Kurz vor Budgetbeschluss – Was fehlende Investitionen für den Kultursektor bedeuten

Eine Stellungnahme der IG Kultur Vorarlberg zum Vorarlberger Kulturbudgetentwurf 2021

Kurz vor Budgetbeschluss – Was fehlende Investitionen für den Kultursektor bedeuten

Es braucht Investitionen, um aus einer Krise hervorzugehen, so wie es Muskelkraft braucht, „den Karren aus dem Dreck“ zu ziehen.

Was die Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kultursektor anbelangt - und die Covid 19-Krise zeigt es erschreckend klar – ist der Vergleich zum Karren sicher zutreffend. Endlich scheinen das auch Österreichs Regierungen eingesehen zu haben, könnte man meinen, wenn man einen Blick auf deren Arbeitsprogramme wirft. Das Staatssekretariat für Kunst und Kultur beschäftigt sich unter Beteiligung der Kulturreferent*innen aus den Bundesländern aktuell mit dem Thema Fair Pay. Im Vorarlberger Arbeitsprogramm 2019 -2024 taucht ebenfalls ein ewiger Schmerzpunkt des Kulturschaffens auf. Prekariat laute dieser und ihm widmen sich die kulturpolitisch Verantwortlichen derzeit in einer Arbeitsgruppe. Wortwörtlich heißt es im Vorarlberger Regierungsprogramm dazu: „Vielfalt absichern. Gute Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur zu schaffen, bedeutet auch, die seit Jahrzehnten unverändert prekären Einkommensverhältnisse der Kunst- und Kulturschaffenden in Vorarlberg zu verbessern.“ Die Zahlen für Kunst und Kultur im Vorarlberger Budgetentwurf für das Jahr 2021, der am Mittwoch, 16. Dezember, im Landtag beschlossen werden soll, sprechen jedoch eine ganz andere Sprache. Von Investitionen und Maßnahmen, die aus dem Prekariat herausführen und in eine Zukunft mit tragfähiger Basis führen könnten, ist in monetärer Hinsicht nichts zu sehen.
Dabei schürte das so offene Bekenntnis zu den unzumutbaren Arbeitsbedingungen und vielfach unzureichenden Sozialleistungen vieler Kunst- und Kulturschaffender im ganzen Sektor anfangs viel Hoffnung auf Besserung. Das war noch vor Corona. . Mitten in dem Versuch, diese Krise zu bewältigen, wäre die Wahrnehmung von Kunst und Kultur als unverzichtbarer Aspekt unserer diversen Gesellschaft und ihres Zusammenhalts von immenser Tragweite. Und es ist dringlicher denn je, deren Protagonist*innen und damit jenen, die die Kunst und Kultur existent halten, eine adäquate und sozialrechtlich vertretbare Basis zur Existenz zu ermöglichen. Eine noch höhere Schlagzahl an Beweisen und Beispielen, die den Worten endlich Taten folgen lassen müssten, würde wahrscheinlich zum Kulturinfarkt führen. Sprich, wenn nicht jetzt die Zeit zum Handeln ist, wann dann?

Kunst und Kultur sind ein Wirtschaftsfaktor
Das Frühjahr 2020 stellte in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur im Kulturschaffen dar. Einerseits wirkte die Pandemie wie ein Vergrößerungsglas und zeigte, dass viele der in Österreich im Kunst und Kulturbereich Erwerbstätigen durch die Einschränkungen und Veranstaltungsverbote unmittelbar in eine existenzielle Notlage gerieten. Andererseits trafen kurzfristig gesetzte Hilfsmaßnahmen und Fonds vielfach nicht auf die in hybriden Arbeitsverhältnissen stehenden Kulturschaffenden zu. Und auch die im März rasch reagierenden und verantwortungsbewusst handelnden Kultureinrichtungen, vor allem die gemeinnützigen und nicht gewinnorientierten, mussten nervenzehrend lange auf für sie passende Maßnahmen warten. Angesichts unzureichender finanzieller und immaterieller Unterstützungen häuften sich die Fragen: Sollte die Unkenntnis der Regierungen den Arbeitsbedingungen im Sektor gegenüber noch größer als angenommen sein, oder fußt deren Vorgehen vielmehr auf einem nicht zu überbietenden Desinteresse an Kunst und Kultur, ihrem Wert an sich und auch dem gegenüber, was sie zur Volkswirtschaft beitragen? Dabei sprechen die Zahlen für sich, das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport selbst gab beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung eine Studie zur Ökonomischen Bedeutung der Kulturwirtschaft und ihrer Betroffenheit in der COVID-19-Krise in Auftrag. Im Juni 2020 wurde sie veröffentlicht und zeigte deutlich: Kunst und Kultur sind ein Wirtschaftsfaktor. In der Studie heißt es, dass im Kernbereich des Kultursektors in Österreich eine direkte Wertschöpfung von 4,7 Mrd. Euro erwirtschaftet wird. Durch die Berücksichtigung anderer Teilsektoren aus dem kulturnahen Bereich können noch zusätzliche Wertschöpfungsbeiträge von knapp 2,5 Mrd. Euro zugerechnet werden. Insgesamt, also für Kern- und erweiterten Bereich des Kultursektors, ergibt sich eine Wertschöpfung von 7,2 Mrd. Euro, die von insgesamt rund 119.000 Beschäftigten erwirtschaftet wird. Dieser Wirtschaftsfaktor ist durch die Krise massiv bedroht.

Sie sind 9,8 Mrd. Euro wert, exakter: Sie waren 9,8 Mrd. Euro wert
Der Tourismus- und Regionalökonom Oliver Fritz arbeitete mit an dieser Studie und gab bei einer Arbeitskonferenz der TKI Tiroler Kulturinitiativen im Oktober 2020 einen direkten Einblick in die Studie und ihre Hintergründe. Zu Beginn der Veranstaltung hängte Oliver Fritz den anwesenden Kunst- und Kulturschaffenden zur Bezifferung ihres Wertes ein Preisschild um: „Die Ergebnisse kommen immer zum Schluss, aber ich sage Ihnen gleich, was Sie wert sind: Sie sind 9,8 Mrd. Euro wert, exakter: Sie waren 9,8 Mrd. Euro wert, denn das ist der volkswirtschaftliche Beitrag von Kunst und Kultur in Österreich vor der Covid 19-Krise. Und dann kam eben die Krise mit diversen Einschränkungen und jetzt hat sich Ihr Preisschild verändert, musste ausgetauscht werden und jetzt sind Sie ungefähr 7,3 Mrd. Euro wert.“

Kolportierte Budgetkürzung sorgte für massive Unsicherheit
Was heißt das nun für Vorarlberg, seine Kunst- und Kulturschaffenden und die Kultureinrichtungen, die von professionell Tätigen und ehrenamtlich Engagierten getragen werden? Rückblickend betrachtet hielten die im März 2020 angekündigten Aussagen des Kulturressorts, mit zugesagten Förderungen kulant umzugehen. Zusätzliche Arbeitsstipendien und Atelierförderungen stützten den Sektor, der auch eine große zivilgesellschaftliche Unterstützung erfuhr. Die Vorarlberger Bevölkerung und viele Unternehmen zeigten sich verantwortungsbewusst, das beweisen die Zuwendungen und Investitionen an neue Initiativen wie etwa der Verein locart oder Stream in – Kunst hilft Kunst. Zwischenzeitlich sorgte jedoch die kolportierte Ankündigung einer 10%igen Kürzung in allen Bereichen des Vorarlberger Budgets für massive Unsicherheit. Ein Fakt, der das Fundament einer soliden und optimistischen Zukunftsplanung für Kunst und Kultur mit Rissen versah. Und das, obwohl der Bereich sich trotz Planungsunsicherheit Alternativen für Präsenzen im digitalen Raum suchte, Formate verlagerte, Programme verschob, Premieren verlegte, Honorare zahlte, in Kurzarbeit schickte, noch mehr ehrenamtlich arbeitete, Infrastrukturen adaptierte, Sitzplätze sperrte, Künstler*innen bei der Stange hielt und manche enttäuschen musste, Mitarbeiter*innen schulte, sich in Verordnungstexte vertiefte und erschüttert feststellen musste, Bordellen nachgereiht zu sein. Schulungen wurden besucht, Präventionskonzepte erstellt und wieder umgeschrieben, Eröffnungen angekündigt, um sie gleich drauf wieder abzusagen und dann: der Kontakt zum Publikum, das sehnlichst auf eine Veranstaltung und Diskurs wartete, das Ticket nicht zurückforderte, aber sich dann doch weiter im Netz umsah und vielleicht woanders eine Plattform fand, wo die Bedürfnisse nach Kunst und Kultur unmittel- und leistbar gestillt werden konnten. Die Kunst und Kulturszene im Land verhielt sich dennoch kooperativ, kreativ und dem Eindämmen der Infektionszahlen größte Verantwortung zollend. Die Ankündigung einer 10%igen Kürzung war jenseits eines Zuspruchs und bar jeder Motivation.

Und doch eine Kürzung
Wenn es in den Erklärungen zum Budgetentwurf heißt, dass lediglich die landeseigenen Einrichtungen Vorarlberger Landestheater, Vorarlberg Museum und Kunsthaus Bregenz von einer 3%igen Kürzung getroffen werden sollen und alle anderen nicht, löst das keine Erleichterung im autonomen Kunst- und Kulturbereich aus. Dieser besteht aus Kulturinitiativen und -vereinen, Museen, Galerien, der darstellenden und bildenden Kunst, der Literatur, Musik und dem Film und soll laut Ankündigung mit dem Fortschreiben der veranschlagten Zahlen aus 2020 rechnen können. Nochmals Glück gehabt, könnte man denken, wäre der Kultursektor in der Zusammenarbeit nicht so eng miteinander verknüpft und sich dessen durchaus bewusst. Streichungen bei den Landeseinrichtungen können und werden wahrscheinlich auch Konsequenzen auf die Arbeitsbedingungen des freien Bereichs haben. Alle kulturveranstaltenden Einrichtungen arbeiten sowohl mit professionellen Künstler*innen als auch Laiendarsteller*innen oder Chören und Amateurvereinen zusammen, sie beschäftigen Kulturschaffende, Kulturvermittler*innen, Bühnentechniker*innen, Ausstatter*innen oder Maskenbildner*innen, Fotograf*innen und Filmer*innen.

Nun wäre also die Zeit, sich mit Weitblick zu adäquaten und kurzfristigen Maßnahmen wie auch nachhaltig wirkenden Investitionen zu bekennen. Ohne finanzielle Mittel wird dies schwer möglich sein, aber es hängt noch weit mehr daran und hier seien die vielen Kunst- und Kultur-Expert*innen im Land genannt, deren Zusammenarbeit beispielsweise in Forschungslaboren ressourcenschonende Visionen mit praktischen Ansätzen verknüpfen könnte. Die Verantwortung dafür allein dem Kultursektor zu übertragen wäre genauso fahrlässig, wie das Arbeitsprogramm Prekariat ohne die Praxis-Erfahrung aus dem Kultursektor zu bearbeiten. Mehr denn je braucht es das Miteinander.

Der Blick über die Grenzen
Man muss gar nicht weit reisen, um zu sehen, wo zukunftsorientierte Projekte und Formate bereits umgesetzt werden: In der Schweiz gibt es nun für Kulturunternehmen die Möglichkeit, über Transformationsprojekte um Unterstützung anzusuchen. Ziel dieses Formats ist, die nachhaltige Schädigung der Kulturlandschaft zu verhindern und die kulturelle Vielfalt zu erhalten. Kulturunternehmen können für Kosten, die für Transformationsprojekte entstehen, Beiträge in Form einer nicht-rückzahlbaren Finanzhilfe beantragen. Unterstützt werden Projekte, mit denen Kulturunternehmen eine Anpassung an die durch die Covid-19-Epidemie veränderten Verhältnisse bezwecken und die der strukturellen Neuausrichtung oder Publikumsgewinnung dienen. Grundlage für die Formate ist die vom Schweizer Bundesrat erlassene Verordnung über die Massnahmen im Kulturbereich gemäss Covid-19-Gesetz. Ein ebenfalls weitblickendes Format wurde letzte Woche auch in Kärnten vorgestellt. Mittels Stipendien für Kulturinitiativen, dotiert mit 110.000 Euro, wird wird in enger Zusammenarbeit mit der IG KiKK die Planung künftiger Vorhaben unterstützt.

Wie sich die unmittelbare Zukunft der Kunst und Kultur gestaltet, wird sich diese Woche sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene zeigen. Wenn im Landtag die Zahlen beschlossen werden, sollte die Bundesregierung die nächsten Öffnungsschritte im Januar bekannt geben.

Rückfragen:
Mirjam Steinbock, Geschäftsführung IG Kultur Vorarlberg
+43 (0)664 4600291 /
steinbock@igkultur-vbg.at | www.igkultur-vbg.at

 

Die gekürzte Fassung der Stellungnahme als Presseaussendung finden sie unten im Downloadbereich.

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