Extrembedingungen - Vorarlberger Künstler:innen und Kulturvereine befürchten Subventions-Eiszeit

Kulturvereine werden durch die Sparmaßnahmen aktuell mit zusätzlichen Existenzsorgen konfrontiert. Vor allem auf Gemeindeebene stehen hohe Kürzungen im Raum, die dem prekär arbeitenden Kultursektor schwer zusetzen. Dass es hier nicht nur um persönliche Existenznöte seitens Künstler:innen und Kulturvereinen geht, sondern Kommunen, Land und Staat mit weitreichenden Folgen konfrontiert werden, bleibt unterschätzt.

Bei allem Verständnis, in harten Zeiten an einem Strang ziehen zu müssen, um ökonomisch gestärkt irgendwann wieder Fuß zu können, sollten Gebietskörperschaften Fördernehmende differenziert betrachten: Es gibt wirtschaftlich orientierte Einrichtungen und gemeinnützig agierende Bereiche, die über wenig bis gar kein Sparpolster verfügen (dürfen). Kulturvereine gehören zu letzteren, sie arbeiten nicht gewinnorientiert. Ohne öffentliche Förderungen lassen sich Programme daher nicht kostendeckend realisieren und aktuell ist nicht mal mehr eine Kostendeckung im Blick. Mit einer Erhöhung der Eintritts- oder Teilnahmepreise kippt das sensible Geflecht gemeinnütziger Angebote. Es würde viele Menschen vom Kulturangebot ausschließen und es ist ein Kern der öffentlichen Förderung, offene Zugänge möglichst ohne Barrieren anzubieten. 
 

Das Mess- und das Spürbare

Warum sollte ein Staat gemeinnützige Kulturvereine unterstützen? Rein wirtschaftlich betrachtet leisten Kunst und Kultur durch Aufträge an lokale Betriebe, mittels kommunaler Abgaben, über touristische Impulse sowie durch soziale Bindung und Teilhabe ihren Beitrag. Den Wert von Kunst und Kultur nur über die Messlatte ökonomischer Standards einzuordnen, greift allerdings viel zu kurz. Akteur:innen und Teilnehmende des Kulturbetriebs sind über ein künstlerisches Programm in einer Verbindung, die gesellschaftliche Bedürfnisse wie Notwendigkeiten sichtbar machen und fortlaufend reflektieren und benennen. Das sollte für Industrie und Wirtschaft übrigens höchst interessant sein, nicht zuletzt, um Fachkräfte an Unternehmen und Standorte zu binden. Und es kommt noch der wichtige Punkt des ehrenamtlichen Engagements hinzu, das in Kunst und Kultur laut einer Erhebung 2022 21,6% in der österreichischen Bevölkerung ab 15 Jahre ausmachte. Damit gehören Kunst und Kultur neben Sport und Bewegung und Katastrophenhilfs- und Rettungsdienste zu den Ehrenamts-Spitzenreitern. 

Die über sämtliche Bereiche flächendeckend angesetzten Sparmaßnahmen bedeuten somit für den ohnehin prekär arbeitenden Kunst- und Kulturbereich ein existenzbedrohendes Szenario - nicht nur für sie selbst, sondern gesellschaftlich gesehen. Ohne freiwilliges Engagement würden weite Teile unseres gesellschaftlichen Lebens nicht funktionieren oder gar leistbar sein. Wir sind somit auch auf gelingende Modelle aus Kultur, Sozialem, Gesundheit, Sport und Bildung mit Vorbildfunktion angewiesen, um den Nachwuchs im Ehrenamt "bei der Stange zu halten".


Was die Basis braucht, um Spitze bilden zu können

Was wir heute auf den großen und renommierten Bühnen Österreichs und darüber hinaus erleben und wovon wir uns berühren und inspirieren lassen, das beginnt im Kleinen und meistens in den Kulturvereinen vor Ort. Vereine, getragen von einer solidarischen Gemeinschaft und einer Mischung aus ehrenamtlichem Engagement und hauptamtlicher Strukturarbeit treten oft professionell in ihrer Organisation und mit einem vielfältigen Angebot an eine breite Öffentlichkeit. In diesem Umfeld machen Kinder und Jugendliche die ersten Schritte in Musik, Tanz, Theater, Literatur und in Experiment, Zusammenarbeit und Spiel. An diesen Orten wächst, was unsere Gesellschaft in sinnlicher wie auch solidarischer Hinsicht zusammenhält und in Bezug auf Ideen, Visionen und dem Bedürfnis aller Generationen nach Wertschätzung weiterbringt. Damit sind Kulturvereine unverzichtbar für das Gemeinwohl. Vor allem gemeinnützige Kulturinitiativen leisten laut Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg, grundlegende Aufbauarbeit: 

„Das Kulturangebot in soziokulturellen Zentren, organisiert als gemeinnützige Vereine, ist die Bodenarbeit, bei der man sich auf Augenhöhe begegnet. Hier beginnt alles und erst daraus kann sich eine Spitze entwickeln."


Ein enges Geflecht mit hohem Risiko

Seit knapp 35 Jahren begleitet die IG Kultur Vorarlberg mehr als 60 gemeinnützige Kulturvereine im Land als Interessenvertretung und Partnerin in der Zusammenarbeit mit Land, Bund und Gemeinden. Dieses Zusammenspiel von einer bis drei fördernden Gebietskörperschaft:en ist für die Finanzierung von Kulturvereinen essenziell. Und es macht sie zugleich auch besonders verletzlich, da es Förder-Abhängigkeiten untereinander gibt. Die erste Förderanlaufstelle für Jahresprogramme oder Projekte ist im Normalfall die Vereinssitz-Gemeinde. Wird eine Subvention oder eine Kooperation zugesprochen, kann parallel auch beim Bundesland um eine Förderung angesucht werden. Sofern sich die kulturelle und qualitativ entsprechende Aktivität auch auf Gesamtösterreich und im besten Fall darüber hinaus bezieht, kommt ein Ansuchen beim Bund in Frage. 

Der derzeitige Konsolidierungskurs auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene bereitet daher große Sorgen: Kürzungen auf einer Ebene ziehen fast immer weitere Einschnitte nach sich. Wird die kommunale Förderung reduziert oder gestrichen, geraten oft auch Landes- und Bundesmittel in Gefahr. Dieses enge Fördergeflecht bedeutet im Klartext, dass Sparmaßnahmen für viele Kulturvereine existenzbedrohend sein können, Rücklagen können im Verein nämlich nur schwer gebildet werden. Diese müssten aus zusätzlichen Einnahmen, etwa Sponsorings, Spenden oder Eintritten generiert und schließlich bei den Fördergeber:innen in ihrer Verwendungsabsicht argumentiert werden. Die mangelnde Planungs- und Existenzperspektive drängt die finanzverantwortlichen Vereinsfunktionär:innen und operativen Führungskräfte in ein großes Spannungsfeld zwischen programmatischer Erwartung, künstlerischer und kultureller Daseinsberechtigung und finanzieller Unversehrtheit eines gemeinnützigen Vereins. Viele sind - auch angesichts hauptamtlicher und familiärer Anforderungen - nicht mehr bereit, ihre Freizeit dafür zu investieren. 

Hinzu kommt die Befürchtung, im kommenden Jahre Einbußen in Höhe von 10 bis 30% des aktuellen kommunalen Förderbudgets zu erfahren. Nicht selten müssen Kulturakteur:innen und Vereine mehrere Monate nach Fördergesuch-Einreichung auf einen politischen Entscheid und die die Information ob, und in welcher Höhe sie gefördert werden, sowie die Auszahlung des Förderbetrags warten. Für die Programmplanung ist das Gift. Künstlerische Produktionen im ersten Jahres-Quartal werden damit zum Spießrutenlauf und viele Einrichtungen und Künstler:innen benötigen Bankenkredite, um eine Zwischenfinanzierung zu ermöglichen - mit ungewissen Ausgang, auf wieviel Geld Künstler:innen und Einrichtungen letztlich sitzen bleiben könnten, und dann sind da noch die Zinsen. Das alles muss man nicht nur organisatorisch und finanziell tragen können, sondern auch mental. Ob ehrenamtlich Tätige dazu in Zukunft noch bereit sind, steht in den Sternen.


Und die Lösung?

Der Kulturszene hinsichtlich öffentlicher Förderung einen Planungshorizont zu bieten, wäre ein hilfreiches Szenario. Manche Kultureinrichtungen konnten sich mit dem Land Vorarlberg bereits im letzten Jahr auf Mehrjahresvereinbarungen einigen, was sich jetzt als vorteilhaft erweist. Diese Vereinbarungen sind zwar keine Sicherheit, da sie vorbehaltlich des Landeshaushaltes und Landtagsbeschlusses für das nächstjährige Budget noch nach unten variieren können, aber sie geben doch einen Rahmen und können auch rechtzeitig in die Budgetvoranschläge für das nächste Jahr einfließen. 

Strukturelle Absicherung ist notwendig und nichts, an dem gespart werden darf. Fällt das ehrenamtliche Engagement in der Breite weg, stehen wir nicht nur gesellschaftlich, sondern sozial, gesundheitlich und in Bezug auf Bildung vor einem großen Problem. Generationenwechsel in langjährig tätigen Vereinen, die bereits seit 30 bis 50 Jahren aktiv sind, brauchen eine weitsichtige und verantwortungsvolle Kulturpolitik, ist sich Leon Boch, Obmann der IG Kultur Vorarlberg, sicher: 

 „Wir müssen jungen Menschen Perspektiven bieten, sie ernst nehmen und begeistern. Nur so bleibt Vereinsarbeit lebendig. Ohne finanzielle Planungssicherheit wird diese Übergabe jedoch zunehmend erschwert."

Es braucht eine relevante Anhebung des Kulturbudgets und vor allem valorisierte, den Preissteigerungen angepasste Ermessensausgaben für die freie Szene.

Im Rahmen des Sparkurses ist Fair Pay aus der Diskussion verschwunden. Dieses Thema muss unbedingt wieder in den kulturpolitischen Diskurs aller Gebietskörperschaften und der Verwaltung aufgenommen werden. Nicht nur, um faire Arbeitsbedingungen im einem Sektor ohne Entgelt-Standards zu schaffen, sondern auch wegen des Fairness Codex, der gebietskörperschaftlichen Vereinbarung von Bund, Ländern und Gemeinden.

Ein weiterer Aspekt ist das politische Wissen und eine entsprechende Förderkonsequenz für den Kultursektor. Nicht nur, um Organisationen und Akteur:innen eine Perspektive zu geben, sondern vor allen Dingen, um in der staatlichen oder kommunalen Verantwortung, basierend auf einer Kulturstrategie und dem Kulturförderungsgesetz, eine künstlersiche und kulturelle Qualität zu sichern. Und diese lässt sich erst über das künstlerische Proben und Entwickeln, die öffentliche künstlerische Präsenz und die Vernetzung ermöglichen.
 

Good Practice

In der baden-württembergischen Stadt Ulm wird von Politik, Verwaltung, institutionalisierter und freier Kulturszene der Arbeitskreis Kultur gepflegt, wie unser deutscher Kollege Christian Grupp, GF der Kulturinitiative ROXY, im Rahmen unseres Gesprächs berichtete. In Vorarlberg gibt es mit der Vorarlberger Kulturabteilung und dem Kulturbündnis - ein loser Zusammenschluss Vorarlberger Interessensgemeinschaften der Sparten - ebenfalls einen Austausch, der Szene und Verwaltung in Wissen und bestenfalls Verständnis bringt. 
 

Dieser Artikel entstand ohne die Unterstützung einer textbasierten künstlichen Intelligenz. Seine Entstehung dauerte inklusive der Umfrage bei Mitgliedern, persönlichen Gesprächen, Internet-Recherche (inkl. KI) und Redaktion rund 8 Stunden. 

Bild von Sebastian Ganso auf Pixabay