Auf dem Weg zum Archiv
Der Weg zu einem Archiv der Migration scheint seinen Anfang notwendigerweise im politischen Subjekt der MigrantInnen zu haben. So war das in Frankreich, so in Deutschland, so im Amerika der 1920er-Jahre, zum Beispiel in Minnesota, und so ist es auch in Österreich.
Der Weg zu einem Archiv der Migration scheint seinen Anfang notwendigerweise im politischen Subjekt der MigrantInnen zu haben. So war das in Frankreich, so in Deutschland, so im Amerika der 1920er-Jahre, zum Beispiel in Minnesota, und so ist es auch in Österreich. Warum ist das so? Aus dem einfachen Grund, weil die Geschichte und die Quellen für die Geschichtsschreibung – das Archiv – nicht neutral sind, sondern an bestimmte strukturelle Zusammenhänge gebunden. Sie sind gebunden an das nationalstaatliche Gedankengut, und dieses besagt, dass es Minderheiten und Mehrheiten – in machttechnischer und nicht in quantitativer Hinsicht – gibt, und dass die Mehrheiten darüber bestimmen, was unter Geschichte öffentlich zu setzen ist. Geschichte ist nicht neutral. Sie wird von der Mehrheit, die im Fall der „Einwanderungsgesellschaften“ durch einen entscheidenden qualitativen und rechtlichen Vorsprung – der Inhabe der Staatsbürgerschaft – charakterisiert ist, eingesetzt, um eine bestimmte Position zu naturalisieren. Dies ist eine zentrale Erkenntnis der neueren feministischen Bewegung, aber auch der postkolonialen Kritik an der Geschichtsschreibung – und wurde noch viel früher im Kontext der Arbeiterklasse als eine „Geschichte von unten“ eingefordert. Und dies hat eine Gültigkeit für alle Gruppen, die am Rande der Wahrnehmung und der Gesellschaft gehalten werden. Um diese Position aufzubrechen, bedarf es eines kräftigen politischen Subjektes. Eine der Grundlagen seiner Selbstwahrnehmung ist der diskursive Blick auf die eigenen Entwicklungslinien.
Ein Archiv, eine Sammlung in einem Museum oder ein Dokumentationszentrum dokumentieren diese Wege und wirken perspektivisch in die Zukunft. Deswegen hat so ein Archiv der Migration eine politische Bedeutung. Es dokumentiert die Anwesenheit jener, deren Bleiben offiziell nicht dauerhaft hätte sein sollen, die Anwesenheit in aufgezwungener Abwesenheit, und es setzt sich als dezidierter Teil der diskursiven Auffassung von Gesellschaft inmitten eines Feldes, das sonst sehr lange Zeit „natürlich“ nicht für alle zugänglich war. Es ist ein demokratisches Unternehmen, das nach Berücksichtigung derjenigen ruft, die sonst nicht Teil waren und sind. Ein Unternehmen, das auf den Spezifitäten bestimmter Anwesenheiten beruht.
Darum ist es auch klar, dass dieses Unternehmen nicht von denjenigen, deren Geschichte einen Anspruch der Allgemeinheit erhebt, gestartet wird, sondern von den „anderen“, die ihre Anwesenheit nun genauso öffentlich und allgemein sehen und erleben wollen. Es geht dabei darum, sich als Teil einer allgemeinen Geschichte in der Gesellschaft zu bewegen. Es geht darum, einen Werdungsprozess zu initiieren und Teil aller wissenschaftlichen, institutionalen, populären, bildungs- und kulturpolitischen historischen Prozesse zu werden. Diese Entwicklung kann nur durch die Schaffung eines permanent diesem Themenkomplex gewidmeten zentralen Ortes erfolgen. Es genügt nicht, noch einen Teil in die bestehenden Institutionen zu implementieren, weil diese mehrheitsgesellschaftlichen Institutionen keinen Zugang zu diesem Themenkomplex haben. Sie sind gegenwärtig weder politisch noch diskursiv, noch personell imstande, dieses Vorhaben durchzuführen. Es ist doch kein Zufall, dass diese Institutionen bis heute diese Thematik übersehen haben. Was spricht denn gegen die Annahme, dass sie genau auf dieser gut trassierten Straße weiter fahren würden? Eigentlich gar nichts! Diese Gefahr ist unsere Realität. Eine aber noch größere Gefahr ist die, dass die Idee scheinheilig umgesetzt wird, und es zur Entstehung von „Tschuschenecken“ in den auf die Geschichte des Nationalstaates gerichteten Institutionen kommt. Was die Zukunft tatsächlich bringen wird, werden wir in den nächsten Jahren feststellen können. Der Arbeitskreis Archiv der Migration macht seine Arbeit, es bedarf aber einer größerer Anzahl von AkteurInnen und politischer und sonstiger Willensakte, um daraus ein für Österreich vorbildliches und kontinuierliches Projekt zu schaffen.