"Denn die Geister, die ich rief..." "Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten..."
Die Frage nach den Schwierigkeiten einer Oppositionsbildung in Österreich muss selbstverständlich heute umformuliert werden. Denn es hat sich ja erwiesen, dass sich eine spezifische Art von Opposition bis in die Regierensführung hat durchsetzen können. Sie musste sich nur des Hintergrunds von Ausländerfeindlichkeit und von Rehabilitation nationalsozialistischer Vergangenheiten beharrlich bedienen .
Die Frage nach den Schwierigkeiten einer Oppositionsbildung in Österreich muss selbstverständlich heute umformuliert werden. Denn es hat sich ja erwiesen, dass sich eine spezifische Art von Opposition bis in die Regierensführung hat durchsetzen können. Sie musste sich nur des Hintergrunds von Ausländerfeindlichkeit und von Rehabilitation nationalsozialistischer Vergangenheiten beharrlich bedienen und solche Geschichtsklitterei betreiben wie die Verteidigung europäischer Demokratie gerade durch Hitlers Wehrmacht und Hitlers SS zu behaupten, und sie kletterte auf 27% der österreichischen Wählerschaft.
Damit will ich nicht behaupten, dass diese 27% eine neobraune Einstellung zur Politik haben, aber sie haben mit ihrer Stimmabgabe bewiesen, dass sie gerade benannte Grundtöne des Neobraunen in der Politik akzeptieren. Dazu kommen in letzter Sicht sogar die, die Haider und seine Mann-/Frauschaft in Regierungspositionen für kein Malheur halten (Wortwahl Rudolf Burger) oder gar davon ein "Mehr Demokratie wagen!" erwarten (Wortwahl Robert Menasse), wenn es um Akzeptanz geht, samt der raffinierten Unterscheidung von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, als wären die Nazis nicht populistisch genug gewesen. So erfolgreich war also diese Opposition.
Schwer hat es also nur eine demokratisch-liberale Opposition oder die Opposition der sozialliberalen Grünen in Österreich. Wobei zu dieser Sentenz allerdings der Begriff von Liberalismus und Liberalität vom Deutschsprachigen und seinen Traditionen her näher beleuchtet werden muss. Dort ist er in ideologischer Bosheit aus dem innenpolitischen in einen gleichsam außenpolitischen Sinn verkehrt worden durch den sogenannten Altliberalismus, der Libertas versaute zu dem Anspruch: Freiheit für das deutsche Volk, die ganze Welt zu vergewaltigen, und dazu noch als Vehikel ein Programm der bloßen Wirtschaftsfreiheit.
Noch heute betreibt ja die "Freiheitliche" Bewegung verwandten Schindluder mit dem Freiheitsbegriff, und solchen Sinns gerade hätte Liberalismus keine Schwierigkeiten in Österreich. Ich meine aber den Liberalismus nach seinem international-nichtdeutschsprachigen Gehalt, dem einzig sinnvollen, wie ihn Scheel und Genscher so ungefähr in der deutschen FDP durchgesetzt haben, die ja selbst in der Symbolfarbe "Gelb" mit dem "Blau" der österreichischen "F" nicht zu verwechseln ist.
Also: Warum hat es eine derartige Opposition so schwer in Österreich und die kritische Opposition der Jungen? Erster Grund liegt vor mit der erfolgreich gewesenen Politik der Opferrolle Österreichs in Sachen Drittes Reich gegenüber den Alliierten. Weil sie dem teilweise auf den Leim gingen, haben die Alliierten es mit Österreich nicht so genau genommen und vieles ihm selber überlassen. So wurde nicht die Auflösung des durch die Nazis verwirklichten hohen Verstaatlichungsgrads in der Wirtschaft verlangt. Es wurde nicht die Auflösung der ständestaatlichen Strukturen im Kammernsystem verlangt, wie sie der Austrofaschismus eingeführt hatte. Solche Versäumnisse der Alliierten läuteten die durch derart erhalten gebliebene Nazi- wie Austrofaschismus-Strukturen nahegelegte, ja geradezu aufgedrängte Proporzpolitik ein, in der Oppositionalität ständig gelähmt und dann lahm aufgefangen wurde. In solcher Überlegungsperspektive hat Robert Menasse vollkommen klargesehen. Nur dass er von Blau einen Durchbruch durch diese Politik erwartet, ist ihm anzukreiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach, wie sie sich längst vollzieht, wird unter ideologischer Verschleierung der Proporzstruktur der Proporz nur von Rot nach Blau verschoben, wie es eine Karikatur aus dem Februar 2000 schon wusste. Sie zeigte die Szene eines Nachmalens von Zebrastreifen unter der Anweisungsdevise: Alle schwarzen Streifen lassen, alle roten Streifen mit Blau überdecken. Sollte Arnulf Rainers Übermalverfahren für Österreich prophetisch gewesen sein im Sinne von Abschreckungsprophetie?
Doch ein noch nachhaltigeres Versäumnis der Alliierten bestand darin, dass sie auch den Wiederaufbau des Ausbildungssystems Österreich selber überließen. Die Folge war weithin eine Rekonstruktion des Althergebrachten nach Inhalt und Form, Entnazifizierungsauftrag der Ausbildung blieb aus, woran gerade von der startenden Weichenstellung her Ernst Fischer, früher Kultusminister Österreichs unter dem Namen eines Kulturkommissars nach 1945 am wenigsten schuldlos war, indem er der Katholischen Kirche stärkste Einflüsse einräumte.
Aber gerade in diesem Bereich muss für’s so viel Spätere gegen Robert Menasses Verriß des Proporzsystems gesagt werden, dass mit dem wachsenden und sich verbreiternden Gewicht der Sozialdemokratie im Proporz seit Anhub der Kreisky-Ära gerade die politische Besetzung von Forschungs- und Ausbildungspositionen, wie sie den westeuropäischen Atmosphären unbegreiflich stark durchschlug, bei aller politischen und parteibuchorientierten Personenschieberei, gern direkt durch Ministeranweisung jenseits der international anerkennbaren Fachqualifikationen, doch lebendigere Kritikspielräume entstanden. Denn Österreichs Sozialdemokratie musste sich zwangsläufig der wachsenden Liberalität der internationalen Sozialdemokratie anpassen und tat das gern durch die Politik innerhalb von Ausbildung, Forschung und Kulturproduktion, das heißt ihrem theoretisch-kulturellen Umhof, der sich einem Pluralisieren der Ideenvielfalt öffnete. Dann musste das nicht ganz so offen in der Partei selber gehandhabt werden.
Immerhin bildete sich einerseits so eine studierende oder studierte oder kulturproduktive Opposition auch gegen die SPÖ, eine meinungsmitbildende Minderheit der Diskussionskultur, andererseits gewann Österreich jetzt erst, wenigstens im Gelände des Geisteswissenschaftlichen, internationalen Anschluss und internationale Anerkennung, und das gewiss außerhalb sozialistischer Ideologieinteressen.
Sonst war da zuvor nur die Konkrete Poesie und deren Umfeld vom "Wiener Kreis" und die währende österreichische Emigration von Popper bis Feyerabend, von Feigl bis Watzlawick, die Österreichs internationale Kulturgeltung durchhielt. Ich wäre wenigstens in das Österreich der sechziger Jahre nicht gegangen, wegen der Chancenlosigkeit alles Oppositionellen.
Und der erlangte Status des Internationalen wie des Oppositionellen ist es ja wohl, der jetzt durch blauschwarze Hochschulreform kaputtgemacht werden soll. Denn über leistungsorientierte Kündbarkeit der Forschenden und Lehrenden ließe sich ja noch diskutieren innerhalb der Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen. Aber einer solchen müssten die Evaluationskriterien vorhergehen unter Berücksichtigung des Sichselbstbeauftragens der Forschenden innerhalb eines internationalen Forschungsfelds. So wie das jetzt Blauschwarz vom Schwanz her aufzäumt, ist klar, dass alle Evaluation sich aus der kurzfristigen Wirtschaftlichkeit herleiten wird. Der Dreh macht sich gut. Es muss nicht ideologisch umbesetzt und umprogrammiert werden, sondern kurzfristige Wirtschaftsbindung des Forschens und Ausbildens reicht aus, um allem kritischen Forschen im Politologischen, Sozialen, Kulturellen überhaupt und Ideologischen per Verdammung als, wie heißt es so schön?, "Orchideenfach" den Hahn abzudrehen. Denn figurative Orchideen könne sich diese arme Gesellschaft nicht leisten, reale wohl; denn die seien verkäuflich.
Auf demselben Weg wird die Opposition aus kritischer Kulturproduktion einfach weggespart werden. Und einem wichtigen Feld der vierten Gewalt, dem Journalismus, wird durch das Aus für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beigekommen. Nirgendwo sonst als jetzt in den Regierungsabsichten des offiziellen Österreich steht Abschaffen von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und generelle Kündbarkeit in Forschung und Lehre zur Debatte an. In Österreich geht es eben um das Abgraben aller Möglichkeiten zu Opposition. Bleibt dann nur noch die Hoffnung auf den Umstand, dass die Wirtschaft alles verkaufen will, auch die Kritik an sich selber als einem Markt.
Aber in Österreich steht noch etwas anderes der Oppositionsbildung im Weg, weshalb in ihm die Abschaffungsintention gegenüber Opposition so rabiat werden konnte. Das ist die tiefergreifende Mentalität auch der Intellektuellen, oder gerade ihrer, zwischen extrem generellem Formalismus und äußerster Konkretheit nur Sprünge kennen zu wollen, keine Vermittlungen. Das ist zwar ein Nährboden für äußerst angespannte Scharfsinnigkeiten, die laufen aber leer. Und darum geht es ja auch, nicht um Annäherung an Wahrheit oder Steigern der Wahrscheinlichkeit, sondern um dauernd redende Konversation.
Da entstehen dann solche Blüten wie: Demokratie, das könne nichts anderes sein als Organisation durch Mehrheitsentscheid. So richtig, wie dass 1 und 1 eine 2 ergibt. Und schon ist klar, dass Totalitarismus so demokratisch ist wie äußerster Individualismus. Der Täter ist das Opfer, das Opfer der Täter. Und so weiter und so fort: Das Gute ist das Böse und umgekehrt.
Dann wird in einem großen Sprung ins äußerst Konkrete festgestellt, wieviel Güte und Wohlwollen, Streben nach dem Besten doch in einem Adolf Eichmann steckte, und wieviel Böses in einer Mutter Theresa. Formale Klarheit erzeugt Nebel, direkte Erfahrung erzeugt Nebel, das wurde in Österreich immer gewusst: um der Konversation allein schon willen, aber auch weil im Nebel des Allgemeinen, im Nebel der direkten Anschaung nur der autoritäre Halt gilt, der Comment, die Hofetikette zum Austausch von Nebel. Ich habe unter diesem Mentalumstand in Österreich stets intellektuell sehr gelitten, von dem aus Franz Schuh wohl folgert, dass es gar keine Intellektualität in Österreich gibt. Ich betone: intellektuell gelitten, sonst weder psychisch noch somatisch. Eher bei nichtrevolutionären Verhältnissen war ich durch diese Mentalität auf narrativer Ebene auch sehr unterhalten. Opposition konnte eben nicht ausgebildet werden, alles versackte im Unterhaltungswert.
Dahinter steckt nun wieder tief der Katholizismus, der im Sakrament der Beichte die höchste Konkretheit betrieb und in der Dogmatik die höchste Allgemeinheit. Das kam stets nur durch das Wunder des priesterlichen Voluntarismus in der Absolution zusammen oder endete im Feuer der Inquisition als Getrenntes. Daher hat auch keine Opposition von innen je den Katholizismus transformiert, nur der Druck von außen.
Und das ist jetzt die Atmosphäre in Österreich. Jede Distanz zur, jede Kritik an der offiziellen Regierung wird auf die Bahn der Landesverräterei geschoben unter dem austriakischen Terminus Vernaderung. Ekelhafte Inquisitionsatmosphäre, in der sich Van der Bellen wie Gusenbauer winden. Aber Österreich ist anders! Am Drehspieß der offiziellen österreichischen Inquisition dreht sich derzeit auch einer, der noch immer irgendwie denen angehört, die den Spieß, genannt "Die Presse", mitdrehen, Bundespräsident Thomas Klestil. Er hat schon soviel banal-schlimme Sachen öffentlich gesagt gegen Gegenwartskunst, von Spanien bis Salzburg. Und doch dreht er sich jetzt mit am Inquisitionsspieß der "Presse" wegen seines einzigen großen Verdienstes um die internationale Stellung von Österreich. In Östereich kann nur gelebt werden zusammen mit dessen Bundespräsidenten als "professionellem Landesverräter". Den Rest machen die neuen österreichischen Chauvinisten aus, "oppositionell" nach eigenem Wort, von Karl Markus Gauß bis Konrad Paul Liessmann. Die haben ihr Land nie verraten, weil sie gegen die von ihnen so benannten "Gutmenschen" sind und Antifaschismus nur noch für ein Schimpfwort halten. Und, wie heißt es in Österreichs Nationalhymne so schön?: "Heimat bist du großer Söhne". Unter so vielen großen Söhen ist es schwierig, Opposition zu bilden, außer im "F"-Sinn.
Burghart Schmidt ist Philosoph und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main, Schwerpunkt: Sprache und Ästhetik.