Corona und Kultur im Europavergleich
Die Lage Kulturtätiger von Spanien bis Ungarn, von England bis Italien ist relativ ähnlich. Und doch unterscheiden sich die Konsequenzen deutlich, von den Hilfsleistungen bis zu den politischen Implikationen, von einer neuen Solidarität bis zu verstärktem Demokratieabbau. Ein flüchtiger Blick über die neuen alten Grenzen.
Deutschland und Österreich gehörten zu den ersten Ländern, die laut über eine Öffnung für Kulturveranstaltungen nachgedacht haben. Was Maßnahmen und Konsequenzen betrifft unterscheidet sich die Lage jedoch – schon zwischen den Bundesländern des großen Nachbarn, da Deutschland sehr föderalistisch geprägt ist. Baden-Württemberg hat beispielsweise ein Soforthilfeprogramm für Kultureinrichtungen eingerichtet, dass sie nach Größe unterstützt. Auch Selbstständige können einreichen. Das konservative Bayern reagierte schnell mit einer Art temporärem „Grundeinkommen für Künstler“, dass über drei Monate 1.000€ garantierte, während die von der ÖVP gepreiste „Kulturnation“ Österreich trotz grüner Regierungsbeteiligung erst einen Rücktritt im Kulturressort brauchte, ehe überhaupt Bewegung in die Sache kam.
Weiter nördlich, in Dänemark, versuchte die Regierung einen großen Teil bestehender Gehälter zu subventionieren. Für einzelne Kunstschaffende gab es allerdings nur Steuererleichterungen, was bereits ein gewisses Einkommen voraussetzt, um relevant zu werden. Ole G. Jorgensen, früher beim Kulturzentrum Godsbanen und jetzt bei ARoS Aarhus Art Museum, war zunächst abwechselnd im Home-Office und auf Urlaub. Das hätte allgemein ganz gut funktioniert. Er meint aber, dass viele Institutionen dennoch unter der Situation leiden würden, denn trotz der Unterstützungsmöglichkeiten sind viele von Ticketverkäufen, Shops oder Barbetrieben abhängig, die an den Initiativen angelagert sind.
In England wurden auch Gehälter subventioniert, allerdings war das für kleinere Einrichtungen nicht immer sinnvoll. Das liegt an der Bestimmung, dass betroffene Personen in der Zeit, in denen Teile des Gehalts übernommen werden, auch nicht arbeiten durften. Clymene Christoforou, Leiterin von D6 – Culture in Transit in England entschied deshalb, dass sie in ihrer kleinen Organisation doch eher die Arbeitskraft brauchen würden. Auch einzelne Kunstschaffende konnten 80% ihrer weggebrochenen Einnahmen als Unterstützung erhalten, allerdings nur jene, die bereits seit drei Jahren solche vorweisen konnten, was als Bemessungsgrundlage diente. Ein Problem vor allem für junge und neue Künstler*innen und solchen in Mischverhältnissen, da sie sich viel mit Nebenjobs über Wasser halten und über die künstlerische Selbstständigkeit wohl kaum entsprechende Unterstützung erhalten können – so sie überhaupt einen Anspruch haben.
Es ist also nicht nur eine Frage der angebotenen Hilfsleistungen, der Teufel steckt häufig im Kleingedruckten. Schwierigkeiten bilden meist die Bedingungen, an die die jeweiligen Unterstützungen geknüpft sind. Viele englische Fördergeber wollen das Programm realisiert sehen, sobald es wieder möglich ist. Man hat also jetzt Geld, für das man später arbeitet. Dann bleiben allerdings zum späteren Zeitpunkt logischerweise weniger zeitliche Ressourcen, um Einkommen zu generieren, das man dann brauchen wird. „Wir wenden das Geld jetzt für unsere Ausgaben und unsere Angestellten auf, das wird uns dann aber für zukünftige Projekte fehlen,“ so Christoforou. Die finanzielle Lücke verschiebt sich also bloß.
Im Gegensatz dazu haben viele Förderstellen in Frankreich entschieden, Förderungen auch auszuzahlen, wenn Veranstaltungen oder Aktivitäten abgesagt werden mussten. Doch kleinere Organisationen und einzelne Kunst- und Kulturschaffende fühlen sich zu wenig unterstützt. „Vor allem Freelancer und unabhängig Tätige sind stark betroffen,“ so Marie Le Sourd von On the Move in Paris: „Ich schätze, dass ist ein Muster, dass wir länderübergreifend erkennen.“ Ähnlich ist die Einschätzung auch in Italien. „Die italienischen Unterstützungsleistungen schaffen es, für etablierte Initiativen einigermaßen den Wasserstand niedrig genug zu halten, dass der Sektor nicht absäuft. Aber für kleinere und unbekanntere Player ist die Situation schon schwieriger. Vor allem, wenn die Situation mit dem Veranstaltungsverbot vielleicht doch sogar bis Jahreswechsel andauern sollte,“ so Roberto Frabetti, vom La Baracca Theater in Bologna.
In den meisten Ländern wird den Regierungen zwar attestiert, nicht immer schnell genug und ausreichend reagiert zu haben, man hat aber grundsätzlich den Eindruck, dass die Politik gewillt ist, auf Kritik zu hören und nachzubessern. Wie wäre das in Österreich aber gewesen, hätten wir etwas mehr als ein halbes Jahr vor Corona nicht Ibiza erlebt? Das sieht man beim Nachbarn, denn in Ungarn ist das anders. Die Regierung Orban wehrt jegliche Kritik wie einen persönlichen Affront pauschal ab, blockt jeglichen Austausch mit Expert*innen aus dem Sektor ab. Und nutzt strukturelle Wege um Kritiker*innen auszuschalten. Dieses Muster kennen wir auch in Österreich von der türkisblauen Koalition, bzw. Bundesländern mit blauer Regierungsbeteiligung. Nach großen Protesten in Ungarn über die Neustrukturierungen der Förderungen im Winter sprang Budapest in die Presche und löste größere Einrichtungen aus ihrem Gängelband der Regierung Orban – was aber auch bedeutet, dass die Stadt diese nun alleine finanziell über Wasser halten muss. Adrienn Hod, Choreographin bei Hodworks in der ungarischen Hauptstadt, befürchtet, dass sich diese Entwicklung nach der Krise fortsetzen könnte. Dann womöglich in einer neuen Krise, nämlich einer wirtschaftlichen und somit gerade in einer Zeit, in der Institutionen eher mehr Unterstützung brauchen würden als weniger. Diese Tendenz des Rückzuges aus der Förderung zeigt Orban besonders bei kritischen Stimmen oder in Gegenden, in denen die Opposition regiert, wie eben Budapest. Eine dramatische Situation in der ohnehin schwierigen Zeit des Veranstaltungsstopps aufgrund von Corona.
Die Unterstützungsschraube ist unter Corona eine effektive Möglichkeit geworden, kritische Stimmen auszudünnen. Die Befürchtung, dass Regierungen die Umstände ausnützen könnten, den Staat weitgehend umzubauen, hat sich allerdings bislang noch nicht bewahrheitet. Zumindest nicht mehr als sonst. Allerdings lag es nicht daran, dass es keine Versuche gab, die „Ungunst der Stunde“ zum eigenen Vorteil zu wenden.
In Polen war der Lockdown verhältnismäßig harsch. Man durfte nur um zur Arbeit, Einkaufen oder um zum Arzt zu gehen, das Haus verlassen, Polizei und Armee kontrollierten. Gleichzeitig versuchte die regierende rechtspopulistische PiS ein umstrittenes Abtreibungsverbot neu umzusetzen, dass in den letzten Jahren immer wieder an massiven Protesten und Demonstrationen gescheitert war, wohlwissend, dass diese im Lockdown nicht möglich sind. Zugleich hielt die Regierung am Präsidentschaftswahltermin im Mai fest und wollte sie rein per Briefwahl umsetzen. Kritisiert wurde daran, dass kein Wahlkampf, kein Diskurs möglich sei, nur der amtierende Präsident und Kandidat der Regierungspartei in seiner Funktion eine breitere Öffentlichkeit erreichen kann, es sich somit nicht um einen fairen Wahlkampf handelt. Die Regierung hielt lange am Wahltermin fest, letztendlich war der Druck aber zu groß und der Termin wurde auf Ende Juni verschoben. Sie haben ihren Versuch damit wohl aber nicht fallengelassen, sondern nur verschoben, denn die Fallzahlen in Polen steigen weiter. Vor allem in Schlesien halten sich viele Kohlebergwerksbetreiber nicht an Sicherheitsvorkehrungen und werden offenkundig auch nicht so streng kontrolliert, wie das zwischenzeitlich bei der allgemeinen Bevölkerung der Fall war. Der Kulturbetrieb hoffte zwar auf eine Öffnung im September, aber auch das wird immer unwahrscheinlicher.
Es gibt jedoch auch positive Signale aus einigen Ländern. Alex Meszmer, Geschäftsleiter von Suisse Culture, sieht auch eine neue Form der Solidarität im Sektor und mehr Aktivität innerhalb der Verbände. Auch mehr Veranstalter und Clubs hätten sich nun organisiert. Und auch sonst war der europäische Kultursektor trotz Sperre nicht untätig. Jorgensen hat den Eindruck, dass die Kultur ein wenig das Motto übernommen hat: „Wenn ihr nicht zu uns kommen könnt, dann kommen wir zu euch!“ Viele Initiativen versuchen über digitale Plattformen ihrem Publikum im Gedächtnis zu bleiben.
Christoforou meint zwar, dass viele Menschen der unzähligen Streamings und Zoom-Termine bereits überdrüssig sind, denn noch nie gab so viele Webinare und ähnliche Formate zu besuchen, von Klimaschutz über Marketing Skills bis hin zu Covid-Support Beratungen, allerdings sieht sie auch eine neue Energie, die aus den Lernprozessen im Umgang mit digitalen Formen bezogen wird. Gewonnene Kompetenzen, die in zukünftige Projekte fließen können.
Doch so nett die Wohnzimmerkonzerte auch sind, bzw. so viele Kompetenzen dabei angelernt werden können, die meisten der digitalen Impulse bringen kein Geld ins Haus und nicht jeder Fördergeber akzeptiert das Symposium, das nun digital stattfinden soll. „Wieviele tatsächlich überleben, werden wir wohl erst sehen, wenn wir wieder zum Normalbetrieb übergehen können,“ so Frabetti. Wir werden wohl aber noch abwarten müssen, wann dies denn wieder möglich sein wird. Und der Normalbetrieb war in vielen Ländern auch davor schon schwierig. Die Berufswahl im Sektor konnte man schon vor Corona als riskant bezeichnen. Die meisten Menschen, die im Kunst und Kulturbereich tätig sind, befinden sich eigentlich schon seit Jahrzehnten in einer Krise – in einer sozialen.
Der Virus kam zwar von außen, aber die Krise schafft nicht nur eine sonderbare Momentaufnahme, sie kreiert auch einen Befund langjähriger Kulturpolitik und zeigt politische Versäumnisse auf: „Wir sind über die Erhebungen zu den Einkommensausfällen überhaupt erst zu Daten gekommen, wie es um die Einkommenssituation der im Sektor Beschäftigten konkret steht. Der Median ist dabei nur knapp über der Armutsgrenze, auch ganz ohne Krise“, so Alex Meszmer. Auch in Österreich fehlte dafür bislang das Interesse vonseiten der Politik, ganz ungeachtet der Koalitionsvarianten. Die regelmäßige Basisdatenerhebung der IG Kultur mitsamt Landesorganisationen schließt diese Lücke auch in Zeiten des Normalbetriebs, ist aber sehr ressourcenaufwendig und würde einer gesonderten Förderung bedürfen. Gleichzeitig zeigte die Erhebung auch schon jahrelang ein drastisches Problem auf, ohne dass darauf reagiert wurde. Der temporäre Ausnahmezustand verdeutlich der Politik so einmal mehr die Notwendigkeit, den problematischen Dauerzustand zu beenden.