Das riecht nach Anwendung?
In weniger als 15 Jahren hat es die neoliberale Maschinerie wie nebenbei geschafft, nicht nur die Bildungssituation im globalen Süden drastisch zu verschärfen, sondern diesen auch in den Ländern Osteuropas völlig zu kippen. Und produziert dort aus dem Stand primäre wie sekundäre AnalphabetInnen.
„Kämpfen lohnt sich, Studiengebühren sind abgeschafft“: Freudig rekapitulierten die an Aktionen beteiligten Organisationen die Strategie, welche die Parteien in Hessen vor kurzem zwang, ihre Wahlversprechungen zu halten. Aber auch wenn es endlich wieder mautfrei in die Unis geht, was findet sich dort gegenwärtig vor? Vorerst das grelle Licht des seit ein paar Jahren hippen wie reichlich dotierten Leuchtturms „Exzellenz“, der die Schiffe der (Uni)Forschung und Lehre sicher zum, vorerst nur in Fettgroßbuchstaben samt religiöser Andacht auszusprechenden Zielhafen - dem Wirtschaftstandort, navigiert. Da, auf der ominösen Insel der Seeligen, wo der Marktimperativ jedem zu eigen geworden ist und, bevor noch mit Grundlagenforschung begonnen wird, der Weg zum Patentamt im Schlaf zu bewerkstelligen ist. Denn sobald der Geruch einer Anwendung zu vernehmen ist, könnte es womöglich schon zu spät sein – wir sitzen alle im Wettbewerbskarussell! Und da gibt es kein Aussteigen, denn es gibt die Welt außerhalb des Karussels nicht, so heißt es zumindest. Wie erfolgreich (Aus)Bildung einzig in den Dunst solch eines Geruchs gerückt wird, zeigt sich überdeutlich an den letzten Unireformen: Soweit das Auge reicht nur noch Verwertung, Aneignung, Segmentierung und natürlich die vorgefertigte, richtige Antwort auf jede Frage: Es ist wie es ist, denn es ist wie es ist. Immer schon der Hegemonie ihr letztes Mantra.
Es lässt sich streiten, was dabei mehr schmerzt: die Vereinnahmung und Pervertierung von ehemals emanzipativen Gedanken (erinnern wir uns nur an die traurige Karriere von gegen den Autoritarismus gerichteten Begriffen wie „Selbstbestimmtes Lernen“ oder „Autonomie“) oder das Schwinden des Bewusstseins, dass Bildung nicht für die Eliten, sondern für alle da sei.
Dass es in diesem Sinne weiter geht, machten die Aussagen des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung in den letzten Monaten klar: Öffentlich riet er, darüber nachzudenken, wer überhaupt studieren solle, schließlich müsse sich ja nicht jeder ausbilden. Doch wer definiert, wer jeder und wer exzellent ist? Folgt man der minesterialen Logik ergeben sich die ersten Kriterien. Als eine persönliche, überdurchschnittliche Leistung bietet sich z.B. die Fähigkeit an, in einem der fünf reichsten Länder der Welt geboren zu sein, in einem eher mehr als weniger bildungsnahen Kontext, mit frühkindergärtlicher Sprachförderung, welche für die wirtschaftsrelevante Zweitsprache sorgt. In Frage kämen noch sämtliche Ressourcen wie auch die Weitsicht des Herkunftsfamilienverbandes, gekoppelt an den Disziplinierungswillen, welcher das Erlernen – je nach Couleur im interkulturellen Kindergarten oder doch lieber im Privatunterricht – jener in den nächsten 30 Jahren eventuell gerade obligaten Drittsprache erwirkt. Spielerisch, versteht sich von selbst!
Wo das ganze hinführt ist ein offenes Geheimnis – denn in weniger als 15 Jahren hat es die neoliberale Maschinerie wie nebenbei geschafft, nicht nur die Bildungssituation im globalen Süden drastisch zu verschärfen, sondern diesen auch in den Ländern Osteuropas völlig zu kippen. Und produziert dort aus dem Stand primäre wie sekundäre AnalphabetInnen.
Dass es auch anders geht ... wissen wir alle. Tag täglich, da und dort arbeiten viele auf unterschiedliche Weise daran: Selbstorganisationenen von MigrantInnen, die Sprachunterricht und pädagogische Arbeit als politische Bildung konzipieren, Initiativen wie keine_uni, FrauenFrühlingsUni, usw. Es gibt sie also doch, die konkreten Orte an denen kritische Bildungspraxis auf emanzipative Bildungstheorie trifft. Orte, an denen die Transformation des „wir wissen“ in Wir-Wissen vorangetrieben wird. Das ruft nach Anwendung!