Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering
Lisa Bolyos, Katharina Morawek (Hg.): Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus. Wien:
Mandelbaum 2012
Ein Buch, das einen gezielten Umgang mit Sprengkraft sucht und vorschlägt, Anthologie („Sammlung von Blumen“) zu nennen, ist unpassend. Das Wort aber liegt nahe ob des schieren Umfangs an Beiträgen, die Lisa Bolyos und Katharina Morawek zusammengesammelt haben: „Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering“ ist ein materialreiches Lesebuch. In über 90 Bild- und Text-Beiträgen belegt es auf vielfältige Weise, „dass es Individuen und Initiativen gibt, die sich an Besagtem stoßen und es in Folge umstoßen, die hartnäckig über Jahrzehnte hinweg Nasen abklopfen, Broschüren veröffentlichen, Geschichte schreiben. Bis sich was tut“ (Tatiana Kai-Browne in ihrem Beitrag). Das Buch dokumentiert Handlungsformen, die mit den gewaltförmigen Kontinuitäten und den konsensual-repressiven Einverständnissen eines postnazistischen Raumes brechen, und dies mit künstlerischen oder ästhetisch interessierten Mitteln tun. Die Ästhetiken dieser Eingriffe sind selbst genau nicht an autoritärer und abschließender Repräsentabilität sondern an aktivistischen Codes orientiert. Deren Kennzeichen sind schnelle Beweglichkeit, taktische Vielseitigkeit, finanziell unaufwendige Produktion. Sie suggerieren die Qualitäten des Aufbrechens, Offenlegens, der Unabschließbarkeit, und sie zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, jene Konflikte zu artikulieren, auf denen das ignorante Nicht-Wissen-Wollen eines postnazistischen Konsenses sitzt. Die Sammlung dieser Handlungsformen ist selbst historisch-genealogisch orientiert. „Wenn von den Nachwirkungen des Nazismus die Rede ist“, schreiben die Herausgeberinnen, „muss auch vom Weiterwirken des Kampfes gesprochen werden, der gegen die Nazis geführt wurde“. So beginnt das Buch mit einem 1945 von Ilse Aichinger verfassten Prosatext; und der nicht genehmigten Aufstellung des Gedenksteins für die Gestapo-Opfer, die der KZ-Verband 1951 am Morzinplatz in Wien vornahm; mit einem 2004 von Ceija Stojka gemalten Acrylbild mit dem Titel TAIJ ME KATESIM INGE/ICH BIN NOCH DA; einer Spray-Aktion, mit der 2007 unbekannte SprayerInnen auf die Fassade des Leopold Museum in Wien „RAUBKUNST, Bewährt seit 70 Jahren“ sprühten; und mit einer Intervention des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, die die NS-Kontinuitäten in der Institution Psychiatrie thematisiert.
Das Buch lädt zu Diskussionen ein. Und schnell einmal werden ja gerade Anthologien/Materialsammlungen mit Fragen danach konfrontiert, welche Beiträge ausgewählt wurden und welche nicht, welche Perspektiven mehr und welche weniger Gewicht erfahren. Diese Fragen artikulieren jedoch selbst eine (profund kapitalistische?) Struktur, die das Buch selbst als zentrales Problem seines Themas behandelt: Konkurrenz. Ich will daher abschließend eine handwerklich informierte Frage formulieren: Das Übersetzungskollektiv gender et alia verfasste vor vielen Jahren eine strikt ablehnende Position zur Übertragung des anglophonen Begriffs race ins Deutsche, die sich gegen die Verwendung von Rasse, und sei es in Anführungszeichen, richtet (http://www.genderetalia.sil.at/diskussionspraxis.htm). Lisa Bolyos und Katharina Morawek entschieden sich in Bezug auf die für ihr Buch erstellten Übersetzungen anders. In der Diskussion um diese übersetzungstechnische Frage ließen sich viele der Fäden aufnehmen, die das Buch entwickelt. Dies betrifft den Umgang mit Materialität und Geschichtlichkeit von Sprache, die Effekte symbolischer und materieller bzw. ästhetisch aufmerksamer Politiken, und nicht zuletzt das gemeinsame Handeln gegen Antisemitismus und Rassismus im postnazistischen und postkolonialen Raum.
Lisa Bolyos, Katharina Morawek (Hg.): Diktatorpuppe zerstört, Schaden gering. Kunst und Geschichtspolitik im Postnazismus. Wien:
Mandelbaum 2012