Kultur in der Region

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Der ländliche Raum ist keine Einheit, sondern ebenso widersprüchlich und ungleichzeitig, wie wir es von den Ballungsräumen kennen. In ihm gibt es das Rückständige ebenso wie das Avancierte. Nur fehlt manchmal der passende Rahmen, der uns dieses zeigt.

 

Scharniere der kulturellen Vernetzung

Gemeinhin wird das Verhältnis von Stadt und Land, von Ballungsraum und ländlicher Region als Gefälle betrachtet. Was der moderne Stadtraum wie von selbst zu bieten scheint – Vielfalt, ein breit gefächertes Kulturangebot und Spielraum für individuelle Entfaltung –, scheint auf dem Land, wenn überhaupt, nur begrenzt möglich. Es ist dort stets zu wenig, zu begrenzt, zweitklassig und nachrangig, eine rustikale Version städtischer Selbstverständlichkeiten, die sich niederschlägt in herablassenden Kommentaren und als deren positive Kehrseite: der Idealisierung des ländlichen Raumes als bodenständige Idylle.

Derlei Stereotypisierungen werden häufig auch von den Bewohner*innen ländlich geprägter Regionen verinnerlicht. Ihre Vorstellungen vom modernen aufregenden Leben projizieren sie in den Stadtraum, während sie in ihrer unmittelbaren Umgebung wahlweise Beschaulichkeit, Entschleunigung oder Eintönigkeit und kulturelle Armut wahrnehmen. Wo der eigene Lebensraum gleichsam schicksalhaft für fad und rückständig gehalten wird, lohnt es sich kaum, ihn zu verändern. Provinz kann vielfach eine selbsterfüllende Prophezeiung sein, die lähmt und träge macht.

Wer hinter diese Klischees blickt, lernt oft eine ganz andere Region kennen, als die, die in unserer Vorstellung davon existiert. Der ländliche Raum ist keine Einheit, sondern ebenso widersprüchlich und ungleichzeitig, wie wir es von den Ballungsräumen kennen. In ihm gibt es das Rückständige ebenso wie das Avancierte. Nur fehlt manchmal der passende Rahmen, der es uns dieses zeigt.

Stadt und Land sind kein Gegensatz, sondern ein vielfältiges Befruchtungsverhältnis, unter anderem deshalb, weil das Urbane zu Passivität und kulturellem Konsumismus verführt. Es gibt dort ja bereits genug. Das Land bringt dagegen häufig einen Hunger nach Kultur hervor, der sich in Aktivismus und Universalismus niederschlägt, während die Stadt eher zum Spezialistentum treibt. Diese Gegensätze können sich aber auch aufheben, nämlich dann, wenn junge Menschen, die auf dem Land zu kulturellen Aktivist*innen wurden, irgendwann in die Städte ziehen, um das dortige Kulturleben voranzutreiben. Ganz verlassen sie dabei aber die Gegend, die sie geprägt hat, nicht, manche kehren irgendwann sogar zurück, andere halten die Verbindung. Sie alle sind Scharniere, die Stadt und Land verbinden und die Region und Welt kulturell vernetzten. Auch wenn das oft nur im Stillen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht.

Es gibt daher gar kein Problem der Region zu beheben, sondern es gilt, auf die besondere kulturelle Funktion dieser Region aufmerksam zu machen und lokale Akteur*innen dabei unterstützen, das zu tun, was sie sowieso schon tun: einen kulturellen Beitrag leisten, unter anderem als Impulsgeber*innen für die regionale, oder aber auch die städtische und die globale Kultur. Regionen haben kein Problem sich zu entwickeln und zu kulturell spannenden Orten zu werden, sondern jene, die immer noch dem medial verbreiteten Bild der ländlichen Region als kulturellem, sozialem oder ökonomischem Pflegefall anhängen, weil das so schön bequem ist und wahlweise Häme und Arroganz oder idyllische und reaktionäre Wunschbilder produziert, die sich allseits großer Beliebtheit erfreuen.

Mit der tatsächlichen Realität der Region haben sie allesamt nur wenig zu tun. Ihre Identität besteht nicht bloß in kulinarischen Besonderheiten für den Fremdenverkehr, sondern ebenso darin, ein vielgestaltiges kulturelles und soziales Gefüge zu sein. Es verbindet die Hiergebliebenen mit den Abgewanderten, und diejenigen, die sich vorübergehend dort aufhalten, mit jenen, die sich dort dauerhaft eingerichtet haben. Niemand von ihnen ist das Opfer der eigenen Mobilität oder Immobilität, aber alle haben etwas zu erzählen, von den Entscheidungen, die sie getroffen haben und die es zu respektieren gilt.

Kulturelle Arbeit und Regionalentwicklung versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe, als Anlauf- und Koordinationsstelle, als Durchlauferhitzer, der regionale Energien bündelt und mit anderen zusammenbringt – lokal wie global. Allen, die etwas tun, ohne dabei andere auszugrenzen, sollte aufgeschlossen gegenübergetreten werden. Nur eines sollte dabei nicht akzeptiert werden: Fatalismus, Gleichgültigkeit, Resignation.

 

Die eigene Kultur schaffen

Um sich als Region zu begreifen und einbringen zu können, muss eine Gemeinschaft erst einmal zusammen wachsen: über das, was sie trennt, hinweg. Sie ist, was sie ist und gerade das macht sie wertvoll: Ob Menschen schon immer hier leben oder schon lange nicht mehr, ob sie zugezogen sind, aus einer anderen Gegend, einem anderen Land, ob sie es freiwillig getan haben oder ob sie auf der Flucht vor Verfolgung waren, all das hat sie zu dem gemacht, was sie sind und als was sie einander begegnen - sobald sie einen Ort haben, wo dies möglich ist: gleichberechtigt, barrierefrei ohne Privilegien des Geschlechtes, des Alters, der Herkunft oder der sozialen Zugehörigkeit, der kulturellen Präferenzen und des Wissens. Dieser kulturelle Ort, an dem jeder für sich und alle für einander sind, soll ein Projekt sein, an dem sie gemeinsam arbeiten, der eine Zuflucht ist, vor dem, was sie im Alltag sind; ein Ort, der seine eigene Kultur erschafft: Diese Kultur ist eine des Miteinanders, des Interesses, der spielerischen Herausforderung von Seh-, Hör- und Denkgewohnheiten. Und natürlich auch eine, an der eine neue Form der Ökonomie entstehen kann.

Es geht dabei nur um nicht weniger als die Zukunft. Es geht um die kulturelle Perspektive der Region und die der Menschen, die in ihr leben. Zukunft entsteht da, wo gehandelt wird. Um neue, nachhaltige und zukunftsweisende Formen des Zusammenlebens, der kulturellen Arbeit und des künstlerischen Schaffens bis hin zur Ökonomie entwickeln zu können, müssen Menschen selbstbewusst und handlungsfähig werden. Sie müssen einen Raum kreieren, indem sie verantwortungsbewusst handeln können, hier wie überall auf der Welt. Dieser Raum darf niemanden ausschließen, aber er soll alle einladen, sich nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten einzubringen; er soll es zulassen, Fragen zu stellen und Antworten zu entwickeln. Die wichtigste Frage ist dabei wohl die: Wie wollen wir wir in Zukunft leben? Welche Formen der Arbeit, der kulturellen Lebensgestaltung und der Wirtschaft sind zukunftsweisend? Und was ist dafür nötig, für eine zukunftsweisende Region, die das Rückgrat des Zusammenlebens bildet. Wie müssen und können alternative, künstlerische, kulturelle Sozialformen aussehen, damit das (Zusammen-)Leben lebenswert ist?

 

Kunst als Humus kultureller Regionalentwicklung

In künstlerischen partizipatorischen Prozessen können Menschen erfahren, dass die Grundbedingung für das nicht ausschließende Miteinander die Freiwilligkeit, d. h. die Freiheit von Zwang, und eine gesellschaftliche Wertschätzung von Andersartigkeit sind. Gemeinschaft wird erst durch jene Verschiedenheit stark, die ihre Mitglieder mitbringen. Vielfalt ist ihre wichtigste soziale und ökonomische Ressource. Daher muss sie das gleichberechtigte Miteinander ganz unterschiedlicher Menschen gewährleisten.

Die Teilhabe aller gesellschaftlichen Akteur*innen an kulturellen und sozialen Entscheidungsprozessen ist grundlegend für eine Gemeinschaft, die mehr ist als das zufällige Zusammenleben unverbundener unsolidarischer Menschen. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, wie sich Politik als Tätigkeit einiger weniger Spezialist*innen öffnen lässt, und auf welche Weise sich die von ihr Betroffenen sinn- und wirkungsvoll an ihr beteiligen können. Der demographische Wandel, von dem vor allem ländlichen Regionen betroffen sind, stellt dabei erhebliche Herausforderungen an alle handelnden Akteur*innen.

Kunst und Kultur sind entscheidend für unsere Lebensqualität. Als Ereignisorte, die außerhalb des Alltags liegen, tragen sie dazu bei, dass Menschen einander schichten- oder generationsübergreifend begegnen. Sie stellen neue Fragen und durchbrechen alte Vorurteile, und weil sie uns neue Perspektiven, ungewohnte Blickwinkel und innovative Herangehensweisen zeigen, können sie auch ökonomische Potentiale oder soziokulturelle Möglichkeiten freilegen, die bisher verborgen waren.

(Günther Friesinger)