Mobilitätsbarrieren continued

Bereits jetzt verhindert die restriktive Visa-Vergabe den kulturellen Austausch. Kaum ein Kulturverein kann den Aufwand, der mit der Einladung visumspflichtiger KünstlerInnen und Vortragender einhergeht, noch stemmen. Nun drohen weitere Verschärfungen.

Banksy in Boston: F̶O̶L̶L̶O̶W̶ ̶Y̶O̶U̶R̶ ̶D̶R̶E̶A̶M̶S̶ CANCELLED, Essex St, Chinatown, Boston

Seit 10 Jahren gilt der sogenannte EU-Visakodex, also einheitliche Rahmenregelungen für alle ausländischen StaatsbürgerInnen, die ein Visum für den kurzfristigen Aufenthalt im Schengenraum brauchen. Genauso lange sind auch die Probleme damit bekannt – zumindest für österreichische KulturveranstalterInnen. Denn der Visakodex wird von Österreich sehr restriktiv ausgelegt.[1] Ein Künstlervisum oder Bestimmungen, die auf die Realitäten im Kultursektor Rücksicht nehmen, gibt es nicht. Insbesondere für kleine und mittlere Kulturvereine ist der finanzielle, zeitliche und bürokratische Aufwand, der mit der Einladung visumspflichtiger KünstlerInnen und Vortragender verbunden ist, kaum leistbar – von einzelnen, schikanösen Erfahrungen mit Behörden ganz zu schweigen.[2] Wenn Kulturvereine sich trotzdem auf diesen Prozess einlassen, bleibt dennoch immer das Risiko, dass trotz großem Investment an Zeit, Geld und - vor allem - Nerven, Visumsanträge abgelehnt werden, geplante Veranstaltungen abgesagt werden müssen. Denn in Österreich gilt noch immer: Quo Vadis Mobilitätsbarrieren, Programmgestaltung durch rigide Visa- und Migrationsregime, nicht durch KulturveranstalterInnen. So entstand die Hoffnung, wenn sich in Österreich schon nichts tut, zumindest auf EU-Ebene Bewegung in die Sache kommt.[3]
 

Unter dem Deckmantel eines „gestiegenen Migrations- und Sicherheitsrisikos“ stehen sämtliche Visa-AntragstellerInnen unter dem Generalverdacht, illegal migrieren zu wollen.


Seit vier Jahren wird nun auf EU-Ebene an einer Überarbeitung des Visakodex gearbeitet. Verbesserungen sollten geschaffen werden, dezidiert auch für den Kulturbereich. Selbst die Europäische Kommission erklärte öffentlich, dass die aktuellen Regelungen an den realen Bedürfnissen des Kultursektors und künstlerischer Mobilität vorbeigehen[4] – und zu kulturellen wie wirtschaftlichen Verlusten für die EU führen. Vier Jahre später ist von diesen anfänglichen Bestrebungen nicht viel übriggeblieben. Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel eines „gestiegenen Migrations- und Sicherheitsrisikos“ stehen sämtliche AntragstellerInnen für ein Visum unter dem Generalverdacht, illegal migrieren zu wollen. Sie müssen ihre „Rückkehr-Bereitschaft“ glaubhaft nachweisen können – Offenlegung ihrer persönlichen finanziellen, beruflichen und familiären Verhältnisse inklusive. Gleichzeitig wird die Diskussion auf perfide Weise mit der Asylthematik verknüpft. Einerseits wird ein Visum „aus humanitären Gründen“ abgelehnt, weil Visum und Asyl nicht vermengt werden sollen, da es zwei unterschiedliche Rechtsmaterien seien. Andererseits werden Staaten unter Druck gesetzt, indem ihre Staatsangehörigen strengeren Visumsbedingungen und -verfahren unterliegen sollen, wenn sie keine „Rücknahmebereitschaft“ zeigen – sprich, bei der „Rückübernahme“ abgelehnter AsylwerberInnen und anderer „irregulärer MigrantInnen“ kooperieren. 


Der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt und in den nächsten Tagen in die entscheidende Verhandlungsrunde geht, wird die Situation für Kulturvereine, die visumspflichtige KünstlerInnen und Vortragende einladen wollen, weiter verschärfen. Die zentralen Problemfelder und Handlungsempfehlungen sind seit langem bekannt.[5] Hierzu zählen, u.a.:

  • Eingrenzung der erforderlichen Belege, unter Berücksichtigung der Spezifika künstlerischer Erwerbsrealitäten bei Einforderung von Belegen und deren Bewertung: Aktuell haben die Behörden relativ freie Hand in der Bewertung der „Glaubwürdigkeit der Rückkehr-Bereitschaft“ der AntragstellerInnen. Dazu werden vor allem Einkommens- und Beschäftigungsnachweise und Anforderungen verlangt (z.B. Einkommensbescheide, Kontoauszüge und/oder Steuernachweise), die viele KünstlerInnen auch in Österreich nicht erfüllen könnten (siehe aktuelle Studie zur sozialen Lage). Insbesondere junge KünstlerInnen verfügen meist über kein regelmäßiges Einkommen. Arrivierte KünstlerInnen und WissenschafterInnen sehen oft nicht ein, warum sie ihre Einkommensverhältnisse einer europäischen Botschaft vorlegen sollen. Werden vom österreichischen Veranstalter alle Kosten übernommen, stellt sich die Frage, warum auch die Gäste ihre finanziellen Verhältnisse offenlegen müssen.
     
  • Befreiung von Visumsgebühren anstatt einer Erhöhung: In der Praxis sind es zumeist die einladenden KulturveranstalterInnen, die für diese Kosten aufkommen (direkt bezahlt oder als Teil der Vergütung/Kostenrückerstattung für die KünstlerInnen). Im Endeffekt müssen diese Mehrkosten vom Publikum oder indirekt durch die öffentliche Hand (da viele KulturveranstalterInnen für ihr international ausgerichtetes Programm gefördert werden) getragen werden. 
     
  • Flexiblere Einreichfristen, die sowohl eine frühzeitige als auch eine kurzfristige Einreichung ermöglichen. Künstlerische Mobilität ist typischerweise durch kurzfristige Planungserfordernisse gekennzeichnet.[6] So erfolgen Ausschreibungen zu Residencies und Festivals oft kurzfristig. Besonders betroffen sind Gruppen wie Bands, Theaterensemble, Tanzkompanien, etc. Wird der Antrag eines Gruppenmitglieds abgelehnt, kann ein mögliches Ersatzmitglied nicht mehr zeitgerecht einreichen. Wird ein Mitglied krank, stellt sich dasselbe Problem. Betroffen ist davon aber die gesamte Gruppe als auch die einladende Kultureinrichtung.

  • Ausnahmebestimmungen von der rigiden 90/180-Tage Begrenzung (maximal zulässige Aufenthaltsdauer mit einem Schengenvisum) für kulturelle Zwecke, wie sie das Europäische Parlament vorgeschlagen hat. Gerade für tourende Gruppen (Bands, Theaterensembles, Zirkusgruppen, etc.) ist die aktuelle Begrenzung problematisch. Tourneen müssen entlang dieser Regelung geplant werden. Tourneen, die länger als 90 Tage dauern, sind nur unter erheblichem Mehraufwand möglich (Austausch des Ensembles oder Ausreise aus dem Schengenraum, Wartezeit und Wiedereinreise mit einem neuen Visum). Ebenso wenig kann auf die Publikumsnachfrage mit Zusatzterminen reagiert werden oder können Einladungen zu weiteren Kooperationen angenommen werden, da die aktuellen Regelungen zu unflexibel und aufwendig sind. 
     
  • Schaffung von effektiven Verfahrenserleichterungen, unter anderem durch kürzere Bearbeitungszeiten und die Vergabe von Visa für die mehrfache Einreise mit längerer Gültigkeitsdauer. Denn obwohl bereits jetzt theoretisch derartige Visa für die Mehrfacheinreise vergeben werden können und damit allen Beteiligten - Behörden, eingeladenen KünstlerInnen und einladende Kultureinrichtungen - Kosten und Mühen erspart würden, wird dies kaum getan. Die nun vorgeschlagenen Regelungen und Bedingungen für die Erteilung von Visa für die Mehrfacheinreise mit längerer Gültigkeitsdauer sind noch enger gefasst und aufwendiger. Regelmäßige Auftritte von hochqualifizierten, anerkannten Kunst- und Kulturschaffenden in Europa werden damit weiter erschwert.


Die IG Kultur Österreich fordert die österreichische Regierung auf, sich in den Verhandlungen zum EU-Visakodex für ein transparentes, einfaches und diskriminierungsfreies Visasystem einzusetzen, welches auch den Kulturbereich systematisch berücksichtigt. Dem Trend zur kulturellen Enge und radikalen Abschottung, der auch in der EU immer mehr um sich greift, muss entscheiden entgegen getreten werden. Als selbernannte Kulturnation sollte dies selbstverständlich sein. 

Nicht zuletzt hat sich Österreich - genauso wie die EU und ihre Mitgliedstaaten - bei der UNESCO dazu verpflichtet, Vielfalt im Kulturleben durch internationalen Kulturaustausch und Visaerleichterungen für Kunst- und Kulturschaffende zu fördern.[7] Ein Bekenntnis, dass die aktuelle Regierung auch in ihrem Regierungsprogramm wiederholt (S.93). Es ist Zeit, Taten sprechen zu lassen. 

 

"Call for transparent and easy application processes when inviting artists, cultural professionals, touring groups, and others from visa-required countries":  Gemeinsames Forderungspapier der IG Kultur mit 74 weiteren europäischen Kulturverbänden, sich für Mindeststandards in der EU-Visapolitik einzusetzen.

Lister der unterstützenden Organisationen


1 Siehe u.a.: Analyse von RA Doris Einwallner im Rahmen des Workshops „Across Europe and Beyond“, 2012, nachlesbar in der Workshop-Dokumentation; sowie Radiosendung Bewegungsmelder Kultur: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstpräsentation und Ausgrenzung;  
2 Sammlung von Praxisbeispiele vom Kulturrat (Heute: Veranstaltung abgesagt!) sowie der Österreichischen UNESCO-Kommission (Stichwort: Visa für KünstlerInnen); 
3 Beispielsweise wurde eine EU-ExpertInnengruppe im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung zum Thema „Mobilität von Künstlerinnen und Künstlern“ eingerichtet, an der Österreich durch Gabi Gerbasits (IG Kultur Österreich) vertreten war; siehe Bericht der EU-ExpertInnengruppe
4 Siehe die Argumentation der Europäischen Kommission, warum sie 2014 ein Rundreise-Visum für tourende KünstlerInnen und SportlerInnen vorgeschlagen hat;
5 Siehe z.B. Pressekonferenz des Kulturrats „Kunst kann überall hin, KünstlerInnen nicht“;
6 Siehe Analyse von On-The-Move, 2012
7 UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte der Konvention findet sich hier;

Bild: Künstler: Bansky - F̶O̶L̶L̶O̶W̶ ̶Y̶O̶U̶R̶ ̶D̶R̶E̶A̶M̶S̶ CANCELLED, Essex St, Chinatown, Boston, Fotographie © Chris Devers unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0