Die Jagd nach Datenschatten. Wie der Film Faceless Datenschutzgesetze unter die Lupe nimmt
Ferngesteuerte unbemannte Luftfahrzeuge überfliegen die Stadt auf der Suche nach unsozialem Verhalten. Sprechende Kameras rufen – mit Kinderstimmen – Menschen, die Abfälle auf die Straßen werfen, zur Ordnung auf. Bildern aus Videoüberwachungsanlagen werden biometrische Daten entnommen, um PassantInnen über ihr Gesicht oder ihren Gang zu identifizieren.
Seltsamer als jede Fiktion
Ferngesteuerte unbemannte Luftfahrzeuge überfliegen die Stadt auf der Suche nach unsozialem Verhalten. Sprechende Kameras rufen – mit Kinderstimmen – Menschen, die Abfälle auf die Straßen werfen, zur Ordnung auf. Bildern aus Videoüberwachungsanlagen werden biometrische Daten entnommen, um PassantInnen über ihr Gesicht oder ihren Gang zu identifizieren. Dies sind keine Szenen aus einem Science-Fiction-Film, sondern Techniken, die heute in Merseyside, Middlesborough, Newham und Shoreditch (GB) zum Einsatz kommen. Großbritannien ist mittlerweile führend, was Dichtheit und Raffinesse der Überwachungstechnologien anbelangt. Mit einer geschätzten Anzahl von 4,2 Millionen CCTV-Kameras sind die EinwohnerInnen Großbritanniens die meist beobachteten der Welt (Ball/Lyon/Wood 2006:19). Doch Bilder von Überwachungskameras sind nur eine der vielen Datenspuren, die wir – freiwillig oder unfreiwillig – hinterlassen. Unsere Autofahrten werden mittels ANPR-Systemen aufgezeichnet, dank der Location awareness der Endgeräte (z.B. Mobiltelefone) werden unsere Bewegungen registriert, die Spuren unserer Online-Aktivitäten von Internetdienstanbietern aufgezeichnet, Einkaufsgewohnheiten per Kundenkarten überwacht und unsere Ernährungsgewohnheiten mit den Fluggastdaten erfasst. Unsere digitalen Alter Egos sind mehrdimensional, wachsam und vergessen nie etwas.
Doch muss man nicht unbedingt eine totalitäre Verschwörung hinter dieser Datenakkumulation vermuten, die Auswertung von Daten ist sowohl ein Erfordernis der Markteffizienz als auch der bürokratischen Rationalität. Über die „Überwachungsgesellschaft“ wurde bereits viel geschrieben und es ist in diesem Rahmen nicht unsere Absicht, eine allgemeine Kritik von Datensammlung, -vorratsspeicherung und -analyse zu leisten. Doch muss uns bewusst sein, dass im Namen von Effizienz und Rationalität – und natürlich der Sicherheit – eine ständig wachsende Datenmenge zwischen den HüterInnen, scheinbar nicht vernetzter Aufzeichnungen wie Krankengeschichten, Einkaufsgewohnheiten und Grenzübertritten, ausgetauscht wird. Es gibt gesetzliche Rahmenbedingungen zum Schutz der Privatheit, die Datentransfers auf die zugehörigen Parteien beschränken. Es sind diese Gesetze und insbesondere das (britische) Datenschutzgesetz[1], die der Film Faceless durch seine Machart untersucht.
Vom Gesetz zum Manifest
„Ich möchte gemäß des Datenschutzgesetzes 1998 sämtliche Videobilder meiner Person, die von Ihrer Videoüberwachungsanlage aufgezeichnet wurden, beantragen. Ich war am [Datum] um [Zeit] in [Ort] anwesend.[2]“ Unter dem Namen ambientTV.NET betrieb die Künstlerin Manu Luksch mehrere Jahre lang eine Reihe von Workshops zur Visualisierung von Datenspuren, um diese in dramatisierter Weise erfahrbar zu machen und „jene zu beobachten, die uns beobachten“. Diese Experimente, in denen die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit untersucht wurde, liefen unter dem Titel The Spy School. Im Jahr 2002 führte The Spy School ein Experiment durch, das die Wirksamkeit des Datenschutzgesetzes (DSG) in Bezug auf Bilddaten aus der Videoüberwachung (CCTV) testete.
Das DSG wurde ursprünglich ausgearbeitet, um den Zugang zu computerisierten personenbezogenen Daten, wie etwa medizinischen und buchhalterischen Auf- zeichnungen, zu regulieren und um eine Balance zwischen den Rechten des/ der Einzelnen und den mitunter konkurrierenden Interessen jener herzustellen, die legitime Gründe haben, personenbezogene Daten zu verwenden. Im Jahr 1995 hat die Europäische Union eine Richtlinie zum Datenschutz (DS-RL) erlassen, um den Datenschutz in allen Mitgliedsländern auf ein Niveau zu bringen. In Österreich wurden die Richtlinien im Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000)[3] umgesetzt. Im Falle der CCTV Daten treten auch weitere Bestimmungen in Kraft, wie etwa der Bildnisschutz und Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.[4] Die Bestimmungen stehen in einem Spannungverhältnis zueinander, welches für die im Manifesto for CCTV Filmmakers (kurz Manifest genannt) erläuterte Methode – das eigene digitale Double zum/zur ProtagonistIn eines Films auferstehen zu lassen – von Interesse werden sollte. Nachdem The Spy School, unter Berufung auf das Datenschutzgesetz, an die ersten CCTV Aufzeichnungen gelangte, wurde das Manifest formuliert, welches die Stabilität der gesetzlichen Rahmenbedingungen hinterfragen und mit Mitteln der Kunst überprüfen sollte. Laut Manifest ist lediglich die Verwendung von Aufzeichnungen aus existierenden CCTV Systemen gestattet, die mithilfe des britischen Datenschutzgesetzes (DPA 1998) eingefordert werden können, es dürfen daher keine zusätzlichen Kameras eingebracht werden. Das Filmset ist der gesamte öffentliche Raum.
Ein gesetzliches Readymade
„Das ist die Geschichte einer Frau, die von der Erinnerung an die Zukunft heimgesucht wird, von Traumbildern, die sich verirrt haben, die ihre Verbindung zur Echtzeit immer wieder unterbrechen. Vergeblich versucht sie diese Bilder zu verstehen. Viel später wird sie sie zu deuten wissen, als Sehnsucht und Vorahnung.“ (Faceless, 2007)
Faceless ist ein CCTV-Sciencefiction-Märchen, nach den Vorgaben des Manifests gedreht. Durch die gesetzlichen Auflagen zum Schutz der Privatheit sind CCTV-BetreiberInnen dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass andere Personen in den ausgehändigten Aufzeichnungen nicht identifizierbar sind. Meist wird diese Anforderung erfüllt, indem betreffende Gesichter unkenntlich gemacht werden. Dies erklärt die „gesichtslose“ Welt des Films.
Der Film spielt in einer geradezu unheimlich vertrauten Stadt, in der ein neu eingeführter Echtzeit-Kalender Vergangenheit und Zukunft abschafft, wodurch die BürgerInnen von Schuld, Bedauern, und Zukunftsangst befreit sind. Ohne Gedächtnis oder Erwartung verblassten nach und nach die Gesichtszüge und die Bevölkerung wurde sprichwörtlich gesichtslos. Eine Zeit unvorstellbaren Glücks beginnt, bis eine Frau ihr Gesicht wiedererlangt.
Faceless beschreibt das CCTV-Bild als Beispiel für ein rechtliches Readymade (objet trouvé). Das Medium, im Sinne eines „Rohmaterials, das Kunst wird“, ist nicht einfach als Video oder fixiertes Licht zu beschreiben. Genauer gesagt, besteht es aus Bildern, die kontingent unter bestimmten gesellschaftlichen und gesetzlichen Bedingungen existieren, im Wesentlichen aus Bildern mit einem rechtlichen Überbau. Der Film hinterfragt nicht nur Gesetze, die die Videoüberwachung der Gesellschaft regeln, sondern auch Kommunikationscodes, die ihre Umsetzung bestimmen. Sowohl in seiner Entstehungsweise als auch durch den Plot ist Faceless eine Form von Kritik. Da der britische DPA über einen langen Zeitraum angewendet und seine Auswirkungen beobachtet wurden, konnten Veränderungen des Gesetzes, seine Stärken und Schwächen im Detail aufgezeigt werden.
Negative Antwortschreiben der CCTV BetreiberInnen, auf die Ansuchen um Zugriff auf Videodaten, nannten technische Ausfälle oder menschliches Versagen – gelöschte oder verlorene Datenträger – , gestanden Unkenntnis des DPA oder zu schlechte Qualität der Bilder, welche die Identifizierung verunmögliche. Der Katalog von erfolglosen Ansuchen umfasst alles erdenkliche, von ausständi- gen Antworten bis hin zu barocker Handhabung der Verpflichtung zum Schutz der Privatheit Dritter. Komplexeren Absagen dienten Begriffsdefinitionen, wie „unverhältnismässiger Aufwand“, oder „personenbezogene Daten“, als Schlupfloch.[5]
Im Schatten des Schattens
In Großbritannien wird über die Effizienz, Kosten-Nutzen-Rechnung, Qualität der Ausführung, politische Legitimität und kulturelle Auswirkungen der CCTV- Systeme diskutiert. Während Videoüberwachung bei der Lösung einiger Fälle, die wiederum starke Beachtung in den Medien fanden, eine wesentliche Rolle spielte, erwies sie sich in anderen Fällen als seltsam nutzlos.[6] Selbst die eifrigsten VerfechterInnen der Videoüberwachung scheinen bereits ihren Glauben an dieses Allheilmittel verloren zu haben. In den 1990er Jahren investierte das britische Innenministerium 78 % des Präventivbudgets gegen Kriminalität in CCTV. In einem Evaluationsbericht aus dem Jahr 2005 kam dieselbe Stelle zu dem Schluss, dass „die bewerteten CCTV-Modelle wenig Auswirkung auf die Kriminalitätsrate hatten“(Gill/Spriggs 2005:60). In jüngerer Zeit wurden außerdem Bedenken über hohe Betriebskosten und Zweckentfremdung (function creep) laut.
Physische Körper hinterlassen Datenspuren: Schatten der Anwesenheit und Bewegung. Vernetzte Datenbanken verdichten diese Spuren zu einem „Datenkörper“, dessen Verhalten und Risiko Hauptgegenstand von Analysen sind. Die Sicherstellung eines „Datenkörpers“ ist angeblich notwendig, um den menschlichen Körper zu schützen (entweder präventiv oder als forensisches Hilfsmittel). Wenn Ersteres nicht überzeugend gewährleistet werden kann, warum sollte daran geglaubt werden, dass Letzteres funktioniert?
Das panoptische System ist (noch) nicht komplett. Die dringende Frage stellt sich, ob dieser einseitige Blick jemals als Grundlage eines demokratischen Sicherheitskonzeptes dienen kann, welches vorgibt, die Betroffenen zu bevoll- mächtigen und auf ihre Mitverantwortung und Teilnahme an der Gestaltung der Gesellschaft baut?
1 Data Protection Act/DPA (1998)
2 Für Faceless verwendeter Vordruck Antrag einer Betroffenen um Zugriff auf Videodaten.
3 DSG 2000
4 Absatz 1: „Jede/-r hat Anspruch auf Achtung ihres/seines Privat- und Familienlebens, Wohnung und Briefverkehrs.“
5 Die Fälle sind in voller Länge im Text „Chasing the Data Shadow“ dokumentiert.
6 In die erste Kategorie fällt z.B. das Ausfindigmachen der Saliera 2005, in die zweite die Ermordung Jean Charles de Menezes in London durch Polizeieinheiten 2005.
Literatur
BALL KIRSTIE, LYON DAVID, WOOD, D.M. (2006): „A Report on the Surveillance Society.“ For the Information Commissioner by the Surveil- lance Studies Network. unter: ico
GILL MARTIN, SPRIGGS ANGELA (2005): „Assessing the impact of CCTV. Home Office Research, Development and Statistics Directorate.“ unter: home office
LINKS
Faceless
Manifesto for CCTV Filmmakers Manifest
Teile des Textes wurden zusammen mit Mukul Patel verfasst, von Martina Bauer ins Deutsche übersetzt und sind unter dem Titel „Chasing the data shadow“online abrufbar.
Chasing the data shadow
Manu Luksch und Mukul Patel leben als freischaffende KünstlerInnen in London und Wien.