Intermittents du spectacle. Zur sozialen Absicherung nicht nur der Kulturarbeit
Die Reform, die wir wollen, muss die Garantie einer Einkommenskontinuität bedeuten, für alle und ohne Bedingungen; dies ist die Vorbedingung dafür, dass sich andere Formen der Kultur, andere Formen künstlerischer Schöpfung, andere Lebensformen, andere mögliche Welten entfalten können.
"Eine Diskontinuität ist keine Unterbrechung und noch weniger ein Anhalten, es ist eine Fortsetzung, ein Fortfahren in einem unvorhersehbaren Modus … Ein Intermittent ist ein diskontinuierlicher Arbeiter … Eine Diskontinuität führt, indem sie die Kontinuität bricht, Freiheit in den Ablauf eines Phänomens ein." (Denis Guedj, Mathematiker)
Die Annexe 8 und 10 stellen innerhalb des Systems der französischen Arbeitslosenversicherung die Anerkennung der Beschäftigungsdiskontinuität dar, die dem Kulturbetrieb inhärent ist, und gewährleisten ein kontinuierliches Einkommen während der Perioden von Arbeitslosigkeit. Indem ein kontinuierliches Einkommen zwischen Perioden "in Beschäftigung" und "arbeitslosen" Perioden zugesichert wird, erlaubt es das Intermittents-System (das der diskontinuierlich beschäftigten KulturarbeiterInnen, v. a. im Festival- und Medienbereich) seinen LeistungsempfängerInnen, zwischen Perioden der "Produktion" - anders gesagt: der warenförmigen Verwertung - sowie Latenzphasen der Entstehung, Ausarbeitungsperioden für persönliche Projekte, Perioden der Bildung, Perfektionierung, Kompetenzausweitung, Arbeitssuche zu wechseln; will heißen, es handelt sich um eine Einkommenskontinuität zwischen verschiedenen Arten von Arbeitsperioden, zwischen den Unternehmenszeiten und den Zeiten der kreativen Produktion sowie der Reproduktion der sozialen Bedingungen der Kooperation und der kreativen Vermögen.
Angesichts der "realen" und "virtuellen" Defizite laden uns Regierung und Unternehmerbewegung (MEDEF) nun zum Schauspiel der Modernisierung des Sozialen ein: Keine Parasiten mehr, keine Untätigen, keine Wahlmöglichkeiten! Verlängerung des Beitragszeitraums für die Pension, Rücknahme der Arbeitslosenrechte, Rückkehr zur aufgezwungenen Arbeit für EmpfängerInnen der Arbeitslosenunterstützung (RMI) bei Subventionierung der ArbeitgeberInnen (Projekt RMA), Reform des Systems der "Intermittents du spectacle". Dies in einem Kontext globaler Politiken, die auf die Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungen - von der Gesundheit bis zur Bildung und Forschung - abzielen, auf die Reduzierung der Budgets der lebendigen Kultur … Der Minimalstaat Robert Nozicks ist da, und zwar in folgender Inszenierung: dem privaten Sektor die Felder der sozialen und biologischen Reproduktion des Lebens, dem Staat die Verteidigung. Von der Wohlfahrt zur Workfare/Warfare.
Das System der Intermittents du spectacle: Besonderheit und Krise, oder Krise einer Besonderheit. Heute - im Anschluss an die UNEDIC-Abkommen (die französischen Arbeitslosenkassen) vom 20. Dezember 2002, die die Arbeitslosenrechte weitreichend erschüttern - ist es mehr denn je frontalen Attacken ausgesetzt, die gefälligerweise von den die Intermittents du spectacle systematisch diskreditierenden Medien weitergetragen werden. Man breitet sich ohne Ende über die "Löchrigkeit" der Intermittents-Regelungen aus, zeigt mit dem Finger auf die "Betrüger" und vergisst darüber, in Erwägung zu ziehen, dass die größten Betrüger dieses Systems die größten Beschäftigungsgeber sind (Fernsehen, Produktionsbetriebe), die einen Teil ihrer Lohnkosten auslagern - sie, die den größten Teil der Gewinne machen - und sich von den Auflagen unbefristeter Arbeitsverträge befreien, indem sie dieses System ausbeuten …
Nein, das System der Intermittents du spectacle ist nicht ideal; was wir verlangen, ist nicht die Aufrechterhaltung des Status quo. Die Reform, die wir wollen, muss die Garantie einer Einkommenskontinuität bedeuten, für alle und ohne Bedingungen; dies ist die Vorbedingung dafür, dass sich andere Formen der Kultur, andere Formen künstlerischer Schöpfung, andere Lebensformen, andere mögliche Welten entfalten können.
Nein, dieses System ist nicht ideal. Dem Fallbeil von 43 Stempeln oder 507 Stunden unterworfen, kann sich jeder Intermittent du spectacle von einem Tag auf den anderen aus diesem System ausgestoßen finden, was auch immer sein oder ihr Werdegang, Alter, Beruf sein mag. Wir sollten im Übrigen sagen: was auch immer seine oder ihre Berufe sein mögen, denn mehr als eine/r hat gelernt, von einem zum anderen überzugehen, aus Neigung, aus Zufall, aus Notwendigkeit. Walzer der Funktionen und Wettlauf um die "Stunden".
Prekäre unter Prekären, exponiert auf den vordersten Rängen des Tagesgeschehens, kann ein Nichts die Beschäftigungsquellen beseitigen, ohne Garantie und ohne Ausgleich. Streichung des Budgets? Politischer Wechsel, der seinen Widerhall in den kulturellen Strukturen findet? Nicht-honorierte Verträge, gestrichene Subventionen, revidierte Programmierung etc. - und man kann zusehen, wie man zu seinen 43 Stempeln kommt.
Nein, dieses System ist nicht ideal, mehr als die Hälfte der LeistungsempfängerInnen bekommen weniger als den Mindestlohn, während andere weitestgehend von der Summe ihrer Beihilfen mit ihren Einkünften leben. Die neu eintretenden LeistungsempfängerInnen werden bestraft, die "Rechte" sind nicht immer verlängerbar. Die Vielfalt der möglichen Fälle und Rechtsstellungen zieht über komplexe Umwege große Behandlungsungleichheiten nach sich.
Man entrüstet sich auch über die gestiegene Zahl an LeistungsempfängerInnen, auch wenn anerkannt wird, dass ihr Anwachsen ein Zeichen für die Gesundheit des Sektors ist. Widerspruch oder äußerster Zusammenhang? Das vollkommene Schweigen über den Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen ist nicht verwunderlich. Und wenn der gute Gesundheitszustand des Sektors gerade von der großen und wachsenden Zahl der Anspruchsberechtigten abhinge?
"Die Zeit ist Zeugung, oder sie ist schlechthin nichts." (Henri Bergson)
Was das gegenwärtige System der Intermittents in unseren Augen darstellt und worin zugleich die Hoffnungen begründet sind, die wir in die auf einen Status des/r Lohnempfängers/in mit diskontinuierlicher Beschäftigung zulaufende Entwicklung setzen, ist die Möglichkeit, sich einen von der Lohnarbeit entkoppelten Zeitraum wieder anzueignen. Zeit, um schöpferisch zu sein, Zeit, um zu kooperieren, Zeit, um andere mögliche Welten zu erfinden …
Man wirft diesem System sein "spezifisches" Defizit vor. Das Quasi-Verschwinden der Annexe 8 und 10 soll also die Antwort sein, die ins Auge gefasst wird, um es wieder aufzusaugen und das Risiko seiner Nachbildung zu eliminieren. Nun wirft jedoch gerade die Vorstellung eines "spezifischen" Defizits Probleme auf, denn sie führt einen wesentlichen Widerspruch zum Prinzip eines Arbeitslosenversicherungssystems ein, das Berufsgruppen übergreifend ist und auf der Solidarität zwischen LohnarbeiterInnen ruht. Das "spezifische" Defizit zu eliminieren bedeutet andererseits aber auch, die Spezifität zu leugnen, die das System der Intermittents begründete: die Anerkennung der diskontinuierlichen Natur der Beschäftigung im Sektor.
In Wirklichkeit ist es das Prinzip der Einkommenskontinuität, das angegriffen wird. Als Abhilfe zur übertriebenen Flexibilität, als Bollwerk gegen die sich festsetzende Ultraliberalisierung, als Brüstung für die von der Beschäftigungsunsicherheit hervorgerufene Angst. Das Quasi-Verschwinden der Annexe 8 und 10 anzupeilen heißt, die Verantwortung für das Verschwinden nicht nur der Intermittents zu übernehmen, sondern auch der Existenzbedingungen einer kulturellen und künstlerischen Tätigkeit, die das gesellschaftliche Leben durchquert, sich von ihm ernährt und es zur gleichen Zeit nährt.
Immerhin, man kann darin übereinkommen: Die den Kultur- und KunstarbeiterInnen eigene Tätigkeit hat ihre Spezifität zum Teil verloren, und zwar ebenso sehr hinsichtlich der Diskontinuität der Beschäftigungen - die sich fortschreitend auf alle Berufe und Tätigkeitsfelder ausgedehnt hat - wie auch hinsichtlich der Natur der Tätigkeiten selbst. In der Tat implizieren diese mehr und mehr an Erfindungsvermögen und Fähigkeit zur autonomen Kooperation: Zu kommunizieren, zu erfinden, neue Güter mit starkem kulturellem Inhalt zu produzieren, ist zur Matrix des Wertes im heutigen Kapitalismus geworden. Die kapitalistische Akkumulation gründet sich nicht mehr allein auf die Ausbeutung von Arbeit im industriellen Sinn des Begriffs, sondern auf die des Wissens, des Lebendigen, der Freizeit, der Kultur, der in den Beziehungen zwischen Individuen bestehenden Ressourcen, des Imaginären. Was produziert und verkauft wird, sind nicht nur materielle und immaterielle Güter, sondern Lebens- und Kommunikationsformen, Sozialisations- und Wahrnehmungsstandards … Die künstlerischen und kulturellen Aktivitäten verlieren ihre Spezifität, um zur allgemeinsten Matrize der Produktion von Reichtümern zu werden.
Die Diskontinuität, die früher allein der Welt des Kulturbetriebs inhärent war, ist zum Los aller geworden, sie gibt der Verkettung der kurzen Zeiten der warenförmigen Verwertung durch die Unternehmen sowie der langen Zeiten der Produktion von Reichtümern Ausdruck. Die Flexibilität in den Arbeitsbedingungen entspricht nicht nur einem Prinzip der Lohnkostenzügelung, sie ist grundsätzlicher eine Modalität der Vereinnahmung eines Reichtums, der in Räumen geschaffen wird, die jene der Unternehmen weit überschreiten, in Zeiten, die die Zeit der Vertragsarbeit weit überschreiten. Anders gesagt, die Zeiten des Unternehmens sind nicht mehr als kurze Zeiten der Vereinnahmung eines produzierten Reichtums, eingeschrieben in die langen Zeiten der Vergemeinschaftung der Wissensformen, der Ideen, der Erkenntnisse, der Informationen, der Neigungen, der Begehrensformen, in die langen Zeiten des Lebens als gesellschaftliches Leben, des Lebens mit anderen, der Erzeugung des Gemeinsamen zusammen mit anderen. In der Diskontinuität/Heterogenität der Zeiten ist die innovative Produktion das Ergebnis der Interaktionen und vielfältigen Kreuzungen von Lebensformen, von Formen des Begehrens zu wissen, des Begehrens zu erschaffen. Die Kooperation geht nicht nur dem Kapital und seinen Unternehmen voraus, sondern sie ist auch innerhalb des Kapitals und des Lohnverhältnisses ohnmächtig. Die Potenz der Kooperation hängt von ihrer Freiheit ab und ihre Freiheit von der Kontinuität - des Einkommens.
Aus dem Französischen von Stefan Nowotny
Das Kollektiv Précaires associés de Paris bildet einen Zusammenschluss von Intermittents-, Arbeitslosen- und gewerkschaftlichen Gruppen. Es entstand im Dezember 2002 während einer Besetzung des Pariser Palais de Tokyo und hat seither eine Reihe von weiteren Besetzungsaktionen öffentlicher Orte - speziell des kulturellen Felds - durchgeführt, "um einen Reflexions- und Diskussionsraum zwischen allen betroffenen Personen zu eröffnen, den Stimmen der Prekären Gehör zu verschaffen und gemeinsam für neue soziale Rechte zu kämpfen".