Die Creative Industries und ich
Offensichtlich habe ich einen Modewechsel verpasst - Überlegungen zu Zielen und Methoden kulturpolitischen Handelns sind out, klingen verstaubt und total uncool; in sind hingegen ganz eindeutig die creative industries (oder cultural industries oder copyright industries) mit ihrem Anklang an die grenzenlose Freiheit des Marktes.
Ebenso wie Bekleidungsformen, Haartrachten und Automarken dienen selbstverständlich auch Diskussionsbeiträge wie dieser hier als Identitätsmarker, als Möglichkeit, je nach Interessenlage aufzufallen und/oder sich der jeweiligen Peer-Group anzupassen. So habe ich z. B. jahrelang mein Spezialistinnentum in Sachen Kulturpolitik dadurch bewiesen, dass ich zu den richtigen Momenten das Wort "arm’s-length-principle" in einschlägige Diskussionen einwarf, eventuell alternierend mit dem ebenso beliebten "niederländischen Modell".
In letzter Zeit allerdings lässt sich auf diese Art nicht mehr so wirklich punkten, obwohl die Entwicklung der österreichischen Kulturpolitik diese Forderungen eigentlich nicht überholt hat. Aber offensichtlich habe ich einen Modewechsel verpasst - Überlegungen zu Zielen und Methoden kulturpolitischen Handelns sind out, klingen verstaubt und total uncool; in sind hingegen ganz eindeutig die creative industries (oder cultural industries oder copyright industries) mit ihrem Anklang an die grenzenlose Freiheit des Marktes.
Nun fällt es mir zwar bei allen anderen eingangs erwähnten Moden recht schwer, auch nur halbwegs auf dem Laufenden zu bleiben, aber beim Rhetorischen kenne ich mich schon noch einigermaßen aus. Daher ist es mir auch nicht entgangen, dass ich diesbezüglich nicht up to date bin - ich wusste bloß nicht, wie ich mit diesem Problem umgehen sollte. Die Methode, den Begriff einfach zusammenhanglos in den Raum zu stellen, hat schon der Staatssekretär für sich in Anspruch genommen, und die Strategie, die ich über Jahre verfolgte, die Bezeichnung als inhaltsleer abzulehnen, war auf Dauer einfach nicht sexy genug. Zugleich allerdings hatte ich ernsthafte Probleme zu verstehen, was unter den creative industries nun wirklich verstanden werden soll, und die verschiedenen Veranstaltungen, bei denen mit Beschäftigungszahlen, innovativem Potenzial und Marktchancen förmlich um sich geworfen wurde, ohne dass je jemand sagte, mit welcher Art Tätigkeit all dies erreicht werden soll, waren meinem Verständnis nicht wirklich hilfreich.
Nun aber habe ich dank des Besuchs eines englischen Kollegen den Aufsprung doch noch geschafft. Denn erstens zeigte er mir eine Tabelle, aus der hervorgeht, was zumindest im UK unter cultural industries verstanden wird. (Und auch wenn es berechtigte Zweifel daran geben kann, ob es Sinn macht, SoftwareentwicklerInnen, DichterInnen und EntertainerInnen in einem Begriff zusammenzufassen, ist es doch im Vergleich zur österreichischen Debatte schon ein Quantensprung, dass dieses Schlagwort überhaupt aufgeschlüsselt wird.) Und zweitens erklärte er mir, warum er diesen Begriff politisch für sinnvoll hält. Weil nämlich mit dem Begriff der "industries" die gesellschaftliche Relevanz kultureller Aktivitäten und nicht ihre "ästhetische Qualität" in den Vordergrund gestellt wird. Wohlgemerkt: ihre gesellschaftliche Bedeutung, nicht ihre Marktfähigkeit (die man eventuell als einen möglichen Ausdruck gesellschaftlicher Relevanz verstehen kann, die aber keinesfalls das ganze Spektrum abdeckt). Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist also nicht, wie möglichst viel öffentliches Geld eingespart werden kann, sondern wem die betreffenden Kulturinitiativen nützen und auf welche Art sie infolge dieses Nutzens finanziert werden sollen.
Zwar ist es dabei eine Zielsetzung, durch die Identifizierung privater Nutznießer auch private Gelder einzunehmen, doch diejenigen Kulturaktivitäten, die bisher großteils von der öffentlichen Hand finanziert werden, werden wohl auch weiterhin in erster Linie von dieser abhängig sein - aber vielleicht Geld aus anderen Töpfen bekommen, die etwa für Verbesserungen der Stadtstruktur oder die Schaffung von Arbeitsplätzen für bestimmte Bevölkerungsgruppen gedacht sind.
Eine derartige kulturpolitische Umorientierung hat den Vorteil, dass PolitikerInnen und BeamtInnen über besser messbare Kategorien als ästhetische Qualitäten urteilen. (Und im Gegensatz zur Auffassung von Morak, Häupl und Marboe ist etwa die Überwachung der Einhaltung von Frauenquoten ein sehr viel geringerer Eingriff in die Freiheit der Kunst als die Reduktion von Subventionen für ein Medienprojekt mit dem Argument, dass "die Förderungswidmung ‘Kunst im Internet’ verfehlt worden sei" - mit anderen Worten also, dass das, was hier passiert, keine Kunst ist.) Und die Zusammenfassung traditioneller Kunstsparten mit neueren Formen zum schwammigen Bereich der creative industries kann den Vorteil bieten, dass die Anforderung, sich private Geldquellen zu suchen, nicht nur an kleine Kunstprojekte gestellt wird, sondern etwa auch an die Wiener Staatsoper, die dafür sehr viel bessere Karten hätte.
Der Nachteil eines solchen kulturpolitischen Verständnisses ist, dass es auch nicht ganz so einfach ist, sinnvolle gesellschaftliche Ziele für Kunstprojekte zu definieren (siehe etwa die unerträglich dummen Berechnungen von finanziellen Umwegrentabilitäten). Zugleich lässt sich der Wert von Zielsetzungen wie Pluralität, Zugang für möglichst alle Bevölkerungsschichten, breite räumliche Streuung in einem öffentlichen Diskurs sinnvoll bearbeiten - während "ästhetische Qualität" weder auf diese noch auf eine andere Art bewertbar ist.
Und außerdem habe ich jetzt immerhin auch etwas zu den creative industries zu sagen.
Monika Mokre arbeitet am Research Unit for Institutional Change and European Integration der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist Mitglied von FOKUS, Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien