Michael Wimmer (Educult): "Sozialdemokratische Kulturpolitik hat auf das politische Potential von Kultur vergessen."

Interview mit Michael Wimmer, Direktor von EDUCULT, darüber, warum man die beiden schwarzblauen Regierungen von damals und heute nicht gleichsetzen sollte, wie die damals begonnene Politik der Ökonomisierung auch unter roten Kulturministerien fortgesetzt wurde und wie der Kulturbetrieb wieder politisch relevant werden könnte.

Michael Wimmer, Educult, bei UNESCO World Conference on Arts Education Seoul

Kwasi: Wurde 2000 durch die schwarzblaue Übernahme auch eine Wende in der Kulturpolitik eingeleitet? Hat sich das etwas grundlegend verändert?

 


Wimmer: Ja, es hat sich etwas geändert. Es gab damals noch ein ganz anderes Widerstandspotential in der Kulturszene, die eine offensive Front gegen die fremdenfeindliche Politik bildete. Mit Franz Morak kam ein Kulturpolitiker aus der Szene, der mit einem dezidiert politischen Auftrag angetreten ist. Andreas Kohl formulierte diesen flapsig als „mit dem linken G’sindel aufräumen“. Auf symbolischer Ebene sollte ein Kurswechsel erreicht werden. Morak war geprägt von einem Revanchismus, der sich seinen schlechten Erfahrungen mit der „Peymann-Partie“ verdankte. Jörg Haider sprach damals davon, dass man die Hand, die einen füttert, nicht beißen darf. Von heute auf morgen konnten natürlich nicht weite Teile des Kulturbetriebs geschlachtet werden. Aber zumindest kritische Teile der freien Szene hatten es um einiges schwerer,  Förderungen in Anspruch zu nehmen . Es gab auch Forderungen, die Kulturpolitik und Fördermaßnahmen stärker zu regionalisieren. Franz Morak hat sich dann auch stark auf den Begriff der Cultural and Creative Industries konzentriert und wollte damit ein Stück weit Ökonomisierung in den Kulturbetrieb bringen und sich sukzessive von der detailreichen Bundesförderung zurückziehen. Im Übrigen ein Kurs, der auch von den Folgeregierungen übernommen wurde. Da ist etwas in Gang gesetzt worden, was weit über seine Amtszeit hinaus wirksam bleiben sollte. 

 


Kwasi: An und für sich war Schwarzblau damals ja eine relativ kurze Episode. Wurde die damals eingeläutete Kulturpolitik also fortgesetzt? Haben die rotschwarzen Folgeregierungen diesen Faden aufgenommen?

 


Wimmer: Die rotschwarze Fortsetzung ab 2007 war stark von Claudia Schmieds Handschrift geprägt, der man Kunst und Kultur gemeinsam überantwortet hatte, aber auch den Bildungsbereich. Damit konnte sie einen Schwerpunkt auf Kunst- und Kulturvermittlung und kulturelle Bildung legen. Da hat sie Anleihe an die Idee der 70er Jahre der „Kultur für Alle“ genommen. Sie hat das aber unter anderen Vorzeichen gemacht, da nicht mehr die politische Intention, mittels Kultur politische Emanzipation zu ermöglichen, im Mittelpunkt stand, sondern die Absicht, den Kulturbetrieb breiter aufzustellen und besser am Markt zu verankern. Diese Politik der Ökonomisierung hat dann insbesondere die Amtszeit von Josef Ostermayer gekennzeichnet. Das ist ein Ansatzpunkt, der auch das neue Schwarzblau charakterisiert: Die Ökonomisierung des Kulturbetriebs wurde schon 2000 in Gang gesetzt und die gegenwärtigen Quotenschlachten, die sich die großen Einrichtungen im Moment liefern, zeigen das Ergebnis dieser Entwicklung. 
In dem Maße, in dem sich der öffentliche Kulturbetrieb vermaktförmigt hat, scheint mir sein politisches Potential abhanden gekommen zu sein. Dementsprechend schwach waren die Widerstandsformen bei der Neubildung der schwarz/türkis-blauen Bundesregierung letztes Jahr. Heute hat diese kein Interesse mehr daran, Symbolpolitik mitttels Kulturpolitik im engeren Sinn zu betreiben. Norbert Blümel interessiert der Kulturbetrieb nur wenig. Die Symbolpolitik wird stattdessen mithilfe einer Kulturalisierung von Sozialpolitik betrieben. Da werden neue kulturelle Gegensätze konstruiert, um die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben. Zwischen uns und den anderen, den wirklichen und echten Österreichern und den Migranten. Das scheint das neue symbolische Feld zu sein, in dem kulturpolitische Schlachten geschlagen werden. Das zeigt sich auch in den Gegenbewegungen. Wenn nach 2000 weite Teile des Kulturbetriebes aufgestanden sind, sieht man jetzt sehr viel stärker migrantische Gruppierungen in den Gegenbewegungen. Künstler spielen eine gewisse Rolle, aber insgesamt zeigt sich auch im Widerstand der veränderte Austragungsort von Kulturpolitik deutlich. 

 


Kwasi: Wenn man nun bedenkt, dass diese Kulturpolitik der Ökonomisierung sich auch in fast zehn Jahren roter Kulturministerien fortgesetzt hat und das auch einen Beitrag dazu geleistet hat, dass der Widerstand im Sektor gegen die jetzige schwarzblaue Regierung schwächer ausfällt, muss man dann sagen, man hat es ihnen leicht gemacht?

 


Wimmer: Ja. Die sozialdemokratische Kulturpolitik hat im Wesentlichen auf das politische Potential von Kulturpolitik vergessen. Sie hat sich sanfter als in anderen Ländern aber doch einem ökonomischen Paradigma verschrieben und die großen Kultureinrichtungen marktförmiger gemacht und auf der anderen Seite den freien Sektor geschwächt, der ja zuletzt ziemlich erschöpft war. Ich sehe nun einiges an Bemühen, sich entlang der aktuellen politischen Geschehnisse noch einmal zu erheben. Aber dieser Auszehrungsprozess der letzten zehn bis fünfzehn Jahre ist unübersehbar. Dazu hat eine verfehlte sozialdemokratische Kulturpolitik beigetragen. Man hätte die Chance gehabt, zwar die die großen Einrichtungen stärker an die Logik der Marktgesellschaft anzupassen, die vorrangig Standortattraktivität und touristische Erfordernisse bedient, dafür aber kompensatorisch einen starken freien Sektor weiterzuentwickeln, der eine politische Vorstellung von Kulturpolitik aufrechterhalten kann. Stattdessen wurde aber vor allem mit Josef Ostermayer die Kommunikation zwischen Bundeskulturpolitik und dem freiem Bereich völlig aufgegeben. Von Ostermayer gab es auch klare Absichtserklärungen Einzelförderungen tunlichst an die Länder abzugeben. Das Ministerium sollte sich auf Steuerungsfragen und staatsbegründende Einrichtungen konzentrieren. 

 


Kwasi: Könnte es eine Lösung sein sich die Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik aus den 70er Jahren wieder mehr zum Vorbild zu nehmen? Zumindest dort, wo progressive Kräfte noch politische Gestaltungsmacht haben?

 


Wimmer: Ich hoffe, ich bin jetzt nicht zu pessimistisch, aber ich befürchte, dass der Stellenwert des Kulturbetriebs insgesamt in den letzten dreißig Jahren an Bedeutung verloren hat. Er scheint weder für nationalstaatliche Identifikationsbildung, noch als wesentlicher Faktor der persönlichen und kollektiven Emanzipation mehr von signifikanter Bedeutung. Ich sehe die Kräfte nicht, die in der Lage wären, dem Kulturbetrieb wieder die Brisanz zu geben, die er eigentlich verdienen würde. Sein Angebot wird heute von den meisten Menschen als eine mögliche Freizeitbeschäftigung  unter vielen anderen wahrgenommen. Darüber hinaus heften sich kaum politische Hoffnungen an ihn. Das hängt auch mit der Digitalisierung zusammen, wenn ganz neue Kulturräume und Interaktionsformen entstehen. Das ist bestimmt eine bislang unterschätzte Dimension von Kulturpolitik. Da ist es verheerend, dass es vor allem die rechten Kräfte sind, die mit diesen Medien besser umgehen können. Dort werden kulturelle Vereinbarungen getroffen. Wenn es noch Emanzipationspotentiale und gesellschaftspolitische Dimensionen gibt, dann spielen die sich in migrantischen Kontexten ab. Das ist das Symbolfeld der neuen Regierung. Da könne auch Kunst- und Kulturschaffende eine wesentliche Rolle spielen, aber nur im Zusammenhang zu aktuellen migrations- und integrationspolitischen Fragen.

 

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Michael Wimmer, Educult

 

Michale Wimmer ist Direktor von EDUCULT. Er war langjähriger Leiter des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), ist Dozent an der Universität für angewandte Kunst Wien zu Kulturpolitikforschung sowie Lehrbeauftragter am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien. 
 

 

 

 

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Foto: Freundlich zur Verfügung gestellt von Michael Wimmer, Educult