Griechische Inseln
Der Anarchismus legt es nicht auf möglichst viel Chaos und Gewalt an, sondern auf die Abwesenheit von Herrschaft, wie es bereits das griechische Wort anarchia besagt. Und wie es im 20. Jahrhundert verschiedenste Massenbewegungen gefordert und praktiziert haben.
Mit griechischen AnarchistInnen geriet ich das erste Mal 1997 in Kontakt. Das war in Spanien. In dem kleinen katalanischen Dorf Priorat hingen wir bei vierzig Grad im Schatten ohne Schatten an einem ungechlorten Pool rum und diskutierten zwischen Olivenbäumen über Möglichkeiten transnationaler Vernetzung. Anlass war das 2. Intergalaktische Treffen, das auf Initiative der Zapatistischen Bewegung die globalen Kämpfe gegen die neoliberale Offensive miteinander verknüpfen sollte.
Dass in den zeitungseigenen Fotostrecken zu den Protesten, die in ganz Griechenland als Antwort auf die Erschießung des 15-jährigen Schülers Andreas Grigoropoulos ausbrachen, immer wieder schwarz-rote Fahnen zu sehen waren, wunderte mich nicht. Griechische AnarchistInnen waren bereits Teil der globalisierungskritischen Bewegungen, als diese noch gar nicht so hießen. Und in Griechenland sind sie offenbar seit den Studierendenprotesten gegen die Militärjunta 1973 eine zumindest subkulturelle Größe, mit der in politischen Krisensituationen zu rechnen ist.
Man muss das vielleicht immer wieder sagen, gerade in einem Land, in dem die Kombination der Farben Schwarz und Rot im politischen Kontext entschieden staatstragende Assoziationen weckt: Der Anarchismus legt es nicht auf möglichst viel Chaos und Gewalt an, sondern auf die Abwesenheit von Herrschaft, wie es bereits – sieh an, sieh an – das griechische Wort anarchia besagt. Und wie es im 20. Jahrhundert verschiedenste Massenbewegungen gefordert und praktiziert haben.
Während die Kommunistische Partei sich auch während der griechischen Dezemberproteste – wie in eigentlich allen wichtigen sozialrevolutionären Situationen im europäischen 20. Jahrhundert, von der Spanischen Revolution bis zum Pariser Mai ´68 – auf die Seite von Ruhe und Ordnung schlug, organisieren die Libertären die Unruhe. Im Blog des griechischen Center for Strategic Anarchy („strategy for the global chess match between anarchy and misery“) jedenfalls wird fleißig, kämpferisch und sehr amüsant koordiniert. Und basisdemokratische Versammlungen fanden in Folge der Straßenproteste bei allen Universitätsbesetzungen von Athen bis Thessaloniki statt. Aber daran waren selbstverständlich auch viele bis dahin nicht politisierte Studierende, SchülerInnen und andere Leute beteiligt. Vertrauensverlust den etablierten Parteien gegenüber, neoliberale Privatisierungen, Hochschulreform und eine allgemeine Lage, in der, wie der französische Soziologe Pierre-Michel Menger schreibt, „das Ausbildungsniveau weniger denn je ein Kapital mit gesicherter Rendite“ ist, kann eben auch zu antiautoritären und solidarischen Formen der Organisierung führen.
Man muss das vielleicht immer wieder sagen, gerade in einem Land, in dem die Jugend eher die Ruhe bewahren als die Unruhe schüren will und nichts besseres zu tun hat, als mit der FPÖ mehrheitlich eine Partei zu wählen, deren Führer AsylwerberInnen am liebsten in Militärflugzeugen abschieben will (da könnten sie sich wehren und schreien, so viel sie wollten), damit sie so genannte unbescholtene BürgerInnen nicht bei ihren Urlaubsflügen stören.
Auch auf Ferieninseln wie Korfu und Kreta gab es Proteste im Dezember. Ich wüsste jedenfalls, was ich Studierenden raten würde, die ein Erasmus-Semester anvisieren. Wenn auch, historisch betrachtet, vom Anarchismus lernen sicherlich nicht heißt, siegen zu lernen, so geht doch nichts (oder nur sehr wenig) über die richtigen Gespräche am richtigen Pool. Wenn diese schließlich den Neoliberalen und dem autoritären Nationalchauvinismus zum Schaden gereichen, umso besser.