Beseitigung der Basis
Was steht hinter dem Akt des finanziellen Erwürgens der Wiener Integrationskonferenz? Um diese Frage zu beantworten, wird es notwendig, die Geschichte der WIK ein wenig durchzublättern.
Die Wiener Integrationskonferenz (WIK) hat in den letzten Jahren nicht gerade mit Radikalität in Migrationsfragen von sich reden gemacht. Es handelt sich um eine solide kleinere Institution mit einer jährlichen Subvention von ca. 200.000 Euro, deren Aufgabe nach Eigen- und Fremddefinition darin besteht, die Vernetzung der Vereine von MigrantInnen voranzutreiben. Innerhalb eines rabiater werdenden rassistischen Systems hat die WIK ihre Arbeit durchaus passabel erledigt. Nun werden der Institution seitens der Wiener Integrationsstadträtin die finanziellen Mittel gestrichen. Mehr noch: Auch die drei Migrantinnen, die in den lokalen Parteihierarchien von Grünen, ÖVP und SPÖ eine halbwegs öffentlichkeitswirksame Position zu erklettern vermochten, befürworten die Streichung einhellig. Grund dafür seien die Streitereien um die Wahl des derzeitigen Vorstandes und die nicht mehr gegebene Repräsentanz der migrantischen Communities durch die WIK.
Nun sind solche, in Richtung einer Konsenssittlichkeit und vollständigen „Integration“ zielenden Argumentationslinien gegen die Teilhabe der MigrantInnen, mittlerweile zur Genüge bekannt. Vorgebracht von politischen RepräsentantInnen der Mehrheitsgesellschaft, handelt es sich letztlich um eine Ablenkungstaktik, die schon bestehende Positionen der Herrschaft ein weiteres Mal markiert.
Was steht also hinter dem Akt des finanziellen Erwürgens der Wiener Integrationskonferenz? Um diese Frage zu beantworten, wird es notwendig, die Geschichte der WIK ein wenig durchzublättern: Entstanden ist die Konferenz 1999 aus der Notwendigkeit, dem Kuratorium des Wiener Integrationsfonds (WIF) eine Legitimation zu erteilen. Das Kuratorium des WIF bestand damals aus 16 Mitgliedern, besetzt mit VertreterInnen mehrerer Institutionen wie z.B. Innenministerium und Caritas. Nur die Migrantinnen, deren Fonds das angeblich war, waren nicht in diesem Gremium auffindbar. Die damals frisch gekürte Integrationsstadträtin schlug also vor, eineN RepräsentantIn für die mehreren hundert in Wien ansässigen MigrantInnen-Vereine in das Kuratorium zu wählen. Die Stadträtin hatte aber gewissermaßen die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn bei der ersten Integrationskonferenz stellte sich heraus, dass die ca. 130 Vereine, deren VertreterInnen der Einladung der Stadträtin gefolgt waren, entsprechend der Bevölkerungsverteilung in Wien gleich ein Drittel der stimmberechtigten Sitze beanspruchten. Dieser selbstbewusste politische Akt brachte die Stadträtin in eine unangenehme Situation. Statt Dankbarkeit für die Einladung zu zeigen, beanspruchten die versammelten VertreterInnen der MigrantInnen-Vereine eine Position der Gleichheit in der Gesellschaft. Eine große Mehrheit der Anwesenden sprach sich für eine Änderung der Wahlordnung aus, die Wahl selbst wurde erst einmal verschoben. Die Wiener Integrationskonferenz installierte sich solchermaßen durch das Begehren der politisch Stimmlosen als autonomer politischer Körper.
Neben dem Kampf um die angemessene Anzahl der VertreterInnen für das WIF-Kuratorium kam es bei den nachfolgenden Tagungen der Integrationskonferenz zu einer Vielzahl von Anträgen und Beschlüssen für eine zukünftige Migrationspolitik. Ein im Jahr 2000 verabschiedeter Antrag lautet: „Die Wiener Integrationskonferenz fordert die Integrationsstadträtin dazu auf, Schritte zu setzen, um das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ersatzlos abzuschaffen.” Diese Forderung stellte keine leichte Kost für alle Mehrheitsangehörigen dar, die bis dahin geglaubt hatten, dass sie diejenigen seien, die Migrationspolitik bestimmten.
2004 wurde der WIF mit den Stimmen aller im Rathaus vertretenen Parteien abgeschafft. Die so genannte Integrationspolitik in Wien wurde unter dem Schlagwort „Diversität" in die Strukturen der Stadtverwaltung eingebettet – mit dem Ergebnis, dass niemand mehr so richtig weiß, was das sein soll. Nur die Integrationskonferenz blieb, dank der taktischen Vorgangsweise der SPÖ gegenüber dem seitens der Grünen installierten Wiener MigrantInnengemeinderat, der dieselbe Vernetzungsfunktion erfüllen hätte sollen.
Mit der WIK blieb auch ihr Wahlmodus, nach dem alle VertreterInnen von Vereinen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft gewählt werden können. Genau damit wurde in dem vorherrschenden rassistischen System des Nationalstaates ein Raum geschaffen, der – trotz der relativen Angepasstheit der VertreterInnen – ausgefüllt war mit dem Begehren nach einer breiteren Teilhabe und gleichzeitig delegitimierend wirkte; delegitimierend in Richtung Mainstream-PolitikerInnen jedweder Couleur – Nurten Yilmaz (SPÖ), Sirvan Ekici (ÖVP) und Maria Vassilakou (Grüne), die sich so sehr um Repräsentativität sorgen, ausdrücklich eingeschlossen: Den PolitikerInnen wird so permanent vor Augen geführt, dass sie eine enorme Zahl von Nicht-StaatsbürgerInnen nicht repräsentieren können, aus der einfachen Tatsache heraus, dass sie von diesen Menschen nicht gewählt wurden.
Die WIK wirkte als letztlich nicht kontrollierbarer Raum auch störend auf die hegemonialen Bestrebungen der SPÖ innerhalb der Wiener Integrationspolitik. Da die Themenvorherrschaft im Bereich Migration in der neuen Bundesregierung in einem noch nie da gewesenen Ausmaß von der ÖVP erobert worden ist, soll das offensichtlich zumindest in Wien anders bleiben, nur dass die Regierenden in eine reflexartige Allesnivellierungstaktik verfallen, anstatt mit einer liberalen und demokratischen Politik auf die Herausforderung auf Bundesebene zu antworten.
Damit haben wir die Antwort auf die anfangs gestellte Frage: Es geht nicht, wie offiziell behauptet, um das Problem der Streithähne, die, unfähig zur Demokratie, gegeneinander agieren. Es geht vielmehr um die Beseitigung eines politischen Raumes, dessen Auswirkungen den Rahmen des vorherrschenden rassistischen Demokratieverständnisses sprengen. Gerade hier innerhalb dieser emanzipatorischen demokratischen Anomalie namens Wiener Integrationskonferenz geht es um die Demokratisierung der Gesellschaft und nicht um ein bloßes Gerede darüber.
Ljubomir Bratić ist Philosoph und Publizist, lebt in Wien.