatzpunkt ist nach wie vor ein anderer: Die Prozesse, die dazu führen, dass künstlerische bzw. kulturelle Projekte entstehen, sind meines Erachtens nämlich eminent politisch. Weil hier geht es um demokratiepolitische und konfliktbeladene Aushandlungsprozesse, die nie reibungsfrei und immer spannend sind. Hier geht es also quasi darum, Politik im Kleinen zu lernen. Und das, was viele Leute in diesem ganzen Prozess erlernen, ist, aus Kulturinitiativen heraus dann auch zivilgesellschaftlich zu agieren und grundsätzlich vielleicht keine Anti-Haltung, aber doch eine kritische Position gegenüber – unter Anführungszeichen – „den Mächtigen“ zu beziehen.
Elisabeth Mayerhofer: Ich halte es demokratie- und gesellschaftspolitisch für ganz zentral und normal, dass es eine Art von niederschwellig zugänglicher Kulturarbeit gibt, die auch in den Regionen stattfindet; die also nicht bloß im Urbanen existiert, sondern auch am Land, wo es möglich ist, niederschwellig und mit einem partizipativen Ansatz Dinge auszuprobieren und andere Zugänge zu eröffnen. Ich glaube, dass gerade diese kleinteiligen Experimentierfelder enorm wichtig sind für das kulturelle Leben einer Gesellschaft. Dabei ist mir ein Moment der Selbstbeauftragung sehr wichtig: Du machst etwas, weil du es willst – und sei es, dass du eine Theaterproduktion machst, die durchaus auch konventionell sein kann. Es geht also zentral darum, selbstbeauftragt Dinge zu machen, die frei sind von einem kommerziellen Verwertungsdruck, aber auch frei von diversen parteipolitischen – und erst recht von traditionalistisch oder nationalistisch aufgeladenen – Kontexten.
Udo Danielczyk: Ich mache politische Kulturarbeit, einfach weil ich irgendwann mal in die Kulturarbeit gerutscht bin und diese für per se politisch halte. Und zwar, weil es gerade im zeitgenössischen Bereich immer darum geht, quasi Freiräume zu suchen, zu nutzen und auszuloten; oder auch Grenzen immer weiter zu verschieben, was Gerald Raunig mal als „Spacing the line“ bezeichnete. Bei der zeitgenössischen Kulturarbeit geht es deshalb nicht bloß um die Produktion oder Vermittlung von Kunst, sondern immer auch um gesellschaftspolitische Zusammenhänge. Also das ist für mich nicht wirklich zu trennen.
Andi Wahl: Warum wir politische Kulturarbeit machen? Weil das mit der proletarischen Revolution dann ja leider nicht hingehauen hat. Und nachdem die Gewerkschaften auch zum Schmeißen waren, haben wir dann im Bereich der Kulturarbeit noch Freiräume entdeckt und haben unser politisches Engagement deshalb mit in die Kultur genommen. So war das zumindest bei mir persönlich. Ich bin ja Bauarbeiter in meiner ursprünglichen Profession, und die Gewerkschaft Bau-Holz, das ist ja die Gewerkschaft, die den Oktoberstreik 1950 niedergeprügelt hat; also das waren Streikbrecher, und sie sind es bis heute geblieben. Das Nette an der politischen Kulturarbeit ist dabei, dass man immer noch die Freiräume hat und sich im Notfall auf die Freiheit der Kunst berufen kann. Und dass man durch die Kulturarbeit und die Nähe zur Kunst auch neue ästhetische Formen ausprobieren kann und deshalb durch künstlerische oder kulturelle Formen Dinge vermitteln kann, die in einem politischen Manifest nicht zu vermitteln sind.
Andrea Hummer: Ich glaube, dass man, wenn man immer von der politischen Kulturarbeit spricht, Gefahr läuft, alle über einen Kamm zu scheren und zu behaupten, wir würden alle im selben Boot sitzen und dasselbe machen. Das glaube ich aber nicht. Vielmehr gibt es meines Erachtens sehr viele Differenzen. Ich jedenfalls mache linke Kulturarbeit, weil ich Ungerechtigkeiten, die durch Strukturen produziert werden, aufbrechen möchte.
Thomas Randisek: Ich finde das nach all den Jahren immer noch eine spannende Aufgabe, die befriedigend, ausfüllend und gesellschaftspolitisch spannend ist. Ein zusätzlicher Vorteil der politischen Kulturarbeit ist, dass dieses Feld eine zu 95 %„arschlochfreie Zone“ ist. Ich stimme mit Andrea grundsätzlich in diesem Punkt überein: Es ist nicht alles, was Kulturarbeit ist, politische Kulturarbeit. Vieles ist also einfach klassisches Veranstaltungsmanagement, das wenig Content hat. Aber den Versuch, politisch zu bleiben – und die IGKÖ ist da natürlich eine Wegbegleiterin über die Jahre hinsichtlich des Versuchs, die Szene politisch zu halten –, den halte ich nach wie vor für eminent wichtig. Das halte ich für einen ganz zentralen Aspekt.
Kulturrisse: Welche Funktionen sollte die IGKÖ eures Erachtens erfüllen?
Elisabeth Mayerhofer: Ich glaube, dass die Aufgabe der IGKÖ darin besteht, so etwas wie Serviceleistungen zur Verfügung zu stellen, weil man einfach dafür die Infrastruktur und die Ressourcen hat. Ich glaube aber auch, dass es sehr wichtig ist, Lobbying zu betreiben. Dadurch dass man Mitglieder hat, gibt es gemeinsame Ziele, die man teilt, und die kann man dann auch ganz gezielt auf den verschiedenen politischen Ebenen durchzusetzen versuchen. Das, was ich aber auch für wichtig halte, ist die Möglichkeit der IGKÖ, Diskurse aufzubereiten und gemeinsam mit den Mitgliedern weiter zu entwickeln. Ich würde sagen, dass hier die Ansätze im Bereich der antirassistischen Kulturarbeit ein gutes Beispiel sind, wie man gemeinsam Dinge auf die Agenda setzen kann – und auch wie man immer wieder schauen muss, dass diese Themen zu den Mitgliedern zurückgespielt werden, um so in Kooperation zu versuchen, einen Diskurs weiterzutreiben. Also in dieser Diskursbildung sehe ich eine ganz zentrale Aufgabe der IGKÖ.
Bernhard Amann: Also was die IGKÖ im sozialen Gefüge forcieren sollte, wäre, diesen zivilgesellschaftlichen Diskurs viel stärker zu fördern. Aber natürlich ist klar, dass das eine Mickey Mouse-Verdichtung ist – also was die geringen finanziellen Mittel anbelangt, die dieser Organisation zur Verfügung stehen. Hier wurde ausgehungert in Permanenz. Aber auf der anderen Seite ist es wichtig, diesen Schnarchnasen von Kulturveranstaltern in ihrem Koma mal wieder Leben einzuhauchen. Also da werden ja laufend GmbHs und andere Gesellschaftsformen gegründet, die aus meiner Sicht Emanzipation und Teilhabe einfach verhindern. Da kauft man halt irgendwelche Programme ein, und auf der anderen Seite ist da bspw. der gesamte soziokulturelle Bereich, den es eigentlich kaum noch gibt. Und ich sehe ähnliches im Bereich der offenen Jugendarbeit – da dominiert überall die „Überbravung“. Man hat sich also mit den Subventionen in Abhängigkeiten begeben, und je mehr Kohle desto mehr Maulhaltung ist gefordert. Und hier denke ich mir, dass es wichtig ist, dass die IGKÖ genau dort wieder ansetzt.
Stefan Haslinger: Ich teile die Meinung von Bernhard insofern, als ich glaube, die IGKÖ könnte hier noch viel mehr tun. Die Herausforderung, die sich beim Versuch stellt, politische Kulturarbeit wieder mehr als politisches Kampffeld zu definieren, hängt meines Erachtens sehr stark mit der Frage zusammen, ob es gelingt – wie man es früher formulierte –, ein politisches Bewusstsein zu reaktivieren. Es geht also massiv darum, die Basis zu reaktivieren und sich zu fragen, wie die IGKÖ selbst ihre durchaus eingefahrene Institutionalisierung durchbrechen kann. Also die IGKÖ ist ein großer Dachverband, und nach 20 Jahren gibt es einfach gewisse Verkrustungserscheinungen, die institutionell bedingt sind. Und hier gibt es natürlich die Herausforderung, diese Verkrustungen aufzubrechen, um als Organisation wieder flexibler agieren und dadurch auch die Basis verstärkt aktivieren zu können. Ich denke, das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Weil sonst sieht sich die IGKÖ mit der Problematik konfrontiert, dass Top-Down-Prozesse sich einspielen.
Thomas Randisek: Woran man seit 20 Jahren im Rahmen der IGKÖ arbeitet, ist meines Erachtens, dass man eine klassisch schlagfertige gewerkschaftliche Vertretung für Kulturinstitutionen und Kulturschaffende entwickelt, die ein entsprechendes gesellschaftliches Gewicht hat und ein Player ist, an dem man einfach nicht vorbei kommt. Ziel muss es also sein, dass die IGKÖ weiter an politischem Einfluss gewinnt.
Andrea Hummer: Also wenn ich an junge AktivistInnen denke – auch vor dem Hintergrund, dass wir alle ja schon etwas älter sind –, sehe ich, dass sich aktuell viel in Richtung Protest tut. In diesem Sinn würde ich mir wünschen, dass gerade junge Menschen mehr Interesse finden, sich auch in der IGKÖ zu engagieren. Zusätzlich glaube ich, dass noch mehr Diskurs darüber notwendig wäre, was die eigene politische Kulturarbeit denn will, dass die Kulturinitiativen ihre Praxis und auch die der anderen kritisch reflektieren, um dadurch in ihrem Tun weiterzukommen –, wenn sie denn politisch wirklich etwas bewegen wollen. Ich bin sicher, dass hier die IGKÖ nach wie vor eine wichtige Rolle spielen kann und muss.
Udo Danielczyk: Ja, welche Funktion soll die IGKÖ erfüllen? Ich würde sagen, sie muss Lobbyingorganisation für die freie Kulturarbeit sein und natürlich auch Servicefunktionen für die Mitglieder erfüllen und kulturpolitische Interessenvertretung praktizieren. Die Chancen für die IGKÖ sehe ich allerdings immer weniger im Servicebereich, weil der durch die Länderorganisationen meines Erachtens relativ gut abgedeckt ist, zumal die einfach auch näher an den Mitgliedsvereinen dran sind. Die Potenziale der IGKÖ sehe ich demgegenüber vor allem dort, wo sie kulturpolitische Vorreiterin sein kann; sprich, wo sie Trends früh erkennt und versucht, das eben kulturpolitisch in Österreich umzusetzen, was nur leider auf Bundesebene seit geraumer Zeit extrem schwer, um nicht zu sagen unmöglich geworden ist. Und da hat sich leider auch in der Zeit nach Schwarz-Blau noch nicht viel geändert.
Andi Wahl: Also ich sehe die Funktion der IGKÖ zentral in einer theoretischen Unterfütterung von politischer Kulturarbeit. Wobei man da natürlich immer Gefahr läuft, sich in Spintisierereien zu verrennen oder den Vorwurf der Abgehobenheit zu kassieren. Wobei die IGKÖ ja auch einfach abgehoben ist. So rein physikalisch: Wie sollst du bitte auf einer Metaebene agieren, wenn du nicht abgehoben bist?
Interviews: Uli Fuchs und Christine Schörkhuber
Anmerkung
Langversionen dieser und zahlreiche weitere Interviews werden demnächst als Video auf der Website der IG Kultur Österreich abrufbar sein