Für so eine Art von Aktionismus ist in Tirol kein Platz

Die Umgestaltung des Andreas-Hofer-Denkmals steht in einer Reihe mit weiteren Aktionen, die am gleichen Tag in Innsbruck durchgeführt wurden. So wurde die Andreas-Hofer-Straße in Pippi-Langstrumpf-Straße umbenannt, indem eine Pippi-Langstrumpf-Tafel darüber platziert wurde.

Im Folgenden dokumentieren wir die Entgegnung der TKI (Tiroler Kulturinitiativen) im Anschluss an den Artikel von qujOchÖ zu den Ereignissen rund um die künstlerische Intervention „EXiL. Wir müssen zusammenhalten“.

Tiroler Kulturinitiativen

Uneinheitlich und instabil
Auf Initiative des Innsbrucker Künstlers Christian Stefaner-Schmid wurde qujOchÖ im Rahmen des Förderprogramms „TKI open“ ins Endsommerfrischeexil nach Tirol eingeladen. Das Programm wurde im Jahr 2002 von der TKI (Tiroler Kulturinitiativen / IG Kultur Tirol), der Interessensvertretung der freien Kulturinitiativen in Tirol, in Kooperation mit dem Land Tirol eingerichtet, um „[...] Freiraum für künstlerische Experimente und für die Bearbeitung von kulturellen, sozialen und politischen Fragen mit den Möglichkeiten von zeitgenössischer Kunst und Kultur [zu bieten]“. Der mit insgesamt 68.500 Euro dotierte „TKI open“ stand 2009 unter dem Titel „uneinheitlich und instabil“ und hatte zum Ziel, Kunst- und Kulturprojekte zu initiieren, die sich mit der Konstruktion von kulturellen Identitäten und damit einhergehenden Inklusions- und Exklusionsmechanismen kritisch auseinander setzen.

Die Einreichung von Stefaner-Schmid und qujOchÖ unter dem Titel „EXiL. Wir müssen zusammenhalten“ beinhaltete einen exil-bietenden Kulturaustausch. In Tirol wurde 2009 das Andreas-Hofer-Gedenkjahr inszeniert, Linz wurde zeitgleich mit dem Europäischen Kulturhauptstadtjahr beglückt. In diesem Zusammenhang sollte in Innsbruck eine intensive Auseinandersetzung mit einem zugeschriebenen, realen, aber auch mythologisch aufgeladenen RebellInnentum rund um den Tiroler Nationalheiligen Andreas Hofer stattfinden. In einer öffentlich zugänglichen Jurysitzung im November 2008 entschied sich eine unabhängige und überregional besetzte fünfköpfige Fachjury u. a. für das eingereichte Vorhaben.

Omni-Hofer
Während also Linz mit dem Spektakel eines Europäischen Kulturhauptstadtjahres zu kämpfen hatte, wurde im heiligen Land Tirol dem 200-jährigen Todestag von Andreas Hofer gedacht. Unter dem Motto „Geschichte trifft Zukunft“ fanden zahlreiche kleinere und größere Veranstaltungen statt. Eine zukunftsorientierte Ausrichtung – wie es das Motto verheißen will – lässt sich jedoch bei keiner der Aktivitäten ausfindig machen.

Ein gesamtes Bundesland ruft also für 365 Tage ein Gedenkjahr für eine Person aus, einen antisemitischen, sexistischen und anti-aufklärerischen Bauerntölpel. Andreas Hofer ist 200 Jahre nach seinem Tod nach wie vor eine Person, deren verklärte Biografie einzelnen politischen Kräften im Land Tirol zur Durchsetzung ihrer tradierten Vorstellungen verhilft und der kultische Verehrung zuteil wird. Neben Pompösitäten wie dem steuergeldverschwenderischen Festumzug wird dies auch durch die ökonomische Verwertung mit Merchandisingartikeln wie Bier, Käse, Kerzen, Uhren und allerlei anderem Schnickschnack deutlich.Time for some action also!

Geschichte trifft Zukunft, Tirol trifft qujOchÖ
In den Morgenstunden des 28. August 2009 startete qujOchÖ seine Anti-Hofer-Maschine in Innsbruck. Zunächst Fahrt auf den Bergisel zum Andreas Hofer-Denkmal, um dieses mit einem roten Vorhang, mit Kerzen und Blumen, Bildern und Tafeln von RAF-Ikonen als auch deren Opfern zu schmücken, ein glorifizierendes Denk- und Mahnmal zugleich. Die Umgestaltung des Andreas-Hofer-Denkmals steht in einer Reihe mit weiteren Aktionen, die am gleichen Tag in Innsbruck durchgeführt wurden. So wurde die Andreas-Hofer-Straße in Pippi-Langstrumpf-Straße umbenannt, indem eine Pippi-Langstrumpf-Tafel darüber platziert wurde: „Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminza Efraimstochter Langstrumpf, freches neunjähriges Mädchen mit Sommersprossen und roten Zöpfen, lebt ohne Eltern in der Villa Kunterbunt, kann tun und lassen, was sie möchte.“ Danach erfolgte in einem lokalen Spar-Supermarkt ein Austausch des gesamten Andreas-Hofer-Sortiments (Käse, Bier, ...) durch Abdullah-Öcalan-Produkte: Einkauf der Originalprodukte, Umetikettierung am Parkplatz und schwupps wieder in den Supermarkt rein, um die Fakes in die Regale zu stellen. Das absolute Gegenteil eines Diebstahls gewissermaßen. Als letzte Aktion wurde in der Ausstellung Hofer Wanted im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum eine Soundinstallation mit rebellischen Texten aus der Popkultur angebracht. Dem Andreas-Hofer-Lied wurde eine Google-Übersetzung von Bob Marleys „Iron Like A Lion In Zion“ gegenübergestellt: „Ich bin auf dem Felsen und dann ich Aktiengesellschaft. Ich habe, um wie ein Flüchtling, um das Leben ich lebe. Eisen wie ein Löwe in Zion ...“ Wahre Worte!

Im Mittelpunkt all dieser Aktionen stand die Auseinandersetzung mit einem mythologisch aufgeladenen RebellInnentum. Dies nicht aus Jux und Tollerei, sondern aus wohl überlegtem Grund. Durch den banal anmutenden Austausch eines Rebellen mit anderen wird die Absurdität des Personenkults wie jener um Andreas Hofer sofort sichtbar. Mythologische Verklärungen, ritualisierte Heldenverehrungen und politisch motivierte Geschichtsschreibungen führen dazu, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit Geschichte beinahe unmöglich gemacht wird. Die Liste des Tausches ließe sich schier endlos ausbauen: Asterix und Obelix, Jeanne d´Arc, Spartacus, Robin Hood, Forrest Gump, Jörg Haider, Großwesir Kara Mustafa Pascha, Beavis und Butthead oder Eduard Sackbauer.

Verena Becker im Tiroler Untergrund
Das von qujOchÖ begangene Kulturdelikt rief eine Reihe unterschiedlicher, durchaus polarisierender Reaktionen hervor. Nachdem der ORF Online aufgrund eines „anonymen“ Anrufs von einer „Störaktion am Andreas-Hofer-Denkmal“ berichtete, startete die Medienmaschine, und es folgten Berichte in der Tiroler Tageszeitung, in Österreich oder im Standard. In der ORF-Nachrichtensendung „Tirol Heute“ wurde unter der Topmeldung „Störaktion am Bergisel“ von einer versuchten Provokation berichtet, ausgeführt von unbekannten TäterInnen. Zu den Bildern des täglichen TouristInnenansturms am Bergisel hieß es: „Hunderte Urlauber werden Andreas Hofer wohl als RAF-Ikone in Erinnerung behalten.“ In der Sendung wurde außerdem ein Zusammenhang zu der am selben Tag stattfindenden Verhaftung des RAF-Mitglieds Verena Becker hergestellt.

Zeitgleich kam die Polizeimaschine in Gang. Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung nahm gemeinsam mit der Bundespolizeidirektion und dem Stadtpolizeikommando Innsbruck die Ermittlungen auf. Begleitet wurde dies alles von Presseaussendungen der FPÖ, die eine Schändung des Denkmals durch radikale oder anarchistische Gruppen vermutete, und der rechten Liste Tirol, die von einer roten Schandtat am Bergisel sprach und „Autonome, Linksextremisten oder den italienischen Geheimdienst“ verantwortlich machte. Während qujOchÖ am nächsten Tag im Künstlerhaus Büchsenhausen auf das jederzeit vermutete Eintreffen der Polizei wartete, erschienen weitere Artikel in der Kronen Zeitung, im Kurier oder der Dolomiten-Zeitung. In zahlreichen Postings wurde über die Hintergründe der Aktion spekuliert. qujOchÖ wartete in der Zwischenzeit vergeblich auf die Staatsmacht. Nachdem sich auch am dritten Tag kein Fahndungserfolg eingestellt hatte und qujOchÖ das Exil planmäßig zu verlassen gedachte, wurde ein Bekennerschreiben an die Polizei und die Medien übermittelt. In diesem wurde auch auf die Motive der künstlerischen Interventionen hingewiesen.

Es folgten zahlreiche Artikel in verschiedensten Medien, die nächste einfältige Presseaussendung der FPÖ, ein positiver Blog-Beitrag der grünen Stadträtin in Innsbruck und eine weitere Topmeldung in der ORF-Nachrichtensendung „Tirol Heute“. Dort wurde von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und einer bevorstehenden Kontaktaufnahme mit qujOchÖ durch die Polizei berichtet – was allerdings erst nach Einstellung des Verfahrens einige Wochen später passierte, und nur zu dem Zweck, um anzufragen, wohin die eingesammelten RAFDevotionalien geschickt werden dürften.

Die Aktionen führten zu absurden Auswüchsen. Auf ORF Online wurde eine Abstimmung durchgeführt, ob es sich bei der Umbenennung der Andreas- Hofer-Straße in Pippi-Langstrumpf-Straße um Kunst oder eine Störaktion handle. qujOchÖ stimmte kräftig mit, konnte sich jedoch selbst nicht zwischen den beiden Antwortalternativen entscheiden. Zahlreiche E-Mails langten ein, überwiegend positiv, doch auch negative: „Ich würde ihnen empfehlen ihre entartete ,Kunst‘ eventuell in Isreal [sic!] zu zeigen. Andreas Hofer war und ist UNSER Volksheld.“ Auf politischer Ebene kam es zu einer Anfrage im Linzer Gemeinderat, und die FPÖ-Abgeordneten Gartelgruber und Neubauer stellten eine parlamentarische Anfrage an die Bundesministerin für Justiz, betreffend die „Umtriebe der Gruppe qujOchÖ in Innsbruck“, bei der u. a. die Frage gestellt wurde, ob Eingriffe in fremde Rechtsgüter unter dem Deckmantel der Freiheit der Kunst zulässig seien.

Auf lokalpolitischer Ebene distanzierte sich im Innsbrucker Stadtblatt vom 9. September 2009 die Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) von der „RAF-Kunst am Bergisel“. Zu lesen ist in dem Artikel u. a., dass das Austauschprogramm im Rahmen der Förderschiene „TKI open“ stattfand und auch bei Pressekonferenzen beworben wurde. Es erschiene deshalb nun interessant, dass weder das Land Tirol als Hauptförderer sowohl der TKI als auch des „TKI open“ noch die TKI selbst mit der Aktion in Verbindung gebracht werden wollten. Von informierter Seite war zudem zu hören, dass von höchster Beamtenebene die Ablehnung damit begründet wurde, dass für diese Art von Aktionismus in Tirol kein Platz sei.

In Anderl sei Handerl beiß mia nit rein
Während die distanzierte und ablehnende Haltung der zuständigen politischen EntscheidungsträgerInnen und der Verwaltungsebene wenig verwundert, befremdet die passive Position der TKI umso mehr. Nicht nur, dass die Entscheidung der unabhängigen (!) Jury ad absurdum geführt wurde, es kam auch zu einem Kniefall vor den reaktionären Kräften der Kulturpolitik des Landes Tirol. Öffentliche Kritik oder Konfliktfähigkeit wurde nicht einmal ansatzweise geübt, stattdessen versucht, in Kuschelkurs-Manier hinter der Bühne die Wogen zu glätten. Eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen wurde verweigert und in den Medien von der TKI sogar darauf hingewiesen, dass „bislang noch kein Geld geflossen“ sei. Eine Chance, sich als kritische, kontroversielle Stimme im kunst- und kulturpolitischen Diskurs zu positionieren und eine kräftige und wichtige Stärkung freier, kritischer Kulturarbeit fernab von bloßen Beratungs- und Serviceaufgaben voranzutreiben, wurde kläglich vertan.

Im Sinne einer einheitlichen und stabilen Vorgehensweise wird die Empfehlung ausgesprochen, für den „TKI open 11“ ein leidiges Sprichwort der rechtskonservativen Hegemonie zum Thema der Ausschreibung zu machen: „Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht.“

qujOchÖ
Clemens Bauder, Martin Böhm, Johannes Dichtinger, Jakob Dietrich, Lucas Norer, Sun Obwegeser, Thomas Philipp, Doris Prlic, Andreas Reichl und Andre Zogholy