Globalisierungskritik à la UNESCO. Eine Konvention für kulturelle Vielfalt und Vervielfältigung.
Jubel aller Orten über das Zustandekommen der neuen „Konvention zum Schutze und zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO). Allgemeiner Tenor ist, dass sie dazu geeignet sei, die Handlungsfähigkeit der staatlichen Kulturpolitik zu retten, die man schon den launischen Strömungen des liberalisierten Weltmarktes preisgegeben sah.
Jubel aller Orten über das Zustandekommen der neuen „Konvention zum Schutze und zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO). Allgemeiner Tenor ist, dass sie dazu geeignet sei, die Handlungsfähigkeit der staatlichen Kulturpolitik zu retten, die man schon den launischen Strömungen des liberalisierten Weltmarktes preisgegeben sah. Tatsächlich sieht die Konvention eine Zügelung der Marktgesetze und die Stärkung des staatlichen Souveränitätsprinzips vor und steht damit in Frontstellung zu dem Dienstleistungsabkommen (GATS) der Welthandelsorganisation (WTO), das nächstes Jahr eine Ausweitung erfahren soll. An der aggressiven Vehemenz, mit der die US-Administration letztendlich erfolglos die Konvention bekämpfte, lässt sich die potenzielle Durchschlagskraft des Papiers ermessen. Es ist eben nicht nur ein Papier, eine der unzähligen zahnlosen Absichtserklärungen, die internationale Vereinigungen wie die UNESCO so gern zu produzieren pflegen. Ihr Biss scheint der amerikanischen Regierung tatsächlich Angst und Schrecken einzujagen. Er steckt in dem eigentlich lapidar anmutenden Satz der Präambel „Wir sind davon überzeugt, dass kulturelle Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen sowohl eine wirtschaftliche als auch eine kulturelle Natur haben.“ Warum konnte die Bush-Regierung diesen Satz nicht unterschreiben? Weil er mit seiner sowohl – als auch-Formulierung genau das behauptet, was das von den Amerikanern so stark geförderte GATS-Abkommen bestreitet: Denn die gesamte Philosophie der Liberalisierung der kulturellen Weltmärkte basiert darauf, dass kulturelle Aktivitäten entweder gewinnorientiert oder non-kommerziell sind. Entweder sie sind Teil eines „freien“ Marktes, dann müssen sie sich auch den Marktgesetzen der „Fairness“ unterwerfen. Will heißen: Ein Player darf nicht bevorzugt mit staatlichen Förderungen und Subventionen bedacht werden, während ausländische Mitspieler übervorteilt werden. Oder die Aktivitäten sind nicht gewinnorientiert und somit jenseits des geistigen Horizonts der WTO. Sie werden von der Liberalisierungswalze verschont und dürften weiter von den nationalen Regierungen nach Lust und Laune subventioniert werden. Diese eindimensionale Betrachtungsweise hat naturgemäß den Nachteil, dass sie ungenau ist. Es ist in vielen Fällen schwierig, einen exakten Trennungsstrich zu ziehen, und daher fühlen sich – zu Recht – weite Bereiche des kulturellen Lebens von einem Zugriff des GATS-Liberalisierungsorkans bedroht. Die hier in Österreich und Europa gewohnte Praxis einer Kulturpolitik, die in Wirklichkeit Wirtschaftsförderung betreibt (mit der Begründung auf diese Weise „die Kultur“ zu fördern) wäre akut gefährdet. Auch die weitreichenden Privatisierungsbemühungen der letzten Jahre könnten sich so als Schuss ins Knie erweisen. Prominentes Opfer eines neuen GATS-Abkommens könnte die kontinentaleuropäische Interpretation des öffentlichen Rundfunks, beispielsweise des ORFs sein – ein hochsubventionierter Megaplayer auf dem Werbe- und Medienmarkt im österreichischen Raum. Im Idealfall, den die USRegierung anstrebt, könnte ein ausländischer Anbieter dieselben Subventionen verlangen. Ein Albtraum für das gesamte System. (Randbemerkung: Der drohende Systemabsturz macht auch in gewisser Weise den Charme dieses rigoros eindimensionalen Kulturbegriffs der WTO aus: Er zwingt die Regierungen dazu, sich zu dem immer stiefmütterlicher behandelten non-kommerziellen Kulturbereich eindeutiger zu bekennen.) Soweit wollen es die EuropäerInnen nun auch nicht kommen lassen, und deshalb blockieren sie bereits seit längerem die GATS-Verhandlungen. Eine Aufgabe der WTO-unabhängigen Subventionspolitik kommt auf keinen Fall in Frage. In diesem Lichte ist das europäische Hoffen auf die neue UNESCO-Konvention zu betrachten: Mit diesem UN-Papier sollen dem GATS die Zähne gezogen werden, obwohl die WTO selbst gar nichts mit den Vereinten Nationen zu tun hat. Insofern ist sie also nur eine nicht-bindende Absichtserklärung – aber eine lauthals ausgerufene, eine potenziell wirkungsmächtige, wenn sie denn auch in die WTO hineingetragen wird, wie es Konventionsartikel 20 einfordert. Es bleibt abzuwarten, wie und durch wessen Drängen sie dann tatsächlich Eingang in das Dienstleistungsabkommen findet.
UNESCO-Konvention reloaded
Doch verlassen wir nun die Gefilde dieser hohen Politik, in der es viel um Business und wenig um eigentliche Kultur geht. Denn jenseits entfaltet die Konvention erst ihre wahre progressive Blüte. Wenden wir uns also diesem Teil zu, dem eigentlichen Hauptaspekt der Konvention. Lasst uns die alltäglichen Sorgen um unser schönes Subventionssystem vergessen und ein wenig Traumtanzen – schließlich ist die Konvention ja „dem Schutz und der Förderung der kulturellen Vielfalt“ gewidmet, und nicht der „Rettung der nationalen Kulturindustrie“! Seien wir also einmal ehrlich: Die „kulturelle Vielfalt“ unserer Welt ist weniger durch eine tatsächliche oder fantasierte Dominanz einer „amerikanischen“ Kulturindustrie bedroht, als vielmehr durch unsere eigene Ignoranz gegenüber ganz offensichtlichen Einebnungen und Homogenisierungen vor unserer Haustür: Nicht ganz zu Unrecht brennen nun die auf den Pariser Parkplätzen deponierten Wohlstandsgüter! Denn innerhalb und außerhalb unserer Gesellschaft findet eine erbarmungslose Segregation und Unterdrückung des „Anderen“ statt, die so etwas wie „Kulturelle Vielfalt“ im Keime ersticken. Beispiele: MigrantInnen werden nicht nur aus der Arbeitswelt massiv ausgeschlossen, sondern auch ihrer Stimme und der Möglichkeit zur Teilnahme am kulturellen Leben beraubt. In Nordarfrika werden sie sogar im Namen und auf Geheiß der EU standrechtlich erschossen, sollten sie den Versuch wagen, europäisches Territorium zu betreten. In Österreich greift eine staatliche Unterdrückung der EinwanderInnen, die sich bereits seit Jahrzehnten bei Sinti und Roma „wohlbewährt“ hat: die systematische Abschiebung des migrantischen Nachwuchses in Sonderschulen und damit in letzter Konsequenz auch dessen Zwangseinordnung in die unterste Schicht des sozialen Gefüges. Usw. usf. In diesem Sinne steht die „Konvention zum Schutze und zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ nicht auf „unserer“ Seite, die wir als mehrheitsEUropäische KulturproduzentInnen ohnehin privilegierten Zugang zu kulturellen Foren haben, sondern in aller Deutlichkeit auf jener der „Banlieusards“, wenn sie spricht: „Die Vertragsparteien sollen sich bemühen, auf ihren Territorien Räume zu schaffen, die Individuen wie Gruppen dazu ermutigen, ihre eigenen kulturellen Ausdrucksformen zu schaffen, zu produzieren, zu verbreiten und zu ihnen Zugang zu finden – unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Umstände und Bedürfnisse von Frauen und anderer marginalisierter Gruppen …“ (Art.7 Abs.1) Was man ihnen nicht gibt, das nehmen sie sich zu Recht mit Gewalt. Wenn es eine Wahrheit der Banlieu-Aufstände gibt, dann ist es diese. Heil sucht die Konvention in der massiven Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen (Art. 11 und 12) und fordert damit ein radikales Umdenken in der Kulturpolitik der Staaten. Statt Kulturwirtschaftsförderung verlangt sie nachdrücklich die Förderung non-kommerzieller, kritischer Aktivitäten und die Aufhebung jedweder kultureller (ist gleich sozialer) Ausschließungen, um das zu erreichen, was „kultureller Vielfalt“ erst einen tieferen Sinn verleiht: Stärkung und Weiterentwicklung demokratischer Strukturen sowie Gleichberechtigung der Marginalisierten durch „Ausweitung der Wahlfreiheit“ (§3 der Präambel), „freie Entfaltung von Ideen“ (§10), „Gedanken-, Ausdrucks- und Informationsfreiheit“ (§11). Derart soll „kulturelle Vielfalt“ in letzter Konsequenz die „volle Verwirklichung der Menschenrechte“ herbeiführen (§5). Die Konvention geht sogar noch weiter und fordert die Herstellung der kulturellen Chancengleichheit weltweit. Ihr entwicklungspolitischer Aspekt fordert eine weltweite Umverteilungspolitik (von Wissen und Information wie auch von Kapital und Produktionsmitteln), die im Sinne einer positiven Diskriminierung eine kooperative Öffnung nationaler kultureller Felder und Märkte für Entwicklungsländer herbeiführt. Sie richtet sich gegen eine generelle Marktschließung, fordert sogar eine differenzierte Marktöffnung. Dies drücken Art. 13 bis 16 aus („Bevorzugte Behandlung für Entwicklungsländer“, Art. 16). In diesem Punkt widerspricht die Konvention sowohl dem GATS (generelle, gegenseitige Marktöffnung), als auch der herkömmlichen, von uns als schützenswert betrachteten Praxis der Kulturwirtschaftspolitik. All das wird gerne in unseren Breitengraden überhört und als „Orchideenforderungen“ der Konvention abgetan. Vor allem bei den heimischen KulturpolitikerInnen hat das auch System. Denn nähme man diese Aspekte des Papiers ernst, wäre die Feier über die vermeintliche Rettung der hiesigen Kulturpolitik vor neoliberalistischer Globalisierung schnell beendet. Das Subventionssystem müsste geöffnet und auf eine neue ideologische Grundlage gestellt werden. Tatsächlich rechtfertigt die Konvention keine Fortführung des bestehenden nationalen oder europäischen Kulturprotektionismus. Tatsächlich fordert sie eine kulturelle wie ökonomische Globalisierung – allerdings ganz anderer Art, als es das Welthandelsabkommen will.
Konsequenzen der Konvention
Es steht zu befürchten, dass die meisten unserer VolksvertreterInnen schon bei „Konvention zum Schutz … der Kultur …“ aufgehört haben, wenigstens den Titel des eigenhändig unterzeichneten Papiers zu lesen – und ins Schwelgen über einen „Pummerin statt Muezzin“-Kulturkampf in den Tiroler Bergen geraten sind. Dass es primär nicht um den Schutz national-kultureller Identität und der damit verbundenen Industrie geht, sondern um den „Schutz der Vielfalt“ durch gezielte „Förderung der Vielfalt“, übersteigt auch den Horizont weiter Teile der Gesellschaft inkl. ihrer Eliten. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass es der Konvention nicht nur um Wahrung bestehender Vielfalt geht und damit um den Schutz bedrohter Kulturen (wozu sich die „österreichische„ oder „europäische“ nicht zählen dürfen), sondern um deren Vervielfältigung – durch Dynamisierung der Grenzen zwischen den Kulturen. Sollte diese Konvention irgend etwas Positives bewirken, dann nur, wenn wir unsere selbstmitleidigen anti-amerikanischen Affekte hintanstellen und begreifen, dass auch wir selbst Teil des Problems sind. Wir müssen begreifen, dass sie mit ihrer Formulierung von der „sowohl wirtschaftlichen als auch kulturellen Natur von Kultur“ nicht nur die Rechtfertigung von Subventionen für nationale Kulturindustrien meint. Wir müssen erkennen, dass diese Interpretation eine kurzsichtige Pervertierung des wahren Geistes der Konvention darstellt – eine hegemoniale Blickeintrübung. Vielmehr will die Konvention damit sagen, dass die kulturelle Vielfalt nicht nur bedroht wird durch die Unterdrückung der kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten von Marginalisierten innerhalb unserer Gesellschaft und weiter Teile der Weltbevölkerung, sondern vor allem auch durch deren sozioökonomischen Ausschluss. Sie will sagen: Das Problem der kulturellen Vereinheitlichung, dem sie entgegentritt, ist nicht nur kultureller Natur, sondern auch wirtschaftlicher. Sollten diese Aspekte der Konvention von der Zivilgesellschaft nicht mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, droht das gesamte Vertragswerk in die Fänge konservativ-reaktionärer Kreise zu geraten. Nicht ohne Grund war die erste, die sich im Nationalrat eine Interpretationshoheit über die Konvention erlaubte, die FPÖ-Abgeordnete Helene Partik- Pablé. Sie ließ verlautbaren, dass nun die spezifische „österreichische Kultur“ gefördert werden solle. Es ist höchste Zeit für uns, die Konvention in die Hand zu nehmen und sie für das zu nutzen, wofür sie sich anbietet: sie dem Zeitgeist um die Ohren zu hauen und ihm diese Flausen entgültig auszutreiben!
Ascan Breuer ist freier Journalist, Filmemacher und Sozialwissenschaftler; lebt in Wien.