Grenzüberschreitende Kulturarbeit in der Südoststeiermark / Čezmejno kulturno delo na jugovzhodnem Štajerskem
Etwa 80 m beträgt die maximale Breite der Mur im Südosten. In ihrer Mitte verläuft die Staatsgrenze zu Slowenien. Bad Radkersburg auf der einen Seite und Gornja Radgona auf der anderen. Bis zum ersten Weltkrieg eine gemeinsame Stadt mit zwei Sprachen. An der Südsteirischen Grenzstraße (B69) musste man beim Überqueren der Murbrücke noch bis zum Beitritt Sloweniens zum Schengener Abkommen 2007 einen Reisepass vorweisen – und seit 2015 wieder. Mit dem vorläufigen Dienstende der Grenzbeamt*innen haben auch die Zollamtsgebäude vor der Brücke ihre Funktion verloren. Die beiden Gebäude links und rechts der Straße beherbergen nun seit 2012 das Werkstadt Graz-Projekt Zollamt Bad Radkersburg. Seitdem wird hier Kunst direkt an und über die Grenze gemacht.
Gemeinsame Sprache Jazz
Durch die Grenzziehung vor etwas mehr als hundert Jahren ist die Region kulturell auseinander getriftet. Um die beiden Teile wieder näher zusammenzubringen, wurden nach dem Schengen-Beitritt Sloweniens die grenzfreien SüdOstSteirischen Jazztage Jazzliebe/ljubezen ins Leben gerufen. „Die Musik hilft dabei, Sprachbarrieren zu beseitigen“, so Günther Zweidick, Mitbegründer der Jazzliebe und Obmann des Kulturforums Bad Radkersburg. Den Jazz versteht man sowohl diesseits als auch jenseits der Mur. Die Idee war es, dass südoststeirische Musiker*innen in Slowenien auftreten und vice versa. Mittlerweile findet der Großteil der Jazztage in Österreich statt. In Slowenien waren in den letzten Jahren u. a. die Orte Gornja Radgona, Murska Sobota, Putj oder Radenci Teil der Konzertreihe. Auch beim Publikum gibt es einen grenzüberschreitenden Austausch, der stets mehr werde. „Über die Jahre hat sich ein Stammpublikum gebildet, das von Slowenien nach Österreich fährt und auch einige Österreicher*innen, die nach Slowenien fahren“, berichtet Zweidick. Gegenläufig entwickle sich jedoch der künstlerische Austausch. Es werde aber aufgrund von Abwanderung immer schwerer, Musiker*innen im nördlichen Slowenien zu finden.
Strukturschwache Regionen
Hauptgrund für die negative Bevölkerungsentwicklung ist die wirtschaftliche Randlage der beiden Regionen. Viele aus den Gebieten Prekmurje und Pomurje müssen zum Arbeiten in größere Städte wie Graz pendeln. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit vielen Südoststeirer*innen teilen. Auf beiden Seiten der Mur befinden sich nur wenige große Industrie- und Gewerbebetriebe. Trotz der nach wie vor großen Bedeutung der Landwirtschaft, insbesondere dem Anbau von Mais, Getreide und Wein, mussten sich beide Regionen wirtschaftlich umorientieren und suchten ihr Glück im Tourismus. In der Südoststeiermark fand mit der Erschließung der Thermalquellen seit den 1990er Jahren ein Strukturwandel statt, sodass ist die Region heute stark von den Einnahmen des Tourismus abhängig ist. Das spiegelt sich in den hohen Nächtigungszahlen und dem geringen Bruttomedianeinkommen des Bezirks wider. Deshalb ist hier die Regionalentwicklung ein wichtiges Thema und auch eine gute Zusammenarbeit mit der anderen Murseite von großer Bedeutsamkeit.
Artikel-VII-Kulturverein für Steiermark / Kulturno društvo Člen 7 za avstrijsko Štajersko
Im Pavelhaus / Pavlova hiša, dem Kulturzentrum der slowenischen Minderheit in der Steiermark, in Laafeld (Bad Radkersburg) sieht man die Region ganz selbstverständlich als ein Ganzes. „Es war von Anfang an die Idee und das Ziel grenzüberschreitend zu arbeiten und das Haus für alle aufzumachen“, betont Vereinsobfrau Susanne Weitlaner. Es gehöre zu den Kernaufgaben des Vereins, einen grenzfreien Kommunikationsraum (wieder)herzustellen. Das vielfältige Kultur- und Bildungsprogramm ist grundsätzlich zweisprachig und es werde auf einen Ausgleich zwischen österreichischen und slowenischen Künstler*innen geachtet. Über die Jahre sei ein Netzwerk mit verschiedenen Akteur*innen in Slowenien entstanden. Beispielsweise kooperiert man seit Jahren mit dem Pilzverein in Maribor. „Mit dem Biologen Bernard Wieser des Vereins L.E.i.V. und den slowenischen Experten machen wir vor Ort eine Wanderung und dann eine gemeinsame Ausstellung“, erläutert Weitlaner die Zusammenarbeit. Umgekehrt könne man hin und wieder auch Eigenproduktionen in Slowenien präsentieren. So wurde die in Kooperation mit dem Institut für Slawistik der Universität Graz produzierte Ausstellung ŠTAJER-MARK über die zweisprachige Untersteiermark in mehreren slowenischen Orten gezeigt. Darüber hinaus bespielt man die letzten 10-15 Jahren verstärkt die Landeshauptstadt Graz. Im slowenischen Lesesaal der Steiermärkischen Landesbibliothek werden zweisprachige Lesungen und Vorträge organisiert. Hinzu kommt slowenischsprachiges Puppentheater für Kinder.
ŠTAJER-MARK?
In der Region würde es zahlreiche grenzübergreifende Projekte geben, vor allem im schulischen Bereich und zwischen den Gemeinden. Vieles passiert im Kleinen. So bietet das Bad Radkersburger Museum im alten Zeughaus ein Kombiticket mit dem Muzej Špital in Gornja Radgona an. Nach dem EU-Beitritt Sloweniens sei das Interesse an einer Zusammenarbeit bei Projekten von slowenischer Seite größer gewesen als von österreichischer, aber das habe sich inzwischen geändert. Man sehe die Region immer mehr als ein Ganzes. Es hänge aber noch vieles von persönlichen Beziehungen ab.
„Grenzüberschreitende Projekte funktionieren und haben dort Bestand, wo auch die zwischenmenschliche Kommunikation passt“, stellt Susanne Weitlaner fest. Oft scheitere eine vertiefte und langfristige Kooperation aber auch noch an der Sprache. Die Projektanträge werden zweisprachig verfasst, aber die Arbeitssprache ist dann erst Deutsch oder zumindest Englisch. „Die Slowen*innen sehen immer noch mehr die Notwendigkeit, Deutsch zu lernen, als die Steirer*innen Slowenisch“, so Weitlaner. Von einer realen Zweisprachigkeit sei man noch weit entfernt. Indes bietet das Pavelhaus / Pavlova hiša selbst Slowenischkurse an und organisiert einen gemischten zweisprachigen Chor, dessen Mitglieder aus Österreich und Slowenien kommen. Ein weiterer Schritt in diese Richtung könnte eine zweisprachige Beschilderung auf beiden Seiten der Mur sein.
HOCHsommer
Die Initiator*innen des Kunstfestivals HOCHsommer – allen voran der Fehringer Künstler Franz Cserni – hatten von Anfang an den Wunsch, über die Grenze hinaus nach Slowenien zu gehen. Jedoch ohne Zwang und nicht zum Selbstzweck. „Es muss schon eine Bereicherung für das Festival sein“, bekräftigt der Feldbacher Künstler und Vereinsobmann Karl Karner. Man müsse aufpassen, dass man nicht zu schnell wächst und die Gruppe dadurch zerbricht. Jedenfalls war es heuer so weit: Eine Ausstellung fand im slowenischen Schloss Grad statt, wodurch das diesjährige Thema „Over the limits“, also die Grenzüberschreitung, manifest wurde.
Der HOCHsommer selbst entstand im Jahr 2017, als sich einige Künstler*innen und Kunstvermittler*innen aus dem Südburgenland und der Südoststeiermark zusammengetan haben, um die vielen Aktivitäten im Bereich der Gegenwartskunst in den beiden Regionen neu zu präsentieren. Nur gemeinsam könne man etwas bewirken. In zwölf Kunsträumen wird heuer zeitgenössische Kunst geboten. Mit der Kugelmühle, dem Kieslingerhaus und der Kunsthalle Feldbach befinden sich alleine drei davon in der Stadt Feldbach. Vertreten sind in der Steiermark u. a. auch noch das Pavelhaus / Pavlova hiša und das Zollamt in Bad Radkersburg, der von Karl Karner betriebene KS Room in Kornberg, das Gerberhaus in Fehring sowie das von Michaela Leutzendorff Pakesch kuratierte Kunstfenster in Gnas.
In der Region werde das Festival sehr gut aufgenommen und von den Gemeinden auch finanziell unterstütz werden, so Karner. Neben den Ausstellungen gibt es auch ein Rahmenprogramm aus anderen Kunstsparten. Generell passiere auch abseits der bildenden Kunst einiges in der Region. Es sei aber oft schwierig, das alles auch mitzubekommen. „Man müsste noch an maßgeschneiderten Angeboten für Musik, Literatur oder Theater arbeiten“, überlegt Karner.
Broschüre frische.Hoch.kultur
Genau das treibt Karola Sakotnik voran. Sie erhielt als Kulturarbeiterin und Beraterin vom Regionalmanagement Südoststeiermark den Auftrag, bestehende kulturelle Aktivitäten in der Region touristisch verwertbar zu machen. Gemeinsam mit Kulturveranstalter*innen der Region wurde die digitale Broschüre frische.Hoch.kultur entwickelt. Angedacht war eine Ausgabe pro Quartal und mehr als nur ein Terminkalender. „Wir haben Avatare entwickelt, die die Region besuchen, und die Kultur für diese fiktiven Besucher*innen interessant aufbereitet“, erklärt Sakotnik den im Marketing gängigen Ansatz. Bei ihren virtuellen Besuchen übernachten diese in von den Kulturveranstalter*innen ausgewählten Beherbergungsbetrieben und kehren im Buschenschank ein.
Bei der Arbeit an der Broschüre seien die Kulturveranstalter*innen der Region außerdem zusammengewachsen. In der Folge wurde der Kulturbeirat Thermen- und Vulkanland gegründet. Dieser hat das Ziel, die kulturellen Aktivitäten in der Region fassbar zu machen und das Miteinander der Kulturinitiativen zu fördern. Das informelle Netzwerk erleichtere die Kulturarbeit, da man sich schnell gegenseitig aushelfen könne. Wichtig sei es vor Ort, von- und miteinander zu lernen. Zu diesem Zweck sollen in Zukunft eigene Workshops organisiert werden. Um das zu finanzieren, konzipiert man gerade ein LEADER Projekt mit den Kulturreferent*innen der Gemeinden, die sich als politisches Kulturgremium mit dem Kulturbeirat, der aus der Szene stammt, abstimmen.
„Schnittstelle“ zum Tourismus
Beim Gestaltungsprozess der Broschüre sei man sich den unterschiedlichen Interessen von Tourismus und Kultur schnell bewusst geworden. Man wollte sich keinesfalls vereinnahmen lassen, sondern eine „Schnittstelle“ zum Tourismus entwickeln. „Die Kulturarbeit nach außen präsentieren, ohne sie zu verändern“, so Sakotnik, sei das Ziel. Zur Qualitätssicherung erarbeitete der Kulturbeirat ein eignes Gütesiegel mit 7 Kriterien. Nur Veranstaltungen, die diese weitgehend erfüllen, werden in der Broschüre beworben. Einerseits will man mehr als ein Schlechtwetterprogramm sein, andererseits sorgt der Tourismus aber auch für zusätzliche Besucher*innen. Bei Veranstaltungen des Kulturforums Bad Radkersburg machen Tourist*innen fast die Hälfte des Publikums aus. Vor allem die Kurgäste seien sehr kulturinteressiert. „Die Stadtpolitik hat sehr früh erkannt, dass die Kultur für einen Tourismusort wichtig ist“, so Obmann Günther Zweidick.
Eine noch junge Entwicklung ist das Veranstalten von Musik-Workshops. Im Sommer lockt ein mehrtägiger Workshop mit dem renommierten Blues-Musiker Raphael Wressnig Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt an. Diese würden sich aufgrund der touristischen Infrastruktur sehr wohlfühlen und oft noch ein paar Tage anhängen oder ihre Familien mitbringen. „Das bringt der Region jährlich um die 150 Nächtigungen“, rechnet Zweidick vor. Somit vertauschen sich die Rollen: Bietet sonst die Kultur das Begleitangebot zum Kuraufenthalt, ist jetzt die Kultur das Zugpferd und die Therme und die Kulinarik versüßen den Aufenthalt.
Feiern in der Stadt, arbeiten am Land
Die Bevölkerung in der Südoststeiermark schrumpft. Abwanderung, vor allem nach Graz oder Wien, und eine negative Geburtenbilanz sorgen in vielen dörflichen Gemeinden für einen Rückgang der Einwohnerzahl. „Alle wollen in der Stadt studieren und den Bauern fehlen die Nachfolger*innen“, beschreibt Karner, der selbst lange in Wien gelebt hat und vor ein paar Jahren in die Südoststeiermark zurückkehrt ist, die Situation am Land. Durch den demographischen Wandel entsteht gleichzeitig Raum für Neues. Die billigen Immobilien- und Mietpreise locken Künstler*innen an bzw. bewegen sie zur Rückkehr aufs Land. So verwandelte der Künstler Alfred Lenz beispielsweise kurzerhand die Einfahrt zum Einfamilienhaus seiner Eltern in eine Galerie (Kunstraum L201). „In der Stadt ein Atelier zu haben ist mittlerweile Luxussache“, so Karner.
Für Karner stehe die Stadt eher mehr fürs Feiern und für Events. „Das ist aber nur eine gewisse Zeit lang spannend“. Am Land könne man in Ruhe arbeiten, da die Hektik weg sei. Andere Künstler*innen und Kunstinteressierte würden ihn immer wieder gerne in seinem Atelier in Kornberg besuchen kommen – und einige Tage bleiben. Die Auseinandersetzung mit der Kunst sei abseits der städtischen Dynamik wesentlich gründlicher und tiefergehender.
80 m ist die Mur im Südosten an ihrer breitesten Stelle breit. Viele regionale Kulturinitiativen arbeiten daran, dass dieser Abstand kleiner wird und die Region sich auch kulturell wieder näherkommt. Dabei sind die Hürden nicht nur sprachlicher Natur. Zusammenleben braucht die gleiche Anstrengung von beiden Seiten. Dem Tourismus gegenüber möchte man sich anbieten, aber nicht anbiedern. Die Vielfalt und Eigenständig der Kulturarbeit soll durch die Zusammenarbeit nicht verloren gehen. Durch die Kunst wird die Südoststeiermark neu belebt. In schrumpfenden Gemeinden siedeln sich Künstler*innen an und eröffnen Kunsträume. Es entstehen nach und nach „Kulturcluster“, die Potentiale für die Regionalentwicklung eröffnen. Um diese zu nutzen, braucht es allerdings den nötigen politischen Willen.
(Text von Klaus Schinnerl)